27.06.2016
„Dramatisch falsch informiert"
Konferenz in Schwanenwerder über die Rolle der Medien in der Großen Transformation
Wird über die „Große Transformation", der grundlegende Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Nachhaltigkeit, in den Medien zu wenig berichtet? Lässt sich womöglich ein umfassender Informations-Blackout zu Themen planetarer Auswirkung feststellen? Und wenn dem so ist, lassen sich andere, neue Medien aufbauen, die die Fakten und Handlungsnotwendigkeiten des Anthropozäns besser in die Bevölkerung tragen?
Darüber diskutierten in der vorigen Woche auf der Berliner Wannsee-Insel Schwanenwerder die Teilnehmer der Konferenz „Blackout Planet. Die Große Transformation und das Schweigen der Medien". Veranstalter waren die Evangelische Akademie Berlin, das Haus der Zukunft und das Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. Auch das N21 war mit einer Präsentation durch Fritz Hinterberger vertreten.
Um es vorweg zu nehmen: Die Auffassungen zur Blackout-These waren geteilt. Während einige der Referenten erhebliche Defizite bei der medialen Verarbeitung der „großen gesellschaftlichen Herausforderungen" sahen, befanden andere, dass der Umwelt- und Nachhaltigkeitsjournalismus seine Chronistenpflicht und Wächterrolle durchaus passabel erfülle. Beiden Gruppen gemeinsam war aber die Sorge, dass der rasch voranschreitende Medienwandel in Kombination mit dem Wegfall journalistischer Arbeitsplätze Qualität und Umfang der transformationsbezogenen Berichterstattung verringern könnte - und es auch schon tut.
Medienversagen vor den Klimaleugnern
Stefan Rahmstorf, Professor für Physik der Ozeane am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und 2011 Mitautor der WBGU-Studie zur „Großen Transformation" hob in seiner Eröffnungs-Keynote hervor, dass es in der Wissenschaft eine 97-prozentigen Konsens über die Realität des Klimawandels geben. „Aber die Öffentlichkeit ist darüber dramatisch falsch informiert", sagte Rahmstorf. Die meisten Mediennutzer seien der Meinung, die Wissenschaftler wären in dieser Frage 50:50 gespalten. „Hier liegt ein Medienversagen vor, wenn das beim Publikum so ankommt". Ein Grund Grund dafür sei die vor allem in USA vorherrschende Medien-Regel, zu jeder Position eine Gegenmeinung zu präsentierte. So wird jedem neuen Befund der Klimaforschung um einen Widerspruch eines Klimaskeptikers ergänzt, auch wenn dessen Faktenaussagen nicht stimmen. Gut dokumentiert ist in den USA, wie die Fraktion der Klimaskeptiker über Stiftungsmittel aus der Fossilwirtschaft finanziert werden. Zwischen 2003 und 2010 wurden 558 Millionen Dollar für Aktivitäten der Klimaleugner ausgeben, berichtete Rahmstorf. Eine solche Verdrehung der öffentlichen Diskussion halte aber davon ab, über das eigentlich Notwendige zu berichten. Die Konsequenz des Potsdamer Klimaforschers: „Ich blogge, um meine Themen und Ansichten direkt zum Ausdruck zu bringen, ohne den Filter der Medien".
Notwendige Debatten, die Rahmstorf derzeit in den Medien vermisst, sind etwa: Wie muss das Pariser Klima-Abkommen, das ein sensationeller Erfolg ist, umgesetzt werden, um zu einem maximalen Temperaturanstieg von nicht mehr als 1,5 Grad zu kommen? Denn die in Paris gemachten Zusagen führen zu einem Anstieg um 3 Grad. Bis wann müssen wir unsere Umstellung auf 100 % erneuerbaren Strom erreicht haben? (Bis 2040). Bis wann dürfen keine fossil betriebenen Autos und Heizungen mehr in Betrieb sein? (Bis 2030). Rahmstorf: „Darüber liest man leider noch sehr wenig in den Medien".
Dieter Janacek, Bundestagsabgeordneter der Grünen, war der Auffassung, dass es in Deutschland - anders als in den USA - das „Schweigen der Medien" nicht gebe. So sei sein Vorschlag, bis zum Jahr 2025 auf emissionsfreies Autofahren umzusteigen, von den deutschen Medien aufgegriffen worden. Auch bei anderen Themen, wie Divestment oder Fahrradvolksbegehren, habe er keine mediale Ablehnung erfahren. Im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft bei den Tutzinger „Transformateuren" schnitt Janecek das Problem an, dass es eine Ängstlichkeit gebe, „Botschaften auszusenden, die auch angreifbar sind". Zum Beispiel weniger Fleisch esse n oder weniger autofahren. Auch seine Partei habe damit einschlägige Erfahrungen gemacht. Seine persönliche Devise laute aber: „Lassen Sie uns über die Chancen reden". Daher sollten auch in den Medien „,mit aller Kraft die Zukunftsthemen nach vorne gebracht werden".
