Mensch als Dirigent der Technik, nicht ihr Diener

13.10.2016

Der Mensch als Dirigent der Technik, nicht ihr Diener

Bundespräsident Gauck spricht vor der Technikakademie Acatech

 Die jährliche Festversammlung der Technikakademie Acatech hatte gestern im Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt besonders hohen Besuch: Das deutsche Staatsoberhaupt, Bundespräsident Joachim Gauck, beehrte die Zusammenkunft der Technologieexperten aus Wissenschaft und Wirtschaft. Seine Ansprache zu Robotik und Automatisierung aus gesellschaftlicher Sicht folgte der thematischen Schwerpunktsetzung des Abends. Auch das anschließende Expertenpanel diskutierte über Stand und Perspektiven von Industrie 4.0 und allumfassender Digitalisierung.

http://www.acatech.de/festveranstaltung2016

 

Grundstürzende Neuigkeiten wurden den Teilnehmern nicht geboten. Von der Dynamik, mit der die neuen Technologien dabei sind, Wirtschaft und Gesellschaft umzupflügen, war zumindest im offiziellen Teil nichts zu spüren. Bloß keine Panik verbreiten, war offenbar die oberste Diskurs-Regel, an die sich jeder hielt. Bescheren uns Roboter, Virtualisierung und Vernetzung mehr positive Chancen, auf die wir uns freuen können, oder negative Risiken, gegen die wir vorzubeugen haben ? Das Fazit des Acatech-Abends lag bei 85:15, so mein intellektueller Fühl-Sensor.

 Gauck hatte sich eine konventionelle Rede schreiben lassen, die mit Science Fiction begann und mit einer neuen Lesart von Wissenschafts-Fiktion endete. Die meiste Aufmerksamkeit erhielt Gauck für jene Passagen („Ausrufezeichen" nannte er es), die nicht im Manuskript standen.

 Aus Gaucks Redetext hier ein Zusammenschnitt der markantesten Passagen:

 Das Wort "Roboter" löst ambivalente Gefühle aus: Hoffnungen, aber auch Ängste. Bis heute wird das Motiv von der unheilvollen Herrschaft der Automaten (Capek) in zahllosen Romanen und Filmen variiert, und es klingt mitunter auch an, wenn heute in den Medien über moderne Roboter berichtet wird. Es ist Asimovs Verdienst, dass er, jenseits von Erlösungs- wie Untergangsphantasien, schon vor Jahrzehnten darüber nachgedacht hat, wie eine Gesellschaft funktionieren könnte, in der Menschen und Roboter zusammenwirken. Er nahm damit ein Thema vorweg, dem wir uns heute zuwenden müssen, in Wissenschaft und Wirtschaft, in Gesellschaft und Politik.

Wenn es stimmt, was Sie, die Expertinnen und Experten, voraussagen, dann stehen wir am Anfang einer Entwicklung, die unsere Lebenswelt in den kommenden Jahren grundlegend verändern wird. Und das bedeutet: Maschinen werden uns im Alltag begleiten, im Beruf ebenso wie im Privaten. Wir leben in einem Zeitalter gewaltiger Möglichkeiten. Technische Innovationen können unsere Lebensqualität steigern und die Produktivität erhöhen. Und sie können uns dabei helfen, die großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. Ich will nur drei Beispiele nennen: (Pflege, Straßenverkehr, Industrie)

Nicht zuletzt steckt in der Entwicklung von Robotern und autonomen Systemen ein großes volkswirtschaftliches Potenzial. Allerdings müssen wir noch besser und schneller dabei werden, Forschungsergebnisse in marktreife Produkte umzusetzen. Was wir brauchen, sind mehr Experimentierräume, in denen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft sich frühzeitig austauschen können. Und natürlich brauchen wir darüber hinaus mehr Mut bei Investitionen in innovative Projekte, weniger Furcht vor dem Risiko und, damit verbunden, weniger Angst vor dem Scheitern.

Bei aller Begeisterung über die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten unserer Zeit wissen wir auch: Die neuen Technologien bergen auch Risiken. Sie werfen eine Fülle von sozialen, ethischen, rechtlichen und kulturellen Fragen auf, denen wir uns stellen müssen.

Was die Menschen in unserem Land am meisten bewegt, ist der Wandel der Arbeitswelt. Manche befürchten, ihre Arbeit zu verlieren, weil Roboter sie besser oder billiger erledigen können. Heute weiß noch niemand genau, wie sich die Digitalisierung, die vierte Stufe der industriellen Revolution, auf den Arbeitsmarkt auswirken wird. In vielen Branchen und Berufen wird sich die Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine verändern. Der Wandel der Arbeitswelt stellt uns vor weitreichende Fragen. Wie auch immer die Antworten im Einzelnen ausfallen werden, eines ist klar: Der Mensch muss auch in Zukunft die Kontrolle über die Arbeitsabläufe behalten. Er muss "Dirigent der Technik" sein, nicht ein ihr unterworfener Zuarbeiter. Deshalb ist es gut, wenn wir jetzt diskutieren, wie viel Kontrolle wir beim Fahren an Assistenzsysteme abgeben wollen.

(Datenschutz:) Viele innovative Geräte und Programme können ihren Nutzen nur dann erbringen, wenn sie persönliche Daten sammeln, verarbeiten und vernetzen. Schon jetzt sind neue Geschäftsmodelle entstanden, die die Privatsphäre von Nutzern berühren. Was wir hier brauchen, ist ein verlässlicher rechtlicher Rahmen.

Oft fehlt es uns noch an Wissen, wie die neuen Technologien sich auf lange Sicht auswirken werden. Hier gibt es großen Forschungsbedarf, über Fachgrenzen hinweg.

