27.10.2009
„CDU/CSU und FDP haben mit ihren Koalitionsbeschlüssen den Weg in
den Verschuldungsstaat bereitet. Die gerade erst im Sommer mit breiter
Mehrheit beschlossene Schuldengrenze wird so vom Bund selber
untergraben" kommentiert der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum.
Nußbaum rechnet damit, dass die Schulden der öffentlichen Hand bis 2013
von derzeit rd. 1 500 Mrd. Euro auf über 2 100 Mrd. Euro steigen - das
wäre ein Zuwachs von mehr als einem Drittel. Hieran sind die
Koalitionsbeschlüsse mit etwa 70 bis 80 Mrd. Euro beteiligt; der Rest
entfällt auf die steuerpolitischen Beschlüsse noch vor der
Bundestagswahl und die Bekämpfung der aktuellen Finanzmarktkrise.
„Jetzt kommen in nur fünf Jahren noch einmal 600 Mrd. Euro dazu. Und
das alles nur um Klientelpolitik zu finanzieren, statt die Lasten der
Finanzmarktkrise abzubauen. Die Krise kann keine Dauerentschuldigung
für finanzpolitische Untätigkeit und neue Schulden sein" so Nußbaum.
Denn den weitaus größten Preis werden die Länder zahlen müssen; sie
sind zu mehr als der Hälfte an den Einnahmerückgängen beteiligt. In der
Folge wird die Verschuldung der Länder unausweichlich ansteigen. Für
Berlin werden sich die Mindereinnahmen im Zeitraum 2010 bis 2013 nach
erster Einschätzung auf etwa zweieinhalb Mrd. Euro belaufen. "Pro Jahr
fehlen Berlin bei voller Wirksamkeit der Koalitions-Beschlüsse über 700
Millionen Euro" sagte der Finanzsenator. Dies entspräche 50.000
Studienplätzen, 100.000 Kita-Plätzen oder 250 Schulen. Die Beschlüsse
der Koalition bezeichnete der Senator unverantwortlich.
Der Senator fordert deshalb den Schulterschluss der Länder im
Bundesrat. „Auch die CDU-geführten Bundesländer dürfen ihre föderale
Verantwortung nicht vergessen. Ich frage mich, wo die CDU
Ministerpräsidenten und ihre Finanzminister in den letzten zwei Wochen
waren, denn auch ihre Länder werden auf Dauer in eine strukturelle
Unterfinanzierung getrieben. Wenn der Bund die Finanzierungsfähigkeit
der Länder weiterhin so untergräbt, sind die Länder gezwungen, die
Frage der Finanzordnung in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht
überprüfen zu lassen."
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Die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales teilt mit:
Die Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Carola Bluhm
hat den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP im Bund scharf
kritisiert. Die nun geplante getrennte Aufgabenwahrnehmung bei den
JobCentern bezeichnete sie als Pfusch und eine unerträgliche Zumutung
für Hartz IV-Empfänger und für die Beschäftigten in den JobCentern.
"Das Prinzip der "Leistungen aus einer Hand" ist damit dahin. Dabei
hatten wir schon eine Einigung zwischen Bund und Ländern, wie wir die
jetzige Struktur sichern könnten. Dass nun alles wieder auf Null steht,
ist mehr als verantwortungslos", so Bluhm. Das
Bundesverfassungsgericht hatte die Mischorganisation zwischen Bund und
Kommunen in den Jobcentern Ende 2007 für verfassungswidrig erklärt und
eine Neustrukturierung bis Ende 2010 verlangt.
Bluhm sagte, die schwarz-gelbe Koalition habe in der
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik keinen einzigen Vorschlag vorgelegt,
wie sie die wachsende Armut von Kindern und Jugendlichen und die
Zunahme von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung bekämpfen wolle.
Stattdessen kündigte sie an, Minijobs auszuweiten und die bereits
vereinbarten Branchenmindestlöhne wieder abzuschaffen: "Das ist eine
Koalitionsvereinbarung der sozialen Spaltung. Sie bedeutet nicht mehr
Netto vom Brutto, wie sich die schwarz-gelbe Koalition brüstet, sondern
vor allem weniger Brutto und Netto für Alle, die von niedrigen
Einkommen leben: Erwerbstätige in Niedriglohnbranchen,
Langzeitarbeitslose, Kinder in Hartz IV-Familien sowie
Pflegebedürftige. Was helfen ein geringer Anstieg des Kindergeldes und
Steuererleichterungen, wenn Löhne weiter sinken und Sozialbeiträge
steigen? Wer die Erhöhung des Schonvermögens als soziale Großtat
feiert, weiß nichts über die Vermögensverhältnisse der unteren
Einkommensbezieher. Da gibt es in aller Regel kein Vermögen, das
geschont werden könnte. Wer angesichts der Finanzkrise eine
Pflegeversicherung mit Kapitalstock schaffen will, zeigt keinen
ökonomischen Verstand, sondern vor allem seinen Willen, die private
Versicherungswirtschaft zu bedienen." Dass Kinder, die von Hartz IV
leben, von der geplanten Kindergelderhöhung erneut nicht profitieren,
bezeichnete Bluhm als "sozialpolitischen Skandal".
Bluhm kritisierte auch, dass Zuwanderung nach
Deutschland nur Hochqualifizierten möglich sein solle. Insgesamt seien
die Ankündigungen im Integrationsbereich und bei der Asylpolitik noch
sehr unkonkret. Bluhm forderte von der neuen Bundesregierung als
Sofortmaßnahme, das Bleiberecht für langjährig geduldete Flüchtlinge zu
verlängern. Für bundesweit 28.000 Flüchtlinge läuft die
"Aufenthaltserlaubnis auf Probe" im Dezember aus.
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„Der Bund agiert in höchstem Maß unsolidarisch" - Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum fordert Schwarz-Gelb auf, Steuererleichterungen auf Kosten der Länder zu überdenken
Der Tagesspiegel, 27.10.2009
http://www.tagesspiegel.de/berlin/art270,2933739
Kommentar: Die Länder dürfen nicht allein gelassen werden - Er hat gleich die ganz große Keule ausgepackt: Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum
Berliner Morgenpost, 27.10.2009
Unsinn, Pfusch, unverantwortlich - Landespolitiker kritisieren schwarz-gelbe Regierungspläne
Berliner Zeitung, 27.10.2009
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/1027/berlin/0032/index.html
Ökonomen vermissen Glaubwürdigkeit in der Finanzpolitik - Dauerhafte Schuldenpolitik zulasten der Unternehmen befürchtet / DIW-Chef Zimmermann sieht Umverteilung von unten nach oben
Der Tagesspiegel, 27.10.2009
http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/art271,2933443