Bürger an der Umweltpolitik beteiligen
Auch Christiane Schwarte, die im Bundesumweltministerium in der Grundsatzabteilung tätig ist und früher selbst Pressesprecherin eines Umweltministers war, kam mit der Wahrnehmung: „Ich kann die Diagnose vom Schweigen der Medien nicht teilen". Sie kenne viele engagierte Medienleute in diesem Bereich. Die Energiewende sei auch eine mediale Erfolgsgeschichte. Schwarte zitierte aber auch eine Untersuchung des Grimme-Instituts, wonach dem deutschen Fernsehen das „Agendasetting für die Nachhaltigkeit" nicht gelungen sei: „Ausbleibende Wirkungen". Zwar sei ihr persönlicher Befund nicht so negativ, doch müsse eingeräumt werden, dass allein schon die Zentralbegriffe Nachhaltigkeit und Große Transformation sprachlich „schwer vermittelbar seien". Hier wären eigentliche (die Grimme-Studie stammt von 2004) neue Untersuchungen zur Situation und Verbesserungsmöglichkeiten nötig.
Die BMU-Vertreterin schilderte weiter wie ihr Haus, neue Ansätze entwickelt, um die Bürger stärker an der Umweltpolitik zu beteiligen. Dies geschehe im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung der Umweltpolitik („Agenda für eine integrierte Umweltpolitik bis 2030"), an der gegenwärtig gearbeitet werde. Dazu wurden in sechs Städte „Bürgerräte" und „Bürgerumweltforen" veranstaltet, in denen es nicht um Regierungs-PR ging, sondern darum, die Meinungen der Bürger zur Umweltpolitik aus erster Hand zu erfahren. Die am häufigsten diskutierten Themen waren Ernährung, Landwirtschaft und Tierschutz. Das Feedback der Bürger sei gut bis sehr gut gewesen, teilweise auch recht „verbändekritisch", etwa bei Fragen des Klimaschutzes. Leider sei es so gewesen, dass sich die örtliche Presse, mußte Frau Schwarte ihre Medienlob etwas relativieren, „für diese Basisarbeit nicht interessiert" habe.
Weniger Tiefgang im Journalismus
Joachim Wille, ehemaliger Umweltredakteur der „Frankfurter Rundschau", und Dagmar Dehmer, die im Berliner „Tagesspiegel" die Umweltthemen betreut, gaben dann konkreten Einblick in die Produktionsbedingungen auf Presseseite. Das Umweltressort, so Wille, habe in den letzten 40 mehrere Wellen durchlaufen, vom erfolgreichen Anschreiben gegen das Waldsterben Anfang der 80er Jahre bis zum Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels 2009: „Da wollte ich meinen Beruf an den Nagel hängen". Die heutige Umweltberichterstattung fand Wille zu aktualitätsfixiert: „Es gibt immer weniger Texte, die in die Tiefe gehen".
Dagmar Dehmer schnitt das Glaubwürdigkeitsproblem, dem sich auch viele Qualitätsmedien ausgesetzt sehen. Durch die sozialen Medien gebe es immer mehr fragmentierte Öffentlichkeiten, die aber nicht bereit seien, sich gegenseitig auszutauschen: „Ich merke eine große Unlust, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen", stellte Dehmer fest. „Das hat Folgen für die Art, wie wir arbeiten". Zu den Umweltthemen wies sie darauf, dass die jungen Schreiber fehlen: „Ich merke, dass der journalistische Nachwuchs nicht wild auf das Thema ist, selbst man sich privat im Öko-Bereich engagiert, aber darüber zu schreiben: Keine Lust".
Martin Jänicke, einstiger Gründungsdirektor des Forschungszentrums für Umweltpolitik der FU, sah angesichts des tiefgreifenden Medienwandels die Notwendigkeit, dass sich auch die Politik mit der Sachlage beschäftigen müsse. Dem Qualitätsverfall des Journalismus könne bei seiner Bedeutung für die Demokratie nicht nur von einzelnen Journalisten und Pressetiteln Paroli geboten werde. Jänicke: „Eine generelle Medienreform ist nötig". Konkret schlug der Umwelt-Professor die Einrichtung einer Enquete-Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen vor. Einer könnte darin bestehen, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz nur solchen Medien mit einem bestimmten Qualitätslevel zuzuerkennen. Jänicke: „Wir müssen die Reform der Medien auf die Tagesordnung setzen, sonst wird es schwer für zukunftsbewußtes Handeln in unserm Land".
