04.05.2010
Quelle: Berliner Wirtschaft Mai 2010 - auch hier zu lesen
Optimismus
für 2010
Beliebter
Ausbildungsberuf
Wandel
zum Dienstleister
Kurzarbeit
dämpfte Krise
Neue
Mitarbeiter trotz Krise
Der Großhandel in Deutschland ist von derRezession hart in Mitleidenschaft gezogen worden. Davon blieben auch viele Berliner Unternehmen nicht verschont, obwohl die hauptstädtische Wirtschaft insgesamt weniger betroffen war als die im übrigen Bundesgebiet. Und wer aktuelle Herausforderungen wie höhere Kundenerwartungen und bessere Qualitätsstandards meistert, hat gute Chancen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Auf den ersten Blick herrscht Chaos. Doch die Abläufe sind wohlgeordnet. Morgens ab zwei Uhr ist Hochbetrieb im Berliner Fruchthof. Bis zu 100 Gabelstapler drehen dann ihre Runden und etwa 1000 Mitarbeiter sorgen dafür, dass die Waren schnell umgesetzt werden. 30 000 Quadratmeter groß sind die Hallen der - so der offizielle Name - Fruchthof Berlin Verwaltungsgenossenschaft e. G. An sechs Tagen der Woche wird hier gearbeitet.
Der Fruchthof ist der größte Mieter der Berlin Großmarkt GmbH in der Moabiter Beusselstraße. Das zentrale Frische- und Logistikzentrum der Stadt ist viel mehr als der oft beschriebene Bauch von Berlin. Sein Versorgungsgebiet erstreckt sich von Mecklenburg-Vorpommern bis Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Mit einer Fläche von 330 000 Quadratmetern - das entspricht der Größe von 47 Fußballfeldern - und einem jährlichen Warenumschlag von einer Milliarde Euro zählt Berlins Großmarkt zu den bedeutendsten deutschen Ver-sorgungszentren für den ungebundenen Lebensmitteleinzelhandel, für Hotels, Gastronomie und sonstige Großverbraucher. Außer Obst und Gemüse werden hier Fleisch- und Wurstwaren, Fisch und sonstige Lebensmittel sowie Pflanzen und Blumen umgeschlagen. 300 Händler haben sich hier niedergelassen. Insgesamt sind auf dem Großmarkt rund 2500 Menschen beschäftigt.
Entscheidend ist die Qualität der Produkte, doch wer heute bestehen will, muss sich auch als Dienstleister profilieren. „Die Unternehmen hier sind inzwischen viel mehr als reine Großmarktbetriebe", sagt Fruchthof-Chef Dieter Krauß. „Gerade Service-Angebote wie die Anlieferung frischer Ware werden immer wichtiger." (Siehe Interview in der BERLINER WIRTSCHAFT, S. 18 ).
Weit über Fachkreise hinaus bekannt ist die Metro Cash & Carry Deutschland GmbH. Mit 655 Märkten in 29 Ländern ist das Unternehmen nach eigenen Angaben international führend im Selbstbedienungs-Großhandel. Allein in Berlin hat Metro sechs Standorte. Zum Sortiment zählen 17 000 Artikel im Lebensmittelbereich und 30 000 Produkte im Non-Food-Segment, allein das reicht von Papierwaren über Büro- und Unterhaltungselektronik bis hin zu Werkzeugen, Campingbedarf und Textilien. Das ist durchaus typisch für den Wirtschaftszweig Großhandel. Dessen Branchen-Vielfalt reicht auch in Berlin von Kfz-Teilen bis zu Zierfischen, von Schmierstoffen bis zu Produkten für die Haus- und Gebäudetechnik.
Optimismus für 2010
Die Branchen werden gewöhnlich in sechs Gruppen unterteilt: Großhandel mit landwirtschaftlichen Grundstoffen und lebenden Tieren, mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren, mit Gebrauchs- und Verbrauchsgütern, mit Rohstoffen, Halbwaren, Altmaterial und Reststoffen, mit Maschinen, Ausrüstungen und Zubehör sowie Sonstiger Großhandel.
In Berlin gehören nach IHK-Informationen rund 10 000 Unternehmen zum Großhandel. Sie beschäftigen 30 000 Mitarbeiter. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Berlin-Brandenburg zählt die Hälfte der Unternehmen zum Sonstigen Großhandel, zum Nahrungsmittel- und Tabakgroßhandel gehören 20 Prozent und zum Großhandel mit Ge- und Verbrauchsgütern 15 Prozent.
