Wissenschaftskommunikation im Bundestag

13.10.2015

Wissenschaftskommunikation im Bundestag

Ein Blick in die Stellungnahmen der Sachverständigen

 

Am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015 findet im Deutschen Bundestag als 43. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung um 09:30 Uhr, Sitzungsort: Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.300 ein öffentliches Fachgespräch zum Thema "Stand und Perspektiven der Wissenschaftskommunikation" statt. - mehr hier
Geladen sind sieben Experten, die schon vorab dem Ausschuss die zentralen Aussagen ihrer Stellungnahmen zugeschickt haben. Die Anhörung wird auch live im Bundestags-Fernsehen übertragen.

 (Abb. Leinfelders "Dritter Ort" - Ein neuer Treffpunkt von Wissenschaft und Gesellschaft - Quelle

Die Anhörung zur Wissenschaftskommunikation morgen im Bundestags-Forschungsausschuss hat beste Aussichten, zum Langweiler der Woche zu werden. Das ergibt sich auf der Grundlage der Papiere, die von den Sachverständigen zuvor eingereicht wurden. Im Wesentlichen wird der Status quo, wie Wissenschaft und Gesellschaft kommunikativ zusammen kommen, für in Ordnung befunden. Wenn daran etwas geändert werden soll - einige Vorschläge werden gemacht -, dann bitte erst nach Überweisung von Staatsknete. Der kritische Wissenschaftsjournalismus kommt praktisch gar nicht mehr vor. Es liegt nun an den Parlamentariern, aus dieser Session noch ein brauchbares Ergebnis heraus zu holen.

Der Elefant im Raum
"Die Wissenschaftskommunikation befindet sich im Aufwind und der Wissenschaftsjournalismus in der Krise". So bringt es Jan-Martin Wiarda auf den Punkt. Kein Wunder, er ist Journalist - war aber bis vor kurzem auch mal Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft, dem größten staatlichen Forschungstanker. Zur Wissenschaftskommunikation schlägt er vor: "Weniger in Leuchtturmprojekte investieren, mehr in die Ideen vor Ort". Beispiel 1: Best-Practice-Wettbewerb für themenorientierte, partizipative, dialogorientierte Wissenschaftskommunikation ausloben; 2: Ausschreibung für öffentlich finanzierte Citizen-Science-Beauftragte für Wissenschaftseinrichtungen. Zum WJ hält er "Geschäftsmodelle für das 21. Jahrhundert" für geboten. (Das wird freilich von keinem Förderer derzeit angepackt). Dann spricht Wiarda den unsichtbaren Elefanten an: "Das Modell einer öffentlich-rechtlichen und zugleich staatsfernen Finanzierung von (Wissenschafts-)Journalismus jedweder Form steht im Raum, ist aber noch nicht zu Ende diskutiert." (Das hatte ich auch in meinem Commons-Artikel in der Wandeltaz aufgegriffen). Hoffnung setzt er in die Stiftungen und verweist auf konkrete Schweizer Modelle, die man in Deutschland prüfen sollte. Die Schlussbemerkung gilt der Digitalisierung und der Boom der Social Media. Zu diesem Thema brütet auch die Akademien-Gruppe WÖM II, die aber ihr erstes Coming Out auf den März 2016 verschoben hat.
Stellungnahme von Herrn Jan-Martin Wiarda, Journalist für Bildung und Wissenschaft, Teltow (pdf | 49 KB)

