13.10.2015
Ein Blick in die Stellungnahmen der Sachverständigen
(Abb. Leinfelders "Dritter Ort" - Ein neuer Treffpunkt von Wissenschaft und Gesellschaft - Quelle)
Die Anhörung zur Wissenschaftskommunikation morgen im Bundestags-Forschungsausschuss hat beste Aussichten, zum Langweiler der Woche zu werden. Das ergibt sich auf der Grundlage der Papiere, die von den Sachverständigen zuvor eingereicht wurden. Im Wesentlichen wird der Status quo, wie Wissenschaft und Gesellschaft kommunikativ zusammen kommen, für in Ordnung befunden. Wenn daran etwas geändert werden soll - einige Vorschläge werden gemacht -, dann bitte erst nach Überweisung von Staatsknete. Der kritische Wissenschaftsjournalismus kommt praktisch gar nicht mehr vor. Es liegt nun an den Parlamentariern, aus dieser Session noch ein brauchbares Ergebnis heraus zu holen.
Der Elefant im Raum
"Die Wissenschaftskommunikation befindet sich
im Aufwind und der Wissenschaftsjournalismus in der Krise". So bringt es
Jan-Martin Wiarda auf den Punkt. Kein Wunder, er ist Journalist - war aber bis vor kurzem auch mal Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft, dem größten staatlichen Forschungstanker. Zur
Wissenschaftskommunikation schlägt er vor: "Weniger in Leuchtturmprojekte
investieren, mehr in die Ideen vor Ort". Beispiel 1: Best-Practice-Wettbewerb
für themenorientierte, partizipative, dialogorientierte
Wissenschaftskommunikation ausloben; 2: Ausschreibung für öffentlich finanzierte
Citizen-Science-Beauftragte für Wissenschaftseinrichtungen. Zum WJ hält er
"Geschäftsmodelle für das 21. Jahrhundert" für geboten. (Das wird freilich von
keinem Förderer derzeit angepackt). Dann spricht Wiarda den unsichtbaren
Elefanten an: "Das Modell einer öffentlich-rechtlichen und zugleich staatsfernen
Finanzierung von (Wissenschafts-)Journalismus jedweder Form steht im Raum, ist
aber noch nicht zu Ende diskutiert." (Das hatte ich auch in meinem
Commons-Artikel in der Wandeltaz aufgegriffen). Hoffnung setzt er in die
Stiftungen und verweist auf konkrete Schweizer Modelle, die man in Deutschland
prüfen sollte. Die Schlussbemerkung gilt der Digitalisierung und der Boom der
Social Media. Zu diesem Thema brütet auch die Akademien-Gruppe WÖM II, die aber
ihr erstes Coming Out auf den März 2016 verschoben hat.
Stellungnahme von
Herrn Jan-Martin Wiarda, Journalist für Bildung und Wissenschaft, Teltow (pdf
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Partizipation auf Wunsch der Politik
Am Statement von Meyer-Guckel
fällt auf, wie viel Gewicht er der Bürgerwissenschaft (Citizen Science) und der
Partizipation einräumt. Nach dem PUSH-Prozess zur Wissenschaftskommunikation,
angestossen vom Stifterverband vor 15 Jahren, gebe es jetzt "neue
Herausforderungen". Diese seien - und das ist ein Unterschied zu PUSH
(wissenschaftsgetrieben) - heute "aus der Politik abgeleitet: neue Ansprüche von
Transparenz und Partizipation, auf die Wissenschaft mit neuen Formaten reagieren
muss". Man merke: So wie die Exzellenzinitiative von außen, von der Politik an
die Wissenschaft herangetragen wurde (mit dem großen Geld-Füllhorn), so kommt
auch die Bürgerpartizipation exogen auf die Wissenschaft zu. Bei Citizen Science
("Diese Formate stecken in Deutschland noch in den Kinderschuhen") betont
Meyer-Guckel : "Wichtig bei der Weiterentwicklung und Qualitätssicherung solcher
Projekte ist die Federführung der Wissenschaft". Weiter unten hebt er den
Stockschen Zeigefinger und warnt wie der Berliner BBAW-Präsident im vorigen Jahr
vor der Beschädigung der Forschungsfreiheit durch die "zivilgesellschaftlichen
Lobbygruppen". Der interessanteste Satz bezieht sich auf den "Umgang mit
kritischen Themen", die gesellschaftlich umstritten sind. Er nennt kein
Beispiel, aber die Politiker dürften Bescheid wissen. "Hier reicht es nicht
länger, eine vermeintliche "Stimme der Wissenschaft" in die Gesellschaft und
Politik zu tragen, sondern die Wissenschaft muss anschlussfähig werden an
nicht-wissenschaftliche Diskurse", gibt Meyer-Guckel zu Protokoll. "Diesen
Schritt haben die Wissenschaftskommunikation und die Politik-Beratung durch die
Wissenschaft noch nicht vollzogen." Eine Aussage von Relevanz.