Grundsätzlich gilt: Roboter und Maschinen müssen uns Menschen dienen, nicht umgekehrt. Sie sollen sich nach unseren Wünschen und nach unseren Bedürfnissen richten. Wir dürfen die Menschenwürde nicht an den Roboter abgeben. Dafür ist sie zu wertvoll. Jeder Mensch muss über sein Leben frei bestimmen können. Gerade weil wir den Fortschritt wollen, sollten wir uns auch fragen, was wir möglicherweise verlieren, wenn wir Maschinen für uns handeln lassen. Die Automatisierung macht uns das Leben leichter, sie hilft uns, schneller zum Ziel zu gelangen. Aber sie entfernt uns auch ein Stück von der Welt, von der Nähe des Menschen zum Menschen. Im Angesicht der Maschinen wird uns auch bewusst, was uns als Menschen ausmacht. Dem Roboter, so "smart" er auch sein mag, fehlt die soziale und die emotionale Intelligenz.

In unserem demokratisch und marktwirtschaftlich verfassten Gemeinwesen kann die Technik dem Menschen nicht aufgezwungen werden. Wir alle sollten uns deshalb klarmachen, was technisch machbar und wirtschaftlich sinnvoll ist. Wir sollten diskutieren, was wünschenswert und ethisch vertretbar ist, für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft, aber auch für kommende Generationen. Ich bin mir sicher: Eine offene Debatte ist der Schlüssel, um Akzeptanz für Innovationen zu schaffen. Und sie bereitet den Boden, auf dem politische Beschlüsse reifen können.

Naturwissenschaftler und Ingenieure tragen dabei eine besondere Verantwortung. Sie müssen ihre Projekte erklären und über mögliche Folgen informieren, sofern sie sie selbst schon abschätzen können. Unternehmer, die in ihrem Betrieb neue Technologien einführen, sollten die Beschäftigten partnerschaftlich einbeziehen und auf ihre Bedürfnisse eingehen. Nicht zuletzt kommt Politikern und Journalisten und auch Sozialwissenschaftlern und Philosophen die Aufgabe zu, technische Themen anschaulich und in verständlicher Sprache zu vermitteln und zu diskutieren. In einer Gesellschaft, die immer stärker von hoch entwickelter Technik abhängt, brauchen wir ein vertieftes Verständnis für die Wissenschaft. Ich möchte Sie ermutigen: Bauen Sie noch mehr Brücken in die Welt der Maschinen. Öffnen Sie die Labore und Werkstätten, bringen Sie Ihr aktuelles Wissen zu den Menschen, und zwar nicht nur zu den Eingeweihten. Wir alle brauchen Ihre Ideen und Visionen, ja: Wir brauchen Science-Fiction im besten, seriösen Sinne.

Der volle Text ist hier zu lesen:

http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2016/10/161012-acatech.html


Die Veranstalter sagten:

Wir möchten technologische Entwicklungen wie den Einzug der künstlichen Intelligenz frühzeitig in die öffentliche Diskussion bringen. Deshalb binden wir in unseren Arbeitskreisen bei acatech gesellschaftliche Fragen in unsere Arbeit ein und suchen den Dialog." (Reinhard F. Hüttl, Präsident acatech)

 

In der Industrie verlassen Roboter die Käfige und arbeiten Schulter an Schulter mit den Menschen. Im Verkehr nehmen uns Fahrzeuge immer mehr Aufgaben ab und bewegen sich in vernetzten Verkehrssystemen. Künstliche Intelligenz tragen wir am Körper, nutzen sie in den eigenen vier Wänden und schaffen mit ihr flexible Infrastrukturen. Als Gesellschaft sollten wir darüber diskutieren, wie wir künstliche Intelligenz im Sinne der Menschen einsetzen." (Henning Kagermann, Präsident acatech)

 

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion sollte das Feld der Mensch-Maschine-Interaktion aus technischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Perspektive beleuchtet werden. Unter dem Titel „Mensch und Maschine - in bester Gesellschaft?" ging es um das Verhältnis von kommunizierenden Maschinen, lernenden Roboter und dienstbereiten Assistenzsysteme mit ihren menschlichen Nutzern. Menschen arbeiten Hand in H­and mit intelligenten Maschinen und werden von ihnen im Alltag begleitet. Doch wie gestalten wir diese Interaktion im Sinne der Menschen? Wer lenkt, wenn die Maschine denkt?

Dazu nahmen Stellung: Sami Haddadin, Direktor Institute of Automatic Control (IRT), Leibniz Universität Hannover - Peter Dabrock,
Vorsitzender Deutscher Ethikrat - Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor IASS Potsdam, Präsidium acatech - Elisabeth André, Leiterin Schwerpunkt Multimodale Mensch-Technik Interaktion, Universität Augsburg - Milagros Caiña Carreiro-Andree, Mitglied des Vorstands der BMW AG, Personal- und Sozialwesen, Arbeitsdirektorin.

Im Anschluss wurden die Sieger des Journalistenpreises PUNKT vorgestellt, die technische Themen sprichwörtlich auf den Punkt bringen.

http://www.acatech.de/de/aktuelles-presse/presseinformationen-news/news-detail/artikel/ausgezeichneter-technikjournalismus-beitraege-aus-faz-und-nzz-folio-gewinnen-journalistenpreis-punk.html

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Die nächste Veranstaltung der Münchener Reihe „acatech am Dienstag" wird am am 8. November ebenfalls zum Thema „Mensch-Maschine-Interaktion" stattfinden. Beim letzten Termin, am 4.10., war über „Big Data" gesprochen worden.

http://www.acatech.de/de/aktuelles-presse/presseinformationen-news/news-detail/artikel/acatech-am-dienstag-bereit-fuer-big-data.html

Manfred Ronzheimer



(Weitere Ergänzungen folgen noch)



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