Gemeinhin ist wenig bekannt über Bedeutung und Funktion des Großhandels. In der öffentlichen Wahrnehmung fristet er quasi ein Schattendasein. Dabei bildet die Branche ein unverzichtbares Scharnier zwischen Produzenten, verarbeitender Industrie und Einzelhändlern. Großhändler des Produktionsverbindungshandels beliefern ihre Kunden mit allen für die industrielle Produktion notwendigen Rohstoffen, Materialien und Halbfertigwaren. Baunahe Großhändler versorgen Bauwirtschaft und -handwerk mit sämtlichen Materialien für den privaten, gewerblichen und öffentlichen Bau. Und Konsumgütergroßhändler beliefern Einzelhandel, Apotheken, Gastronomie und Hotellerie mit ihren Waren. Mit anderen Worten: Ohne Großhandel geht gar nichts.
So ist auch die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Großhandels enorm: Nach Darstellung des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistung e.V. (BGA) war der Großhandel in Deutschland mit einem jährlichen Umsatz von knapp 850 Mrd. Euro im Jahr 2008 der zweitstärkste Wirtschaftszweig nach der Industrie. Die zumeist mittelständischen Unternehmen beschäftigen bundesweit mehrere hunderttausend Arbeitnehmer.
Der Berliner Großhandel ist vor allem auf den regionalen Markt ausgerichtet, speziell auf den Handel mit Nahrungsmitteln. 83 Prozent der Unternehmer sind Binnengroßhändler, die ihre Waren zu zwei Dritteln in der Region absetzen. Der Berliner Großhandel übt nach IHK-Auffassung eine herausragende Funktion zur Stärkung des Wirtschaftsstanorts aus. Allerdings wurde der Großhandel bundesweit 2009 nach Jahren des Wachstums von der Finanz- und Wirtschaftskrise hart getroffen. Davon blieb auch Berlin nicht verschont.
Aus Erhebungen des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden geht hervor, dass die Umsätze im deutschen Großhandel 2009 im Vergleich zum Vorjahr nominal um 14,8 Prozent und real um 8,2 Prozent zurückgegangen waren. In der Quartalsbetrachtung ergaben sich im vierten Quartal 2009 Umsatzeinbrüche von nominal 9,5 Prozent und real von 5,4 Prozent. Die deutlichen Umsatzrückgänge im Großhandel seien maßgeblich auf die geringe Investitionstätigkeit der deutschen Wirtschaft und auf Lagerabbau zurückzuführen, sagt BGA-Präsident Anton F. Börner. Auch er hofft, dass die Talsohle durchschritten ist. Börner: „Trotz massiver Umsatzeinbrüche im Großhandel geben die Zahlen für das Gesamtjahr 2009 Anlass zu Optimismus für das neue Geschäftsjahr." Nach dem Umsatzeinbruch im vergangenen Jahr um rund 15 Prozent auf 732 Mrd. Euro rechnet der BGA 2010 mit einem Umsatzplus von rund fünf Prozent nominal auf gut 769 Mrd. Euro. Gelänge das, würde die Branche rund ein Viertel des verlorenen Umsatzvolumens in Höhe von rund 120 Mrd. Euro wieder erwirtschaften. Real kalkuliert der BGA mit einem Umsatzanstieg von vier Prozent.
Von der schwarz-gelben Koalition fordert der Verband die Sicherung der Unternehmensfinanzierung sowie deutliche Wirtschaftsimpulse wie eine Steuerreform. Fast zwei Drittel der Mitgliedsunternehmen hätten sich bei einer Befragung für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung als vorrangige Zielsetzung ausgesprochen.
Für die Gesamtwirtschaft hält der BGA ein Wachstum von 2,5 bis knapp unter drei Prozent im Jahr 2010 für erreichbar. Allerdings erwartet der Verband 2011 dann einen deutlichen Dämpfer. „Achillesferse ist der Konsum, der etwas an Stärke einbüßen wird", mutmaßt Börner.
Auch nach Darstellung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) blickt der Großhandel in Deutschland wieder mit deutlich mehr Optimismus in die Zukunft als im Vorjahr. Die Aussichten für das Auslandsgeschäft hellten sich noch einmal deutlich auf, heißt es im Handelsreport 2010. Der exportorientierte Großhandel profitiere von der verbesserten Wirtschaftsentwicklung in nahezu allen Teilen der Welt.