Stellungnahme von Herrn Dr. Volker Meyer-Guckel, Stifterverband für die
Deutsche Wissenschaft, Berlin (pdf
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Entgrenzung der Wissenschaft
Julia Wandt, Kommunikationschefin der
Universität Konstanz und in ihrer Funktion als Vorsitzende des Bundesverbands
Hochschulkommunikation vor dem Ausschuss, schildert beredt, wie sich "das
Rollenverständnis, das Verhalten und auch der Anspruch der Akteure in der
Wissenschaftskommunikation in den vergangenen Jahren stark verändert" haben.
Diversifizierung der Aufgaben bis hin zu strategischer Beratung, neue Techniken und neue Kanäle, die digitale
Explosion der Medienwelt und schließlich - die Formulierung von Siggen - "die
Entgrenzung des Systems Wissenschaft zu anderen Systemen" (wie die
Öffentlichkeit, die Medien und die Politik), das alles haben die einstigen
Pressestellen nun zu schultern. Zwar gehe es der WK darum, neben Forschung
und Lehre der Hochschulen auch "ihre gesellschaftliche Relevanz zu
kommunizieren". Das ist die unausgesprochene dritte Mission, die aber nicht
weiter ausgeführt wird. Mehr Platz und Funktionalität hat die Kommunikation im
Kontext der Exzellenz-Wettbewerbs. Ausführlich geht es dann um die Agenda ihres
Verbandes: die Werte-Diskussion der WK und die Qualitätssicherung. Der WJ wird
in einem Satz abgehandelt: "Der - dringend benötigte -
(Wissenschafts)Journalismus als kritischer Beobachter, Kommentator und
bewertende und einordnende Instanz ist bereits schwächer geworden". Als ein
Partner auf Augenhöhe wird er nicht mehr angesehen - das Siggener Papier und die
jüngste WOWK-Konferenz in Hannover sind Belege dafür.
Stellungnahme von
Frau Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation,
Universität Konstanz, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Marketing /
Pressesprecherin (pdf
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Informationsinfrastrukturen (?)
Keinerlei Impulse weist das Papier
von Prof. Dr. Antje Boetius, Vorsitzende des Lenkungsausschusses Wissenschaft im
Dialog, Universität Bremen, auf. Einem etwas länglichen Sachstandsbericht folgen
mehrere Spiegelstrichvorschläge, die aber nicht ausgeführt werden. - So wird für
die "Anerkennung der Wissenschaftskommunikation als wissenschaftliche Leistung
(neben Forschung und Lehre)" plädiert - auch hier die Marschroute "Dritte
Mission", die "besondere Kompetenzen und personelle, infrastrukturelle und
finanzielle Ressourcen braucht". Gefordert wird auch die "Unterstützung von
unabhängigem Wissenschaftsjournalismus (z.B. durch Preise,
Weiterbildungsangebote, Open Science, Informationsinfrastrukturen)". Finde ich
natürlich gut, aber was verbirgt sich hinter dem letzten Begriff? Das geheimnisumwobene
Science Media Center etwa? Die MdBs müssen es direkt erfragen.
Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Antje Boetius, Vorsitzende des
Lenkungsausschusses Wissenschaft im Dialog, Universität Bremen, Zentrum für
Marine Umweltwissenschaften (pdf
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Der legendäre Wormer-Vorschlag im WK-Hinrichtungsgespräch bei Spiegel-Online: "Die Gelder, die bisher für "Wissenschaft im Dialog" und andere Initiativen ausgegeben wurden, sollten in eine Stiftung oder einen Fonds fließen, der unabhängigen Wissenschaftsjournalismus fördert" (Fundstelle) wird selbstredend nicht aufgegriffen.
Forschung ohne Journalismus
Ein interessanter Fall ist die Stellungnahme von Thomas Korbun vom Institut
für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH für das Netzwerk Ecornet -
Ecological Research Network der freien, nicht-staatlichen
Ökoforschungs-Institute. Sie sind seit den 70er Jahren aus der Zivilgesellschaft
gegen die etablierte Mainstream-Wissenschaft entstanden. Aber für mich ist
auffallend, wie ihnen in dieser Nische der Kontakt zum Wissenschaftsjournalismus
als dem Kommunikator auf Seiten der Gesellschaft ziemlich weitgehend verloren
gegangen ist. In Korbuns Statement kommt der Terminus "Journalismus" kein
einziges Mal vor.
Die Hauptthemen sind Bürger- und ZGO-Beteiligung in der
Forschung sowie die "gesellschaftliche Relevanz" (GGH). WK setzt nach diesem
Verständnis nicht erst nach Vorliegen des Forschungsergebnisses ein, sondern
gehört bereits zum Modus der "Ko-Produktion von Forschungsergebnissen mit
außerwissenschaftlichen Akteuren". Wie das konkret aussehen soll, wenn auf
Medien verzichtet wird, ist mir ein Rätsel. Mir schwant, dass sich beide Seiten
dann doch unter Ausschluss der (Medien-) Öffentlichkeit treffen und besprechen
wollen. Ausführlich geht es dann zum GGH-Papier des Wissenschaftsrates, das von
den meisten nicht beachtet, von wenigen überbewertet und von keinem konkret
umgesetzt wird. Wenn man Herrn Korbun fragt, ob das gegenwärtiges
Wissenschaftssystem über die "Voraussetzungen und Kompetenzen für derartige
partizipative Suchprozesse in hinreichendem Maße verfügt", dann antwortet er:
"Es gibt einige Anzeichen dafür, dass hier noch Entwicklungsbedarf besteht."
SÖF kommuniziert Wissenschaft
Als Testfeld wird die
"Sozial-ökologische Forschung" im Rahmen des FONA-Programms des BMBF
vorgeschlagen. "Die Projekte und Förderthemen der SÖF experimentieren auf
vielfältige Weise mit transdisziplinären Methoden und mit Elementen der
Wissenschaftskommunikation", schreibt Korbun. Die würde ich als
Wissenschaftsjournalist gerne einmal kennenlernen. Weiter heißt es: "Eine
systematische Auswertung der diesbezüglichen Erfahrungen und eine daran
anknüpfende Entwicklungsarbeit zur Konzeption und Erprobung von neuen,
partizipativen Methoden der Wissenschaftskommunikation während und nach der
Forschungsarbeit stehen aus. Ich sehe darin ein Potenzial. Das BMBF hat dies im
FONA3-Programm bereits skizziert und weist auf die Bedeutung einer "modernen
Wissenschaftskommunikation" hin, "die kollaborative und dialogische Elemente
berücksichtigt". Das ist nun schon sehr konkret und bereits die Vorstufe eines
Fördermittel-Antrags. Abschließend wird über Bande der Ball von der
Forschungswende angenommen. Wörtlich heißt es: "Partizipative
Wissenschaftskommunikation braucht Gesprächspartner. Die Politik sollte mit dazu
beitragen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Handlungsbedarf besteht bei
den zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie entdecken seit einigen Jahren
die Wissenschaftspolitik als Handlungsfeld neu, es fehlen jedoch weitere
Strukturen und Ressourcen". Auch hier geht es wieder um Staatsgelder: Das BMBF
soll die Plattform Forschungswende unterstützen, was bisher nur das
Umweltministerium getan hat.
