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Interview mit Claudia Kemfert (DIW)

24.05.2011

Urania-Interview des Monats

Claudia Kemfert

Claudia Kemfert -
die Preisträgerin der Urania-Medaille 2011 im Gespräch


Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit April 2009 Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance. Sie gehört zu den profiliertesten Umweltökonomen Deutschlands und ist international als Gutachterin und Politikberaterin tätig.

Darüber hinaus engagiert sie sich beispielhaft für einen Bewusstseinswandel im Umgang mit Klimaschutz und Energie hin zu Innovation, Effizienz und Nachhaltigkeit. Im Wissenschaftsjahr 2010, dem Jahr der Energie, hat sie als Themenbotschafterin neue Erkenntnisse zu Zukunftsfragen wie Folgen des globalen Klimawandels und zukunftssichere Energieversorgung in die Öffentlichkeit getragen. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen und das große aufklärende Engagement erhält Frau Prof. Claudia Kemfert am 1. Juni 2011 die diesjährige Urania-Medaille. Die Laudatio hält der frühere Bundesumweltminister Klaus Töpfer.

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Urania: Frau Prof. Dr. Kemfert, Sie beraten viele Politiker, unter anderem EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Wie sehen Sie das Verhältnis von Wissenschaft und Politik?
Claudia Kemfert: Beim Klimaschutz und der nachhaltigen Energieversorgung und Mobilität sind heutige politische Weichenstellungen elementar, da sie die Energieversorgung der kommenden 60 Jahre bestimmen. Politiker beziehen sich jedoch zumeist auf sehr viel kurzfristigere Zeiträume. Das Wirtschaftssystem selbst bringt keine zufriedenstellenden Lösungen hervor, da sie ebenso kurzfristig agieren. Daher bekommt die Politik eine bedeutsame Rolle: sie muss die richtigen Weichen hin zu einer sicheren, bezahlbaren und klimaschonenden Energieversorgung stellen. Die Wissenschaft kann die wirtschaftlichen Konsequenzen simulieren und Handlungsempfehlungen ableiten. Die Politik muss allerdings davon losgelöst eine Entscheidungen treffen und umsetzen.

Sie gehören zu den führenden Experten auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz. Können wir in Deutschland mit uns zufrieden sein? Bis Ende des Jahrzehnts will Deutschland den Ausstoß an Treibhausgasen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Welche Anstrengungen müssen unternommen werden, um dieses Ergebnis zu erreichen und dauerhaft zu halten?
Deutschland hat zumindest im Vergleich zu anderen Industrienationen den ambitioniertesten Plan zur Umstellung des Energiesystems. Der Anteil erneuerbarer Energien soll in den kommenden vier Jahrzehnten auf 80 Prozent steigen und die Energieeffizienz deutlich verbessert werden. Dazu bedarf es vor allem eines deutlichen Ausbaus der Netze und Speicher, der finanziellen Unterstützung bei der Gebäudesanierung und die Umstellung der Mobilität auf Nachhaltigkeit. Neben klimaschonenden Antriebsstoffen muss dabei auch das Verkehrssystem nachhaltig ausgerichtet werden. Es ist ein langer Weg zu gehen, aber es gibt keinen anderen.

Angesichts der nuklearen Katastrophe in Japan hat die deutsche Bundesregierung einen Richtungswechsel in der Atompolitik vorgenommen. Können wir die jüngst vom Netz genommenen alten Atommeiler ohne Weiteres ersetzen oder droht nun ein Engpass in der Stromversorgung?
Die alten Atommeiler können vom Netz genommen werden, da wir ohnehin einen Überschuss produziert haben. Die Tatsache, dass sie vom Netz genommen wurden und die Lichter nicht ausgehen, ist ja Beweis genug. Um auch die restlichen Atommeiler vom Netz nehmen zu können, müssen wir das Energiesystem so schnell wie möglich umbauen. Der Anteil der erneuerbaren Energien kann von heute 17 Prozent in den kommenden zehn Jahren auf 35 % verdoppelt werden. Dennoch müssen dann immer noch 65 % des Stroms produziert werden. Um zu verhindern, dass der heute schon inakzeptable hohe Anteil an Kohlekraftwerke von heute 45 % weiter ansteigt, sollten Gaskraftwerke gebaut werden. Sie sind besser geeignet um sie mit den erneuerbaren Energien zu koppeln, da sie flexibler einsetzbar sind. Wenn sie Strom und Wärme gleichzeitig produzieren, sind sie an Effizienz nicht zu überbieten. Die durch die Atomkraftwerke frei werdenden Kraftwerkskapazitäten könnten von neuen, auch kleineren und mittelständischen Energieherstellern angeboten werden, das würde zudem den Wettbewerb stärken.