Auch der Berliner Großhandel hat nach beträchtlichem Wachstum im Jahr 2008 (nominal plus 15,8 Prozent, real plus 6,3 Prozent) vergangenes Jahr ein deutliches Umsatzminus verkraften müssen. Die nominalen Umsätze im Berliner Großhandel (einschließlich Handelsvermittlung) gingen nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Vorjahr um 15,8 Prozent zurück. Real, also unter Berücksichtigung von Preisänderungen, wurde ein fehlender Umsatz gegenüber dem Vorjahr von 9,1 Prozent ermittelt.Wie das Statistikamt Berlin-Brandenburg mitteilte, mussten fast alle Bereiche des hauptstädtischen Großhandels im Vorjahr Umsatzrückgänge hinnehmen. In besonderem Maße war der Großhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren betroffen. Hier blieben die nominalen Umsätze um 28,7 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Für Großhändler mit sonstigen Maschinen, Ausrüstungen und Zubehör fielen die nominalen Umsätze um 19,0 Prozent geringer aus als noch ein Jahr zuvor.
Beliebter Ausbildungsberuf
Die Zahl der Beschäftigten im Berliner Großhandel ging im Vergleich zum Vorjahr durchschnittlich um 1,2 Prozent zurück. Insbesondere war die Teilzeitarbeit rückläufig (minus 5,1 Prozent), aber auch die Zahl der Vollbeschäftigten (minus 0,3 Prozent).
Zwar sank die Zahl der Auszubildenden im Berliner Großhandel nach IHK-Angaben erstmals nach vierjährigem Wachstum 2009 im Vergleich zum Vorjahr um 37 auf 780. Das hat aber nichts an der Beliebtheit geändert. Die Ausbildung zum Großhandelskaufmann zählte schon immer - abgesehen vom Jahr 2007 - zu den Top Ten der beliebtesten kaufmännischen Berufe. Allerdings klagen viele Unternehmen darüber, dass die Zahl der Bewerber zurückgegangen ist. Außerdem würden immer mehr Jugendliche die sozialen und fachlichen Voraussetzungen nicht mitbringen, eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann aufzunehmen.
Wandel zum Dienstleister
Die Umsatzeinbußen des Berliner Großhandels 2009 fallen umso mehr ins Gewicht, als dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in der Hauptstadt nach Angaben des regionalen Statistikamtes im vergangenen Jahr weniger von der Rezession betroffen war als in anderen Bundesländern. In Berlin fiel nach ersten vorläufigen Ergebnissen für 2009 der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) preisbereinigt mit 0,7 Prozent von allen Bundesländern am geringsten aus. Bewertet zu jeweiligen Preisen lag das BIP in Berlin als einzigem Bundesland mit 1,7 Prozent sogar über dem Wert des Vorjahres. Dagegen wurde für Deutschland ein Rückgang des BIP um 3,5 Prozent bzw. preisbereinigt von 5,0 Prozent ausgewiesen.
Der Großhandel steht nach Einschätzung des BGA insgesamt vor großen Herausforderungen. Dazu zählen gegenwärtig zunehmender Wettbewerb, neue Innovationen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der fortschreitende Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Der BGA zeigt sich davon überzeugt, dass die Großhändler die Herausforderungen aktiv annehmen und damit einhergehende neue Wachstumschancen nutzen.
Diese Einschätzung teilt der Geschäftsführer des Berliner Unternehmens- und Arbeitgeberverbands für Großhandel und Dienstleistungen e.V. (AGD), Christian Kärgel: „Unsere Mitgliedsunternehmen sind moderne und innovative Unternehmen, die die Vorteile des Standortes Berlin kennen und nutzen. Durch den Ausbau neuer Geschäftfelder im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen und der Logistik ergeben sich für unsere Mitgliedsunternehmen in der Zukunft weitere Chancen. Wenn Berlin seine Stärken pflegt und entwickelt und seine Schwächen konsequent angeht, wird der Großhandel hier eine gute Zukunft haben."