Reaktivierung der Agenda21-Prozesse
In der abschließenden politischen Diskussionsrunde, an der auch die SPD-Bundestagesabgeordnete Daniela deRidder teilnahm, forderte der Vorsitzende des Bund für Natur und Umwelt Deutschland (BUND), Hubert Weiger, eine stärkere Unterstützung für Ansätze einer transformativen Wissenschaft. Die Ansätze nach dem WBGU-Gutachten, etwa der Transformationskongress 2012 oder die Einrichtung der Zivilgesellschaftlichen Plattform „Forschungswende", seien steckengeblieben oder hätten nicht die erhofften Erfolge gebracht. „Wir haben es weder geschafft, in unseren Umweltorganisationen eine Innendebatte in Gang zu bringen, noch die Gesellschaft mit unseren Zielen zu erreichen", räumte Weiger selbstkritisch ein. Dies habe auch damit zu tun, dass den Transformationsansätzen in den letzten Jahren massiver Gegenwind ins Gesicht geblasen habe, etwa beim Abwehrkampf gegen das Erneuerbare Energien-Gesetz, beim Kohleausstieg oder bei der Verhinderung der Agrarwende.
Der Prozess der Großen Transformation verlangt nach Ansicht Weigers jetzt den Wechsel zu verstärkten Aktionen und Bündnissen vor Ort. So etwa in der Lausitz: „Es ist ein Treppenwitz, dass wegen 7000 Kumpel in der Lausitz die schlimmsten Kohlekraftwerke noch immer nicht vom Netz gehen können", kritisierte Weiger. Dort müssten aber zugleich Anstrengungen für alternative Arbeitsplätze ergriffen werden. „Wir brauchen beides: Konzepte für Umwelt und Arbeitsplätze", sagte der BUND-Vorsitzende.
„Wir müssen die Akteure vor Ort zusammenbringen und weit in die Gesellschaft hineinwirken", forderte Weiger. Eine Chance sei in der Reaktivierung der Agenda21-Prozesse, die nach dem Erdgipfel von Rio 1992 mit einer kommunalen Transformationsarbeit begonnen hätten. Als Beispiel für einen solchen Prozess könne Schweinfurth angesehen werden. Die bayerische Mittelstadt sei wirtschaftliche stark von der Automobilindustrie abhängig, weshalb es bereits lokale Diskursprozesse über alternative Entwicklungspfade gebe. Weiger: „Das ein spannender, aber auch mühsamer Prozess der Vertrauensbildung vor Ort". Doch der - gute - Wandel komme nicht von selbst. „Transformation heißt auch, dass es Verlierer gibt, und das sind nicht die Schwächsten im Land", schäfte der BUND-Vorsitzende ein. Das bedeute: „Wir brauchen völlig neue Formen der Zusammenarbeit".
Kommunikation am „Dritten Ort"
Als „Location" für diese neue Kooperation hatte der Direktor des Berliner Hauses der Zukunft, Reinhold Leinfelder, das Konzept des „Dritten Ortes" eingebracht. Im Unterschied zu den beiden ersten Orten, dem Wohnraum mit seiner Privatsphäre, und dem zweiten Ort des Arbeitens, die beide relativ geschlossen sind, folgt der „dritte Ort" dem Gedanken der Öffentlichkeit, in der Individuen als Gesellschaft zusammenkommen. An diesen Orten solle die Kommunikation im Mittelpunkt stehen. Die Besonderheit dritter Orte besteht darin, dass sie offen und inklusiv sind, soziale Unterschiede aufheben, wechselseitige Hilfeleistung ermöglichen, eine spielerische Note haben. Als mögliche Dritte Orte nannte Leinfelder Museen, Bibliotheken, Akademien, Reallabore, offene Partizipationsräume, „Urban spaces", Social Media, partizipativer Journalismus sowie Citizen Science. Auch sein Haus der Zukunft ist dieser Kategorie zuzurechnen. Zukunft wird dort nicht als Bestimmtheit verstanden, sondern als „Möglichkeitsraum", der aus Wahrscheinlichkeiten, Optionen und Wünschbarkeiten geformt wird.
Manfred Ronzheimer