Themen oder Strukturen

01.06.2013

 

 Themen oder Strukturen

  Die Zivilgesellschaft diskutiert, wie sie eine Forschungswende erreichen kann

Die Zivilgesellschaft will sich stärker in die Forschungs- und Wissenschaftspolitik einmischen. Gestern legte ein Bündnis von Umweltorganisation und anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden ihre zentralen Forderungen für eine „Forschungswende“ in Deutschland vor und diskutierte diesen den ganzen Tag lang in einer Konferenz in den Räumen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt. Unter anderem wird mehr Geld für Forschungsprojekte in Richtung ökologische Nachhaltigkeit verlangt sowie die Beteiligung von Vertretern der Zivilgesellschaft in den Entscheidungsgremien der Wissenschaftsorganisationen. Vertreter des Bundesforschungsministerium begrüßten den Vorstoß und kündigten Unterstützung für mehr Bürgerbeteiligung in der Forschungspolitik an.

 Die  Konferenz („Partizipation und Transparenz in der WuFPol“) zog  zum einen die bisherige Aktionsbilanz der vor elf Monaten gestarteten „Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende“, zum anderen wurden Statements von anderen Akteuren für das weitere Vorgehen eingeholt und diskutiert. Am wichtigsten waren hier die Aussagen von Rietschel (Acatech) und Huthmacher (BMBF). Schwan spannte den politikwissenschaftlichen Rahmen für einen übergreifenden Wandel im deutschen Wissenschaftssystem. 

Der Vormittag („Zum Spannungsverhältnis“) vertiefte die Begründung der Plattform, warum man sich jetzt in die Wissenschaftspolitik einmischen wolle. Tschimke: Verlust der Nachhaltigkeit. Schwan: Verlust der Gesellschaft. In diesem Sitzungsblock dominierte die Kritik an der neo-lineralen, wirtschaftsdienlichen plus Exzellenz-Ausrichtung der  deutschen Wissenschaft in den letzten 20 Jahren.

 

Intern hatte die Plattform in den letzten Monaten zehn Forderungen erarbeitet, die auf der Tagung erstmals vorgestellt wurden. Sie bildeten auch den Hintergrund für die Nachmittags-Diskussion („Die neue Rolle“), in der es um die künftige Strategie ging. Von zentraler Bedeutung war die Grundsatz-Rede des BMBF-Vertreters, der die Aktivitäten seines Hauses im Bereich der Nachhaltigkeitsforschung darstellte und Kooperationsmöglichkeiten mit der Plattform auslotete. Huthmacher betonte, dass die Partizipation über Themen (gerade in den drei großen Zukunftsthemen seines Hauses (Energiewende, Zukunftsstadt, Green Economy) viel besser und schneller gelingen werde als die Veränderung von Strukturen. Gleichwohl hatte in dieser Session die Debatte über Struktur-Ansätze (etwa durch förmliche Beteiligung der Zivilgesellschaft in Hochschulräten)  einen größeren Raum als die über inhaltliche Themen.

 

Vor Beginn der Konferenz hatten die Veranstalter und die Journalisten-Organisation TELI zu einem Pressegespräch eingeladen. TELI-Vorsitzender Löfken erklärte die Bereitschaft seiner Organisation, sich mittels der Internet-Plattform „Wissenschaftsdebatte.de“ am Diskurs zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu beteiligen. In der anschließenden Konferenz wurde wiederholt beklagt, dass die etablierten Medien in Deutschland kaum noch über Nachhaltigkeit und den Transformationsbedarf von Gesellschaft und Wissenschaftssystem berichtet werde.

 

Was in der Tagung fehlte, war vier Monate vor der Bundestagswahl die „Partizipation“ der Parteien und Abgeordneten. Allein Linke-MdB Petra Sitte nahm zeitweilig teil. Die Nicht-Beteiligung der Politik ist umso erstaunlicher als einige Parteien (zB. die SPD) einige Forderungen bereits in ihre Wahlprogramme aufgenommen haben (Forschungsfonds). Auch die grundlegende Publikation „Transformative Wissenschaft“ (Schneidewind/Singer-Brodowski), die vor wenigen Wochen erschienen ist, hätte mit ihrem theoretischen Rahmen und ihren praktischen Vorschlägen viel stärker in den Tagungsdiskurs einbezogen werden müssen.    

 

Manfred Ronzheimer

 *

 

Die ZPFW wurde initiiert von den drei Naturschutzverbänden DNR, BUND und NABU. Daneben gibt es 14 weitere Unterstützer (List unten). Die Plattform erhält eine Förderung aus dem BMU (Verbändeförderung). Die Tagung am 31.5. wurde gefördert von der Stemmler-Stiftung (im Stifterverband).

