Die große …Kommunikation

05.06.2015

Die große ...Kommunikation

Eine Tagung in Berlin beleuchtete die Wechselwirkung von Großer Transformation und Medien

Anfang dieser Woche, am 1. und 2. Juni, fand in der Evangelischen Bildungsstätte auf der Berliner Insel Schwanenwerder die Tagung "Große Transformation und ihre Kommunikation. Ein Change-Prozess im Schatten der Medien" statt. Veranstalter waren die Evangelische Akademie zu Berlin und das Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. (1) Mitorganisator und auch Diskussionsleiter war der Berliner Wissenschaftsjournalist Manfred Ronzheimer, auch Autor dieser Zeilen. An der Tagung beteiligten sich rund 60 Personen, die aus der Wissenschaft und den Kirchen, sowie den Medien und dem Umweltschutz kamen. Der Verlauf der Tagung wurde von vielen als überaus befruchtend und inspirierend empfunden.

Ansatz der Konferenz war das "Matching" von Transformationsforschung / -politik und Journalismus. Es sollte die Frage beantwortet werden, warum das Wissen über neue Lösungsmöglichkeiten gegenüber den großen Herausforderungen im Zeitalter des "Anthropozäns" zwar zunimmt, die Berichterstattung in den Medien im Vergleich dazu eher schwindet. So liegen von verschiedenen Beratungsgremien der Bundesregierung, dem Umwelt- und dem Forschungsministerium sowie vielen einflussreichen Forschungsgruppen in Deutschland Vorschläge vor, wie man die Gefährdungen der biologischen Vielfalt, des allein quantitativ an Wachstum ausgerichteten Wirtschaftens, die Versauerung und Überfischung der Meere oder schleichende, sich akkumulierende Belastungen von Öksoystemen oder die Herausforderungen in Ballungszentren meistern könnte.
Sind kommunikative Übertragungsfehler zwischen Wissenschaft und Medien die Ursache dafür? Liegt eine Wahrnehmungsverweigerung oder eine Schreibhemmung auf Journalistenseite vor? Wie könnten in einer positiven Kooperation und Verstärkung die Medien die Tätigkeit der Transformations-Akteure unterstützen? Und welche Modelle für einen derartigen Transformationsjournalismus / Lösungsjournalismus gibt es bereits?

Diese Themen sind sowohl für die Umwelt- und an Nachhaltigkeit orientierten wissenschenschaftlichen Einrichtungen von Bedeutung, als auch für einen größeren Teil der Bevölkerung: Denn dieser bleiben - will sie sich nicht selbst auf wissenschaftliche Pfade begeben - unbemerkt wichtige Vorschläge für eine nachhaltigere Gestaltung des ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes vorenthalten. Was erfährt man über die Leistungsfähigkeit von neuen Ansätzen in Richtung "Clean" oder Smart Cities? Was ist, wenn das Bruttoinlandsprodukt uns letztlich einen illusionären Wohlstand suggeriert, obwohl viele soziale Kosten, auch die soziale Ungleichheit zunehmen und ökologische Schäden ständig steigen? Wäre eine Grüne Wirtschaft, wie auf dem Rio+20 Gipfel erörtert oder von Organisationen wie der UN und sogar der OECD verfolgt, ein möglicher Lösungsweg? Welche besseren Gestaltungsmöglichkeiten der Energiewende auf verschiedenen politischen Ebenen können weiterhelfen?

Entdeckung des "dritten Orts"

Durch die Beiträge anderer Referenten sowie die Diskussionen im Plenum ist deutlich geworden, es braucht drei Gruppierungen (oder "Orte") um die Frage einer Veränderung wichtiger gesellschaftlicher Bereiche voran zu bringen. Der erste Ort ist die Wissenschaft und Forschung, einschließlich inhaltlich unabhängiger Beratungseinrichtungen wie dem Wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderungen. Der zweite Ort ist die Gesellschaft, einschließlich der gestaltenden Akteure in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Der dritte Ort ist ein selbst gut informierter, auch an Zusammenhängen interessierter Journalismus, welcher eine wichtige Schnitt- oder auch Transferstelle darstellt. Nur auf diese Weise kommt ein wirklicher öffentlicher Raum zustande, in dem über solche weitreichenden Ideen, deren Chancen und Risiken sowie die Gestaltungsziele gesprochen werden kann. Die öffentliche Meinungsbildung ist ein hohes Gut in Zeiten der absichtlichen und unabsichtlichen Veränderungen.

Foto: Angeregte Gespräche auch in der MIttagspause der Tagung (MR)

Die Tagung bot viele, gut ausgewählte Beispiele, Erfahrungen und Analysen, um sich einem neuen Deutungs- und Handlungsmuster unter den Bedingungen des Anthropozäns anzunähern. Bereichernd war die Einbeziehung der Politik, die neben den Medien eine weitere Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verkörpert.
Ein Teil der Diskussion wurde auf das gemeinsame Interessensfeld der Semantik verwendet: Die Bildung von neuen Begriffen, ihre Sinn-Füllung und Verständlichmachung sind sowohl Anliegen von Wissenschaft als auch Journalismus. Je nach Zielgruppen und Kommunikationslevel verändert sich jedoch die Brauchbarkeit von Begriffen. In breiten Kreisen gilt "Nachhaltigkeit" bereits als vernutzter Begriff, der sich mit schwammiger Beliebigkeit füllen lässt statt präzise Benennung eines Sachverhalts zu ermöglichen. Auch bei Journalisten in den Medien. Andere wiederum erwiderten: "Pardon, das höre ich nun seit es Nachhaltigkeit gibt, vor 15 Jahren bzw. zu Anfang von desinteressierter Seite, und nun von Leuten, die zu müde oder unfähig sind, um sich schlichtweg zu informieren. Inzwischen sind selbst die Bundesregierung und Unternehmen in diesem Bereich soweit, dass der Begriff akzeptiert ist."