Partizipation auf Wunsch der Politik
Am Statement von Meyer-Guckel fällt auf, wie viel Gewicht er der Bürgerwissenschaft (Citizen Science) und der Partizipation einräumt. Nach dem PUSH-Prozess zur Wissenschaftskommunikation, angestossen vom Stifterverband vor 15 Jahren, gebe es jetzt "neue Herausforderungen". Diese seien - und das ist ein Unterschied zu PUSH (wissenschaftsgetrieben) - heute "aus der Politik abgeleitet: neue Ansprüche von Transparenz und Partizipation, auf die Wissenschaft mit neuen Formaten reagieren muss". Man merke: So wie die Exzellenzinitiative von außen, von der Politik an die Wissenschaft herangetragen wurde (mit dem großen Geld-Füllhorn), so kommt auch die Bürgerpartizipation exogen auf die Wissenschaft zu. Bei Citizen Science ("Diese Formate stecken in Deutschland noch in den Kinderschuhen") betont Meyer-Guckel : "Wichtig bei der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung solcher Projekte ist die Federführung der Wissenschaft". Weiter unten hebt er den Stockschen Zeigefinger und warnt wie der Berliner BBAW-Präsident im vorigen Jahr vor der Beschädigung der Forschungsfreiheit durch die "zivilgesellschaftlichen Lobbygruppen". Der interessanteste Satz bezieht sich auf den "Umgang mit kritischen Themen", die gesellschaftlich umstritten sind. Er nennt kein Beispiel, aber die Politiker dürften Bescheid wissen. "Hier reicht es nicht länger, eine vermeintliche "Stimme der Wissenschaft" in die Gesellschaft und Politik zu tragen, sondern die Wissenschaft muss anschlussfähig werden an nicht-wissenschaftliche Diskurse", gibt Meyer-Guckel zu Protokoll. "Diesen Schritt haben die Wissenschaftskommunikation und die Politik-Beratung durch die Wissenschaft noch nicht vollzogen." Eine Aussage von Relevanz.
Stellungnahme von Herrn Dr. Volker Meyer-Guckel, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Berlin (pdf | 128 KB)

Entgrenzung der Wissenschaft
Julia Wandt, Kommunikationschefin der Universität Konstanz und in ihrer Funktion als Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation vor dem Ausschuss, schildert beredt, wie sich "das Rollenverständnis, das Verhalten und auch der Anspruch der Akteure in der Wissenschaftskommunikation in den vergangenen Jahren stark verändert" haben. Diversifizierung der Aufgaben bis hin zu strategischer Beratung, neue Techniken und neue Kanäle, die digitale Explosion der Medienwelt und schließlich - die Formulierung von Siggen - "die Entgrenzung des Systems Wissenschaft zu anderen Systemen" (wie die Öffentlichkeit, die Medien und die Politik), das alles haben die einstigen Pressestellen nun zu schultern. Zwar gehe es der WK darum, neben Forschung und Lehre der Hochschulen auch "ihre gesellschaftliche Relevanz zu kommunizieren". Das ist die unausgesprochene dritte Mission, die aber nicht weiter ausgeführt wird. Mehr Platz und Funktionalität hat die Kommunikation im Kontext der Exzellenz-Wettbewerbs. Ausführlich geht es dann um die Agenda ihres Verbandes: die Werte-Diskussion der WK und die Qualitätssicherung. Der WJ wird in einem Satz abgehandelt: "Der - dringend benötigte - (Wissenschafts)Journalismus als kritischer Beobachter, Kommentator und bewertende und einordnende Instanz ist bereits schwächer geworden". Als ein Partner auf Augenhöhe wird er nicht mehr angesehen - das Siggener Papier und die jüngste WOWK-Konferenz in Hannover sind Belege dafür.
Stellungnahme von Frau Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, Universität Konstanz, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Marketing / Pressesprecherin (pdf | 163 KB)

Informationsinfrastrukturen (?)
Keinerlei Impulse weist das Papier von Prof. Dr. Antje Boetius, Vorsitzende des Lenkungsausschusses Wissenschaft im Dialog, Universität Bremen, auf. Einem etwas länglichen Sachstandsbericht folgen mehrere Spiegelstrichvorschläge, die aber nicht ausgeführt werden. - So wird für die "Anerkennung der Wissenschaftskommunikation als wissenschaftliche Leistung (neben Forschung und Lehre)" plädiert - auch hier die Marschroute "Dritte Mission", die "besondere Kompetenzen und personelle, infrastrukturelle und finanzielle Ressourcen braucht". Gefordert wird auch die "Unterstützung von unabhängigem Wissenschaftsjournalismus (z.B. durch Preise, Weiterbildungsangebote, Open Science, Informationsinfrastrukturen)". Finde ich natürlich gut, aber was verbirgt sich hinter dem letzten Begriff? Das geheimnisumwobene Science Media Center etwa? Die MdBs müssen es direkt erfragen.
Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Antje Boetius, Vorsitzende des Lenkungsausschusses Wissenschaft im Dialog, Universität Bremen, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (pdf | 86 KB)

