21.04.2010
Berlin als Zentrum für zivile Sicherheit in Europa
Interview mit Wirtschafts-Staatssekretärin Almuth Nehring-Venus auf dem Kongress "Sichere Identität"
Frage: In einem halben Jahr werden die ersten elektronischen Personalausweise in Deutschland ausgestellt. Gleichzeitig sind einige Wirtschaftszweige, wie Handel und Logistik, aktiv dabei, Waren- und Transportidentifikationssysteme aufzubauen und zu testen. Das Thema der elektronischen Identität kommt von mehreren Seiten auf die Bevölkerung zu. Wird sie dies akzeptieren oder sind Verweigerungs-Haltungen zu befürchten?
Nehring-Venus: Wie vielfach bei der Einführung neuer technologischer Ansätze entstehen Unsicherheiten und Ängste. Diesen Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz müssen wir uns stellen. Sorgen bereitet den Menschen - zu Recht finde ich - die Möglichkeit der Verknüpfung persönlicher Daten mit Produktdaten. Sei es beim Einkaufen, bei der Ausleihe in der Videothek oder beim Reisen. Die Fälle von Datenmissbrauch in den letzten zwölf Monaten bei Telekommunikationsbetreibern, Lottogesellschaften oder Kreditkartenunternehmen ließen uns aufhorchen und sind unakzeptabel. Im Internet werden mehr oder weniger vollständige Datensätze über die Bevölkerung ganzer Regionen angeboten, neben Name und Adresse mit Geburtsdatum oder Kreditkartennummer. Die öffentliche Hand bemüht sich vielfältig und erfolgreich um den Schutz der ihr anvertrauten Bürgerdaten. Trotzdem ist eine gewisse Zurückhaltung der Bevölkerung gegenüber den digitalen Medien nicht zu übersehen. Leider bieten uns Länder, die den elektronischen Personalausweis bereits eingeführt haben, keine Erfolgsgeschichten: Weder in Finnland noch in Österreich hat der digitale Ausweis bisher eine Massenbasis erobert.
Das liegt sicher an fehlenden sinnvollen und nützlichen Anwendungen. Umso wichtiger ist es, neben der technischen Plattform Applikationen anzubieten, die uns das tägliche Leben erleichtern und unsere Daten so gut es geht schützen. Und hier liegt die Chance für die Region, unserer Forschungseinrichtungen und Unternehmen.
Frage: Welche Rolle spielt das Thema "Sichere Identität" im Rahmen der Innovationspolitik des Landes Berlin?
Nehring-Venus: „Sicherheit" ist seit 2005 eines der Handlungsfelder in unserer Innovationsstrategie. Seit 2007 ist „Sicherheit" in unsere länderübergreifende Innovationsstrategie aufgenommen. Dies manifestierte sich 2008 in einem gemeinsamen „Masterplan für Sicherheitswirtschaft und -forschung Berlin-Brandenburg". Hier haben wir fünf Themenfelder festgelegt und mit Maßnahmen untersetzt, zu denen auch die „Sichere Identität" gehört. Daneben bewegen uns auch die Themen Kritische Infrastrukturen, Sicherheit mit Informationstechnik / IT-Sicherheit, Sicherheit und Gesellschaft sowie urbane Sicherheit als Zukunftsthema. Mit dem Masterplan haben wir wie in anderen Zukunftsfeldern einen strategischen Rahmen geschaffen, der deutlich macht, welche Themen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen und somit unsere besondere - auch finanzielle - Unterstützung bekommen.
Diese Themenfelder sind im intensiven Diskurs mit Wirtschaft und Wissenschaft sowie durch eigene Erhebungen herausgearbeitet worden. Es handelt sich um die typischen Herausforderungen für eine Hauptstadtregion. Ich denke, dass man in Deutschland und europaweit zu Recht erwartet, dass wir zu diesen Themenstellungen Lösungsbeiträge liefern. Unser Ziel ist es, diese Position auszubauen und Berlin zu einem Zentrum für zivile Sicherheit in Europa zu machen.
Frage: Welchen Beitrag leistet die Wissenschaft zum Themenfeld Sicherheit?
Nehring-Venus: Es ist ein Vorteil Berlins, dass wir uns auf eine kompetente und breite Wissenschaftslandschaft stützen können. Zum einen möchte ich hier die Hochschulen und Universitäten nennen, an denen Sicherheitsforschung und -ausbildung betrieben wird. Das geht von der Technischen und der Freien Universität Berlin bis zu den Fachhochschulen in Wildau und Brandenburg. Zum anderen sind die Fraunhofer-Institute mit ihren Security Labs, die gemeinsam mit der Bundesdruckerei aufgebaut und betrieben werden, ein Aushängeschild für die Region. Diese Kooperation hat schon viel Aufmerksamkeit bewirkt. Der Fraunhofer Innovationscluster „Sichere Identität" bildet die inhaltliche Klammer dieser Kooperation. Insgesamt vierzig Forschungseinrichtungen der Region haben auch das Thema Sicherheit in ihrem Spektrum. Einige, wie die Technische Universität, haben es zu einem Schwerpunktthema in Forschung und Ausbildung erklärt. Die Industrie erkennt die Kompetenz der Berliner Forschungseinrichtungen, wie die Stiftungsprofessuren an der TU und der FU beweisen. Auch andere Einrichtungen haben die Kooperation mit der Industrie in Sachen Sicherheit ausgebaut: so die Universität Cottbus mit Vattenfall oder die Fachhochschule Brandenburg mit SAP. Ich bin sicher, dass wir in der nächsten Zeit von weiteren Beispielen hören werden.