Kurzarbeit dämpfte Krise
Zwar habe der Berliner Großhandel wie im gesamten Bundesgebiet 2009 massiv mit der Finanz- und Wirtschaftskrise zu kämpfen gehabt, fügt der Rechtsanwalt hinzu. Allerdings sei der Berliner Großhandel, anders als der Großhandel anderer Bundesländer, aufgrund der geringeren Industrialisierung der Hauptstadt-Region weniger stark vom Produktionsverbindungshandel geprägt. Deshalb hätten sich die bundesweit extrem starken Einbrüche in diesem Bereich in der Hauptstadt weniger stark ausgewirkt. „Auch wenn während der Tarifverhandlungen des vergangenen Jahres leider nicht alle Möglichkeiten zur Beschäftigungssicherung mit unserem Tarifpartner vereinbart werden konnten, wurden durch die Inanspruchnahme von Kurzarbeit bisher größere personelle Maßnahmen verhindert", betont Kärgel.
Seit Jahresanfang kämpfe der Berliner Großhandel weiter mit der Bewältigung der Krise, wobei die Talsohle für die meisten Unternehmen bereits durchschritten sei. Die einzelnen Bereiche des Großhandels entwickelten sich hier sehr unterschiedlich, ergänzt Kärgel. Der konsumnahe Zweig habe die Krise sicherlich anders bewältigt als beispielsweise der Baustoffgroßhandel. Letzterer ist von den Auswirkungen der Krise zeitversetzt betroffen. „Die Maßnahmen des Konjunkturpakets II zur Förderung der Bauwirtschaft werden hier erst im Laufe des Jahres 2010 greifen können", prognostiziert Kärgel.
Zudem seien Teile des Großhandels stark auf Zwischenfinanzierung angewiesen. Diese Unternehmen wären besonders von einer Verteuerung der Kreditfinanzierung oder gar einer etwaigen Kreditklemme betroffen, sagt der Verbandschef. Wie hier die zukünftige Ent-wicklung aussehen wird, könne gegenwärtig nicht gesagt werden.
Auch nach Einschätzung der Weihe Früchte & Salate KG steht dem Großhandel ein weiteres schwieriges Jahr bevor. „Ein Ende der negativen Entwicklung ist noch nicht abzusehen, und man muss abwarten, wie sich das Vertrauen der Endverbraucher in die wirtschaftliche Lage entwickelt", sagt Geschäftsführer Otto Weihe. Im Obst- und Gemüsebereich sieht er seine Position gefestigt. „Als Vollsortimenter, also alles Frische aus einer Hand, befinden wir uns weiter im Aufbau", so Weihe, der auch Mitglied der IHK-Vollversammlung ist.
Neue Mitarbeiter trotz Krise
Der Firmeninhaber sieht eine weitere Marktbereinigung auf seine Branche zukommen: „Als Spezialist für ein Sortiment ist es schwierig, am Markt zu überleben. Deswegen passen wir schon seit längerer Zeit unsere Prozesse an die Erfordernisse eines Vollsortimenters an, um alles aus einer Hand mit einer sehr guten Qualität zu liefern." Daher habe das Unternehmen auch trotz rückläufigen Umsatzes in der Wirtschaftskrise neue Mitarbeiter eingestellt. Denn die Kundenanforderungen an zusätzliche Dienstleistungen wie Zertifizierungen oder Kontrollen der Kühlketten würden immer mehr zunehmen.
Nicht oder wenig betroffen von der Krise dagegen ist nach Darstellung der Bär & Ollenroth KG der Großhandel für Haustechnik und Industriebedarf. „Wir haben das hohe Umsatzniveau des Super-Jahres 2008 auch 2009 trotz der Wirtschaftskrise halten können", sagt Inhaber Klaus-Peter Bär. Auch seine Wettbewerber im Sanitär- und Heizungsbereich hätten durchweg gute Umsätze im vergangenen Jahr erzielt. Überdies sei in der Branche keine Kreditklemme bekannt, fügt IHK-Präsidiumsmitglied Bär hinzu.
Die gute Geschäftsentwicklung sei unter anderem auf den hohen Sanierungsbedarf von Immobilien zurückzuführen. Die dafür vorgesehenen Mittel aus dem Konjunkturpaket II seien im vergangenen Jahr bei weitem nicht ausgeschöpft worden und würden dieses Jahr für eine entsprechende Wertschöpfung der Branche sorgen, ergänzt Klaus-Peter Bär. Die Gesobau beispielsweise modernisiere das Märkische Viertel. „Das hilft uns sehr."
Michael Winckler
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EXISTENZGRÜNDER
Die Durchstarter: Existenzgründer und junge Unternehmen - Titelthema der "Berliner Wirtschaft" im April 2010 - 06.04.2010