  Liste der Unterstützer 1. Deutscher Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- Tier- und Umweltschutzverbände e.V. (DNR) http://www.dnr.de 2. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) – Friends of the Earth Germany http://www.bund.net/ 3. Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU) http://www.nabu.de/ 4. Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW) http://www.boelw.de/ 5. EuroNatur - Stiftung Europäisches Naturerbe http://www.euronatur.org/ 6. Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e.V. (FEST e.V.) http://www.fest-heidelberg.de/ 7. freier zusammenschluss von studentInnenschaften e.V. (fzs) http://www.fzs.de 8. Germanwatch e.V. https://germanwatch.org 9. Zukunftsstiftung Landwirtschaft http://www.zs-l.de/ 10. Greenpeace e.V. http://www.greenpeace.de/ 11. Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt Bundesvorstand (IG BAU) http://www.igbau.de 12. Institut für Kirche und Gesellschaft der EKvW http://www.kircheundgesellschaft.de 13. NaturFreunde Deutschlands e.V. - Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport und Kultur http://www.naturfreunde.de 14. Netzwerk Nachhaltigkeitsiniviativen e.V. http://www.netzwerk-n.org/  15. Netzwerk Wachstumswende (NEWW) http://wachstumswende.de 16. Pestizid Aktions-Netzwerk e.V. (PAN e.V.) http://www.pan-germany.org 17. Slow Food Deutschland e.V. http://www.slowfood.de/ 

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Zivilgesellschaftliche Forderungen an die Wissenschafts- und Forschungspolitik
1. Mehr Partizipation der Zivilgesellschaft in der Wissenschaft durch Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Formulierung von Forschungsfragen und -programmen sowie in Gremien öffentlich finanzierter wissenschaftlicher Einrichtungen.
2. Einrichtung eines Wissenschaftsforums und eines  Forschungsfonds der Zivilgesellschaft und wissenschaftspolitisches Capacity Building.
3. Entwicklung und Einrichtung  transparenter Agenda-Prozesse für die inhaltliche Schwerpunktsetzung öffentlicher Forschungsförderung.
4. Forschungsprogramme und –aktivitäten für Zukunftsthemen und transdisziplinäre Forschung deutlich ausbauen.
5. Zivilgesellschaft in Forschungsprojekte einbinden bei Problemformulierung, Integration von Praxiswissen und Umsetzung in Forschungsprojekte und bürgernahe,
partizipatorische Einrichtungen wie Wissenschaftsläden stärken und etablieren.
6. Disziplinen übergreifende Strukturen nachhaltiger  Wissenschaft an Hochschulen
und bestehende außeruniversitäre Kompetenzzentren der transdisziplinären
Nachhaltigkeitsforschung fördern.
7. Freien Zugang zu Forschungsergebnissen ermöglichen.
8. Grundlagen und Qualitätsstandards der transdisziplinären Nachhaltigkeits
forschung weiter entwickeln.
9. Jährlich eine Milliarde Euro mehr für transdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung bereitstellen.
10. Ausreichende Ausstattung der Hochschulen für die freie Forschung und Lehre sicherstellen, insbesondere durch die Erhöhung der Grundmittelquote.

 

 

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31. Mai 2013 - Pressemitteilung auch hier zu lesen

 

Forschung geht uns alle an: BUND, DNR und NABU fordern nachhaltige Wissenschaftspolitik

Berlin: Der Deutsche Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Naturschutzbund (NABU) fordern mehr Transparenz und Nachhaltigkeit in der Forschungspolitik. Anlässlich der heutigen Tagung "Partizipation und Transparenz in der Wissenschafts- und Forschungspolitik" in Berlin legten die Verbände zum ersten Mal einen gemeinsamen Forderungskatalog an die Wissenschafts- und Forschungspolitik in Deutschland vor. Dieser Zehn-Punkte-Katalog wurde mit Verbänden aus der Entwicklungszusammenarbeit und dem kirchlichen Umfeld sowie Vertretern der Studentenschaft entwickelt, die sich alle zum Bündnis "Forschungswende" zusammengeschlossen haben. Ziel ist es, eine transparentere Forschungspolitik in Deutschland voranzubringen.

Jedes Jahr gibt die Bundesregierung rund 14 Milliarden Euro zur Förderung von Forschungsprojekten aus. Die damit finanzierten Forschungsprogramme dienen vor allem wirtschaftlichen Interessen. Eine Beteiligung der Zivilgesellschaft, die für eine transparente und nachhaltige Wissenschaftspolitik erforderlich wäre, fehlt bislang.

DNR-Präsident Hartmut Vogtmann: "Natur- und Sozialwissenschaften müssen stärker zusammenarbeiten, um gesellschaftliche Zukunftsthemen zu erforschen. Wir fordern von den Wissenschaftsministerien eine faire Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Formulierung von Forschungsprogrammen."

Hubert Weiger, BUND-Vorsitzender: "Bei vielen Fragen der Energie-, Agrar- und Mobilitätswende fehlt ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Außerdem werden Risiken und Kosten bestimmter Technologien, wie zum Beispiel der Kernfusion, oft ausgeblendet. Die Bundesregierung und das Forschungsministerium müssen ein öffentliches Wissenschaftsforum einrichten, in dem solche Fragen verhandelt werden können."

NABU-Präsident Olaf Tschimpke: "Wir brauchen transparente Prozesse bei der Auswahl der Inhalte und mehr Geld für soziale Forschungsansätze. Nur ein gut finanziertes Wissenschaftssystem kann innovative und überraschende Ideen für eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung bereitstellen. Die Zivilgesellschaft wird so zukünftig zu einem Bündnispartner der Wissenschaft."

Mehr Informationen

Forderungen des Bündnisses und die aktuelle Liste der UnterzeichnerInnen

Rückfragen: Olaf Bandt, BUND-Bundesgeschäftsführer, olaf.bandt@bund.net, Tel. (0 30) 2 75 86-432

 

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http://euroscientist.com/2013/05/is-europe-ready-for-citizen-participation-in-science-policy/

 

Is Europe ready for citizen participation in science policy?

May 31st, 2013

 

 

 

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