Der legendäre Wormer-Vorschlag im WK-Hinrichtungsgespräch bei Spiegel-Online: "Die Gelder, die bisher für "Wissenschaft im Dialog" und andere Initiativen ausgegeben wurden, sollten in eine Stiftung oder einen Fonds fließen, der unabhängigen Wissenschaftsjournalismus fördert" (Fundstelle) wird selbstredend nicht aufgegriffen.

Forschung ohne Journalismus

Ein interessanter Fall ist die Stellungnahme von Thomas Korbun vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH für das Netzwerk Ecornet - Ecological Research Network der freien, nicht-staatlichen Ökoforschungs-Institute. Sie sind seit den 70er Jahren aus der Zivilgesellschaft gegen die etablierte Mainstream-Wissenschaft entstanden. Aber für mich ist auffallend, wie ihnen in dieser Nische der Kontakt zum Wissenschaftsjournalismus als dem Kommunikator auf Seiten der Gesellschaft ziemlich weitgehend verloren gegangen ist. In Korbuns Statement kommt der Terminus "Journalismus" kein einziges Mal vor.
Die Hauptthemen sind Bürger- und ZGO-Beteiligung in der Forschung sowie die "gesellschaftliche Relevanz" (GGH). WK setzt nach diesem Verständnis nicht erst nach Vorliegen des Forschungsergebnisses ein, sondern gehört bereits zum Modus der "Ko-Produktion von Forschungsergebnissen mit außerwissenschaftlichen Akteuren". Wie das konkret aussehen soll, wenn auf Medien verzichtet wird, ist mir ein Rätsel. Mir schwant, dass sich beide Seiten dann doch unter Ausschluss der (Medien-) Öffentlichkeit treffen und besprechen wollen. Ausführlich geht es dann zum GGH-Papier des Wissenschaftsrates, das von den meisten nicht beachtet, von wenigen überbewertet und von keinem konkret umgesetzt wird. Wenn man Herrn Korbun fragt, ob das gegenwärtiges Wissenschaftssystem über die "Voraussetzungen und Kompetenzen für derartige partizipative Suchprozesse in hinreichendem Maße verfügt", dann antwortet er: "Es gibt einige Anzeichen dafür, dass hier noch Entwicklungsbedarf besteht."

SÖF kommuniziert Wissenschaft
Als Testfeld wird die "Sozial-ökologische Forschung" im Rahmen des FONA-Programms des BMBF vorgeschlagen. "Die Projekte und Förderthemen der SÖF experimentieren auf vielfältige Weise mit transdisziplinären Methoden und mit Elementen der Wissenschaftskommunikation", schreibt Korbun. Die würde ich als Wissenschaftsjournalist gerne einmal kennenlernen. Weiter heißt es: "Eine systematische Auswertung der diesbezüglichen Erfahrungen und eine daran anknüpfende Entwicklungsarbeit zur Konzeption und Erprobung von neuen, partizipativen Methoden der Wissenschaftskommunikation während und nach der Forschungsarbeit stehen aus. Ich sehe darin ein Potenzial. Das BMBF hat dies im FONA3-Programm bereits skizziert und weist auf die Bedeutung einer "modernen Wissenschaftskommunikation" hin, "die kollaborative und dialogische Elemente berücksichtigt". Das ist nun schon sehr konkret und bereits die Vorstufe eines Fördermittel-Antrags. Abschließend wird über Bande der Ball von der Forschungswende angenommen. Wörtlich heißt es: "Partizipative Wissenschaftskommunikation braucht Gesprächspartner. Die Politik sollte mit dazu beitragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Handlungsbedarf besteht bei den zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie entdecken seit einigen Jahren die Wissenschaftspolitik als Handlungsfeld neu, es fehlen jedoch weitere Strukturen und Ressourcen". Auch hier geht es wieder um Staatsgelder: Das BMBF soll die Plattform Forschungswende unterstützen, was bisher nur das Umweltministerium getan hat.
Stellungnahme von Herrn Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH / Ecornet - Ecological Research Network, Berlin (pdf | 168 KB)