Frage: Wie ist auf der wirtschaftlichen Anwendungsseite unsere Sicherheits-Region strukturiert?
Nehring-Venus: Aufgrund der Hauptstadtfunktion haben wir notwendigerweise eine hohe Dichte an Sicherheitsdienstleistern in der Region. Sie stellen mit mehr als 20.000 Beschäftigten einen wichtigen Wirtschaftszweig dar. Leider zählen sie zu den Branchen mit unterdurchschnittlicher Bezahlung. Ein Mindestlohn würde hier viel bewirken. Ich bin mir aber sicher, dass die Maßnahmen, die wir derzeit mit den Bildungseinrichtungen und dem Sicherheitsgewerbe beraten, mittelfristig zu einer deutlichen Anhebung des Qualifikations- und damit den Lohnniveaus beitragen werden. Wenn es uns gelingt, über neue, differenzierte Berufsbilder und Karrierewege die Attraktivität dieses Gewerbes zu erhöhen, dann finden wir nicht nur interessierte junge Menschen für diese Aufgaben, sondern wir setzen von Berlin aus Maßstäbe für bundesweite Entwicklungen.
In den anderen beiden wichtigen Marktsegmenten, der Sicherheitstechnik und der IT-Sicherheit sind zwar nicht so viele Menschen beschäftigt, dafür ist deren Lohnniveau deutlich höher. Insgesamt schätzen wir, dass mehr als 25.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der regionalen Sicherheitswirtschaft arbeiten. Sie sind in mehr als 250 Unternehmen tätig und erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von 2,4 Mrd. EURO (2007). Damit stellt die Region gut 10 Prozent des bundesweiten Marktes für zivile Sicherheit. Dies ist schon eine bemerkenswerte Zahl.
Frage: 2009 hatte sich die Region mit einem ambitionierten Beitrag zur Sicherheitstechnik am Spitzencluster-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums beteiligt, doch ohne Erfolg. Wie soll es mit dem Konsortium SIGNUM nun weiter gehen?
Nehring-Venus : Auch wenn unsere Bewerbung um einen Spitzencluster unter dem Label „SIGNUM" im vergangenen Jahr noch nicht zu einem Erfolg geführt hat, müssen wir uns mit unseren Kompetenzen und unserer Wettbewerbsfähigkeit nicht verstecken. Im Unterschied zu anderen Branchen haben wir zahlreiche Markführer in Sachen zivile Sicherheit in der Region. Inzwischen ist SIGNUM zu einer Plattform geworden, auf der die Berliner und Brandenburger Sicherheitswirtschaft gemeinsam Projekte entwickelt und nach außen darstellt. So gab es bereits Messeauftritte auf der EURO-ID und dem Europäischen Polizeikongress. Damit setzen wir einen der Punkte unseres Masterplanes um. Im Rahmen der Innovationsförderung werden von uns Vorhaben in Millionenhöhe unterstützt. Wir lösen damit unsere Zusage zur Förderung des Innovationsclusters der Frauenhofergesellschaft „Sichere Identität" ein.
Frage: Wie wird das Identitäts-Thema im Zusammenhang mit dem Berliner e-Government, sozusagen dem elektronischen Rathaus, umgesetzt?
Nehring-Venus: Das Land Berlin ist dabei, erste Anwendungen für den elektronischen Personalausweis zu entwickeln, um den Bürgern Nutzen und Vorteil dieses Dokuments transparent zu machen. So wird der Ausweis zukünftig im Portal zu Online-Kfz-Anmeldung zum Einsatz kommen. Auf der CeBIT wurde im März 2010 ein Prototyp präsentiert und hat großes Interesse hervorgerufen. Berlin bietet damit eine Möglichkeit der durchgängigen elektronischen Bearbeitung vom Autokauf bis zur Ablage in der Kfz-Datenbank der Meldestelle. Derartige Anwendungsentwicklungen bieten gerade den kleineren IT-Unternehmen Chancen für neue Produkte. Ergebnisse aus der Forschung - zum Beispiel aus den Frauenhoferinstituten - münden ein in die Entwicklung bei der Bundesdruckerei, kommen in Meldestellen zum Einsatz und führen zur Nutzung beim Kunden. Somit schafft Sicherheit neue Arbeitsplätze, wirtschaftlichen Erfolg und Vertrauen im Geschäftsverkehr.
Das Interview führte InnoMonitor anlässlich des Kongresses "Sichere Identität" am 13.4.2010
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13.04.2010
2. Kongress Sichere Identität
Die sichere Gesellschaft - von der Forschungsregion zum Industriecluster
http://www.innomonitor.de/index.php?id=133&te=163
E-GOVERNMENT
Kfz-Zulassung ohne Behördengang und ohne Wartezeit
Fraunhofer FOKUS stellte Verfahren für elektronische Kfz-Zulassung vor - 03.04.2010
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1309
FORSCHUNG
TU Berlin mit neuem Zukunftsfeld "Zivile Sicherheitsforschung" - Think-Tank-Veranstaltung "Sichere Identität und sichere Kommunikation" - 18.02.2010
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1146
IuK-TECHNIK
Neues Bündnis für sichere Identität - Verein „Sichere Identität Berlin-Brandenburg" präsentiert sich erstmals auf der Omnicard - 20.01.2010
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=1020