Wie schnell kann die Energiewirtschaft tatsächlich hin zu den erneuerbaren Energien umgebaut werden und welche Energieträger haben echtes Potenzial? Kann die Atomenergie restlos ersetzt werden?
Ja, der Anteil von Atomstrom von heute 23% kann in den kommenden 15 Jahren durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Wichtig ist, dass die Netze und Stromspeicher ausgebaut werden. Und man muss sicherstellen, dass wir wegkommen von dem hohen Kohleanteil.

Wie gut sind die deutschen Atomkraftwerke gegen Umweltkatastrophen wie Erdbeben und auch gegen Terrorangriffe etwa durch Flugzeugabstürze gewappnet?
Die Atomkraftwerke erfüllen die notwendigen Sicherheitsstandards, die man international vorgibt. Ob die Kernkraftwerke wirklich gegen enorme Naturkatastrophen gewappnet sind, muss nach dem Japan Unglück explizit überprüft werden - das gilt für alle knapp 440 Kernkraftwerke weltweit. Terrorattacken müssen vor allem durch Sicherheitsmaßnahmen der Luftsicherheit bekämpft werden.

Kürzlich wurden Sie von der Stiftung für Ökologie und Demokratie zur Botschafterin der Ökologie, der „Ökologia 2011" gewählt. Mit welchen Themen wird man in diesem Zusammenhang noch von Ihnen hören?
Die Stiftung für Ökologie und Demokratie e.V. widmet sich in erster Linie Themen der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie. In dem Jahr 2011 muss man sich um die Themenvielfalt im Zuge der Atomdebatte und Energiewende keine Sorgen machen. Ich persönlich finde es wichtig, dass die Öffentlichkeit erfährt, welche wirtschaftlichen Zusammenhänge beim Thema Energie und Klimaschutz existieren.

Wie wird sich das Leben der Menschen, gerade in Hinsicht auf ihre Mobilität, in den kommenden Jahrzehnten verändern?
In der Zukunft werden Zwei Drittel der Menschheit in Ballungsräumen mit mehr als eine Million Einwohner leben. Es wird eine enge Verzahlung von Öffentlichem Personennahverkehr und Car-Sharing-Konzepten, auch mit dem Fahrrad geben. Wir benötigen eine wirklich auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Verkehrsstruktur: eine Stärkung des ÖPNV, eine gute Verzahnung aller Verkehrsträger, sowie alternative Antriebsstoffe und -techniken. Die Elektromobilität bietet sich gerade für Kurzstrecken an, weil die Batterietechnik bisher noch nicht für lange Strecken ausgelegt ist. Elektrofahrzeuge verursachen zudem kein Feinstaub und Lärm und erfüllen somit insbesondere in Ballungsräumen die Anforderungen an nachhaltiger und klimaschonender Mobilität.

Wie kann der einzelne Mensch in seinem Alltag wirksam zum Klimaschutz beitragen?
Ich beispielsweise versuche möglichst wenig klimabelastende Treibhausgase zu produzieren. Ich fahre Fahrrad und Bahn, neutralisiere meine Flugmeilen, wohne im gedämmten Gebäude, nutze energieeffiziente Geräte, esse vegetarisch und kaufe regionale Produkte. Das alles macht Spaß und ist gesund - genau darum muss es gehen.

Liebe Frau Kemfert, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Ulrich Weigand, Urania Berlin

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VITA

Prof. Dr. Claudia Kemfert leitet seit April 2004 die Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und ist seit April 2009 Professorin für Energieökonomie und Nachhaltigkeit an der Hertie School of Governance (HSoG). Von 2004 bis 2009 hatte sie die Professur für Umweltökonomie an der Humboldt-Universität inne. Kemfert ist Wirtschaftsexpertin auf den Gebieten Energieforschung und Klimaschutz. Sie ist Preisträgerin des DAAD und wurde im Jahr 2006 als Spitzenforscherin im Rahmen der Elf der Wissenschaft von der DFG, der Helmholtz und der Leibniz Gesellschaft ausgezeichnet. Kemfert berät Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie Ministerien auf Bundes- und Landesebene.


Kemfert studierte Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bielefeld und Oldenburg (Promotion 1998) und Stanford. Im Rahmen eines Forschungsaufenthalts war sie an der Fondazione Eni Enrico Mattei (FEEM) in Mailand (1998). Von Januar 1999 bis April 2000 leitete sie die Forschernachwuchsgruppe am Institut für rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart. Außerdem war sie Gastprofessorin an den Universitäten von St. Petersburg (2003/04), Moskau (2000/01) und Siena (1998, 2002/03). Von 2000 bis 2004 hatte Kemfert eine Stelle als Juniorprofessorin inne und leitete eine Forschernachwuchsgruppe an der Universität Oldenburg. Sie war die erste Juniorprofessorin Deutschlands, die auf eine Professur berufen wurde.

 Quelle

 

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