Kommunikation für gesellschaftlichen Wandel
Viel Lesestoff hat auch die Sprecherin der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende bei der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e. V. , Dr. Steffi Ober, mitgebracht. Unter Bezug auf die Akademie-Stellungnahme vom letzten Jahr ("Zur Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den Medien" von Leopoldina, acatech und der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften) - auf deren Vorschläge und deren Umsetzung erstaunlicherweise keiner der Experten eingeht (Eine über zweijährige Arbeit für den Papierkorb?) - wird der Bogen "von der Scientific Literacy zur Transformative Literacy" geschlagen. Zwar etwas höhenfliegerisch, aber doch von Relevanz - und eben Zündstoff (siehe Meyer-Guckel) zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, damit auch Politik. Die Kernfrage lautet für Ober: "Wie kann Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, dass sich eine transformative Literacy in der Gesellschaft und somit die Resonanz für notwendige, gesellschaftliche Wandlungsprozesse erhöht? Wie erzeugt man Lust auf Veränderung, Lust auf Zukunft und Gestaltung?"

Auch in Obers Kommunikationsentwurf kommen keine Wissenschaftsjournalisten mehr vor. Einmal nur ist von "Medien" die Rede, um ein abschreckendes Beispiel von irregeleiteter Kommunikation anzuführen. ("...andererseits werden gerade die Skandale und dramatisch darstellbare Gefahren von den Medien gerne aufgegriffen - bad news are good news"). Die Wächterfunktion der Presse, der Wissenschaftsjournalist, der kritisch auf die Vorgänge in der Wissenschaft wie auch in der Wissenschaftspolitik eingeht, kommt weder bei der Forschungswende vor noch bei der Mehrzahl der anderen Experten. Da ist etwas verrutscht, gerade bei den Akteuren, die für die Seite der Gesellschaft sprechen wollen. Ich vermute, der Politik, die viel mehr mit kritischer öffentlicher medialer Berichterstattung zu tun hat als die Wissenschaft, wird das auch etwas rätselhaft vorkommen.
Stellungnahme von Frau Dr. Steffi Ober, Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e. V., Berlin (pdf | 251 KB)

Der Dritte Ort
Mit echt originellen Gedanken wartet der neue Chef des Hauses der Zukunft, Reinhold Leinfelder, auf. Er steht mit seinem 58-Mio-Euro-Projekt unter dem Druck, Wissenschaft und Technik anders unters Volk zu bringen als bisher. Seine Idee: Neben Wissenschaft und Gesellschaft - die bislang, auch hier im Bundestag wissenschaftskommunikativ direkt miteinander verbunden werden sollen - brauche es "einen neuartigen "Dritten Ort", in dem Offenheit, Freiheit, Selbstdistanz, Reflexion, Dialog, konstruktiver Diskurs und Kreativität zu größtmöglicher Transparenz im Wissenschaftsprozess, aber auch zu bestmöglicher Legitimierung von und Freude an Wissenschaft führen können." Solche "Dritte Orte" könnten nach Vorstellung Leinfelders "sowohl lokalisiert (Museen, Hausder Zukunft, Reallabore, Schulen) als auch netzwerkbasiert sein". Ziemliche Zukunftsmusik, aber damit auch passend zum Zukunftshaus.
Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Direktor Haus der Zukunft gGmbH, Berlin (pdf | 126 KB)

Manfred Ronzheimer

(Dieser Text wurde eigens geschrieben, um vor Augen zu führen, was den Unterschied zwischen Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation ausmacht)

 

Beachten Sie auch:

 

Frag-würdige Wissenschaftskommunikation

Antworten von Manfred Ronzheimer, Wissenschaftsjournalist
InnoMonitor, 12.10.2015 - TE1877a

 ZN12219a

 

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