Dem Begriff "Transformation" ergeht es derzeit ähnlich, während "Anthropozän" noch eine fremdländische Vokabel ist, die eher abgrenzt und - im Widerspruch zum Gegenstand - keine "große Kommunikation" zuwege bringt. Sprachbildung, auch um die "Grenzen des Denkens" (Niebert) zu überwinden, ist das erste Rüstzeug, um gegen das Schweigen bzw. Flüstern in der Kommunikation über Transformation anzugehen. Es braucht mehr Lautstärke und zuweilen auch Schreie.

Doppelte Transformation

Die Tagung zeigte, dass ein wesentlicher Teil des Problems (Forschung und Medien) im Phänomen einer doppelten, ja ineinander verflochteten Transformation besteht. Dieser Zusammenhang ist sicherlich noch nicht im öffentlichen Bewußtsein angekommen, auch noch nicht in vielen Bereichen der Wissenschaft oder der Medien selbst: Die Große Transformation ist die erdgeschichtliche Verwandlung des Natur- in einen Menschenplaneten unter krasser Missachtung der planetaren Belastungsgrenzen. Eine "kleinere" Transformation innerhalb der "großen" ist der Wandel des Mediensystems von analogen in digitale Produktions- und Distributionsverhältnisse, verbunden mit dem Wegbrechen alter Geschäftsmodelle. Diese Medientransformation bindet derzeit viele Kapazitäten, die früher für eine gesellschaftsbezogene Kommunikation zur Verfügung standen. Internes Medienthema Nummer eins ist derzeit das Überleben der eigenen Branche und Profession, nicht das Überleben des Planeten. Damit verbunden ist die Diktatur der Pfadabhängigkeiten, die bis zum Untergang am Abschreiten alter Wege festhält, statt sich auf den Rettungspfad innovativer Abzweige einzulassen.

Foto: Der Tagungsort EAB Schwanenwerder (MR)

Diese Innovationen aus dem Medien-System wurden in der Tagung auch behandelt. Es gibt Ansätze - wie das bundesweit verbreitete Umweltmagazin zeo2 oder die Wuppertaler Stadtzeitung talwaerts -, die eine ökologisch-transformative wie auch eine gesellschaftskritische und -verändernde Blattlinie vertreten. Hervorzuheben ist, dass sich diese neuen Medien nicht per se als Transformations-Publikationen verstehen, auch wenn sie in Meinung und Handlung ihrer Leser faktische Transformations-Impulse geben können. Diese Medien, die derzeit einen lokalen Entstehungstrend haben, auch in Kombination mit einem "partizipativen Journalismus" unter Einbeziehung der Leser, orientiert in erster Linie auf das Alltagsleben und die kleinräumlichen Bezüge. Die globalen Rahmungen werden aber nicht ausgeblendet, sondern auf den Boden des Stadtviertels heruntergeholt und sprachlich verständlich gemacht.

An diesem Punkt fand die Schwanenwerder Tagung ihr zeitliches Ende. Nicht erörtert wurde, in welchen Zustand das Mediensystem in den nächsten 5 bis 15 Jahren hin entwickelt werden muss, um eine relevante Rolle im Kontext der Großen Transformation von Umwelt und Gesellschaft zu spielen. Stichworte wie Commons: gesellschaftsrelevante Information als gesellschaftliches Gemeingut, öffentlich-rechtliche Zeitungen und Informationsportale im Web und Social Media, partizipativer Journalismus in Stadtbibliotheken ohne funktionierende Lokalpresse konnten noch umrissen, aber nicht mehr vertieft werden.

Liegen gebliebene Themen

Insgesamt zeichnete sich ab, dass auf Medienseite die Vorherrschaft der dinosaurier-großen Medien möglicherweise zu Ende geht, und die gesellschaftliche Kommunikation über kleinteiligere, personalisierte, schnellere, interaktive, "coolere" Medienformate stattfinden wird. Das verlangt von den Journalisten im Berufshandwerk enorme Veränderungen, vor allem technischer Art. Journalistisches Ethos bleibt und wird sogar wichtiger als früher, weil künftiger Markenkern. Die Wissenschaft und Transformationsforschung muss bereitstehen, ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen in einer Vorarbeit auch für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten. Die künftige Kommunikation der Großen Transformation wird keine Titelgeschichte in einem großen Nachrichtenmagazin sein, sondern eine Informations-Kaskade, die möglichst viele Teilgruppen der Gesellschaft in ihren Milieus, Sprachen und Medien erreicht. Die Transformation der Kommunikation ist auch das Ende des Mainstream und die Eroberung einer medialen Diversität. Vielleicht das Thema der nächsten Tagung, wer immer sie hosten mag.

(Eine umfassendere Dokumentation der Beiträge ist in Vorbereitung)

 

Manfred Ronzheimer und Roland Zieschank

(1) http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3805

 

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