Stellungnahme von Herrn Thomas Korbun,
Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Institut für ökologische
Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH / Ecornet - Ecological Research Network, Berlin
(pdf
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Kommunikation für gesellschaftlichen Wandel
Viel Lesestoff hat
auch die Sprecherin der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende bei
der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e. V. , Dr. Steffi Ober,
mitgebracht. Unter Bezug auf die Akademie-Stellungnahme vom letzten Jahr ("Zur
Gestaltung der Kommunikation zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und den
Medien" von Leopoldina, acatech und der Union der Deutschen Akademien der
Wissenschaften) - auf deren Vorschläge und deren Umsetzung erstaunlicherweise
keiner der Experten eingeht (Eine über zweijährige Arbeit für den Papierkorb?) -
wird der Bogen "von der Scientific Literacy zur Transformative Literacy"
geschlagen. Zwar etwas höhenfliegerisch, aber doch von Relevanz - und eben
Zündstoff (siehe Meyer-Guckel) zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, damit
auch Politik. Die Kernfrage lautet für Ober: "Wie kann
Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, dass sich eine transformative
Literacy in der Gesellschaft und somit die Resonanz für notwendige,
gesellschaftliche Wandlungsprozesse erhöht? Wie erzeugt man Lust auf
Veränderung, Lust auf Zukunft und Gestaltung?"
Auch in Obers Kommunikationsentwurf kommen keine Wissenschaftsjournalisten
mehr vor. Einmal nur ist von "Medien" die Rede, um ein abschreckendes Beispiel
von irregeleiteter Kommunikation anzuführen. ("...andererseits werden gerade die
Skandale und dramatisch darstellbare Gefahren von den Medien gerne
aufgegriffen - bad news are good news"). Die Wächterfunktion der Presse, der
Wissenschaftsjournalist, der kritisch auf die Vorgänge in der Wissenschaft wie
auch in der Wissenschaftspolitik eingeht, kommt weder bei der Forschungswende vor noch
bei der Mehrzahl der anderen Experten. Da ist etwas verrutscht, gerade bei den
Akteuren, die für die Seite der Gesellschaft sprechen wollen. Ich vermute, der
Politik, die viel mehr mit kritischer öffentlicher medialer Berichterstattung zu
tun hat als die Wissenschaft, wird das auch etwas rätselhaft vorkommen.
Stellungnahme von Frau Dr. Steffi Ober, Zivilgesellschaftliche Plattform
Forschungswende, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e. V., Berlin (pdf
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Der Dritte Ort
Mit echt originellen Gedanken wartet der neue Chef
des Hauses der Zukunft, Reinhold Leinfelder, auf. Er steht mit seinem
58-Mio-Euro-Projekt unter dem Druck, Wissenschaft und Technik anders unters Volk
zu bringen als bisher. Seine Idee: Neben Wissenschaft und Gesellschaft - die
bislang, auch hier im Bundestag wissenschaftskommunikativ direkt miteinander
verbunden werden sollen - brauche es "einen neuartigen "Dritten Ort", in dem
Offenheit, Freiheit, Selbstdistanz, Reflexion, Dialog, konstruktiver Diskurs und
Kreativität zu größtmöglicher Transparenz im Wissenschaftsprozess, aber auch zu
bestmöglicher Legitimierung von und Freude an Wissenschaft führen können."
Solche "Dritte Orte" könnten nach Vorstellung Leinfelders "sowohl lokalisiert
(Museen, Hausder Zukunft, Reallabore, Schulen) als auch netzwerkbasiert sein".
Ziemliche Zukunftsmusik, aber damit auch passend zum Zukunftshaus.
Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Direktor Haus der
Zukunft gGmbH, Berlin (pdf
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Manfred Ronzheimer
(Dieser Text wurde eigens geschrieben, um vor Augen zu führen, was den Unterschied zwischen Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation ausmacht)
Beachten Sie auch:
Frag-würdige Wissenschaftskommunikation
Antworten von Manfred Ronzheimer,
Wissenschaftsjournalist
InnoMonitor, 12.10.2015 - TE1877a
ZN12219a