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Bürger und Parlament - wie kommen sie zusammen?

26.02.2013

 

Konferenz im Abgeordnetenhaus diskutierte Wege aus der Politikverdrossenheit

Gestern fand im Berliner Abgeordnetenhaus diese vierstündige Veranstaltung statt:

TAGUNG ‚BÜRGER UND PARLAMENTE - BÜRGER GEGEN PARLAMENTE ?‘

http://www.parlament-berlin.de/pari/web/wdefault.nsf/vHTML/B01-00622?OpenDocument

 

Eine relativ wichtige Veranstaltung, ausgerichtet  von der Stiftung Zukunft Berlin, der Herbert Quandt-Stiftung und infratest dimap. Beteiligt waren neben dem Berliner Landesparlament zudem die Landtage von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.  

Hier das Konferenzprogramm:

http://www.stiftungzukunftberlin.eu/sites/default/files/files/Konferenzprogramm.pdf

Eine Stunde vorher gab es eine Pressekonferenz, auf der infratest-Chef Hilmer auch die Ergebnisse einer interessanten Befragung zum Thema Politikverdrossenheit  vorstellte.

Die Ergebnisse sind hier veröffentlicht:

http://www.infratest-dimap.de/infratest-dimap/kooperationen/konferenz-buerger-und-parlamente-buerger-gegen-parlamente/buerger-fordern-mehr-beteiligung/

Unter den Umfrageergebnissen, die Infratest-Chef Richard Hilmer vorstellte, konnte der Befund, dass 90 Prozent der Bürger die Demokratie für eine gute Regierungsform halten und nur neun Prozent „nicht so gut" sagen, zwar einigermaßen beruhigen. Größere Stimmungsschwankungen gibt es dann bei der Frage danach, ob die Demokratie in Deutschland, speziell in ihrer repräsentativen Verfasstheit,  gut funktioniert. Zufrieden in dieser Hinsicht sind derzeit 56 Prozent der Bürger, 44 Prozent äußern sich unzufrieden. (In 2007 hatten die Unzufriedenen sogar die Mehrheit). Wirklich hellhörig muß die Parlamentarier aber die Antwort auf die Infratest-Frage machen, ob die Bürger mehr für eine „Stärkung der repräsentativen Demokratie" (34 Prozent) oder für eine „Stärkung der direkten Demokratie" (63 Prozent) sind. Hilmer sprach von einer „wachsenden Entfremdung zwischen den Institutionen der repräsentativen Demokratie und den Bürgern".

Im Vertrauens-Ranking landen die politischen Parteien ganz unten. Nur 22 Prozent bringen ihnen Vertrauen entgegen, der Rest ist misstrauisch.  Andern geht es ähnlich: In die Medien haben  nur ein Drittel der Bürger (35 %) Vertrauen! 

Auch Volker Hassemer von der Stiftung Zukunft Berlin bewertete die große Spaltung zwischen der Hochschätzung der Demokratie auf der einen Seite und das „Misstrauen gegenüber der politischen Praxis" als „besorgniserregend". Dies sei auch der Antrieb für diese Konferenz gewesen: den Politikern klar zu machen, dass sie sich um dieses Problem der Bürger-Ferne und Bürger-Entfernung kümmern müssen. Hassemer: „Die Parlamente haben allen Anlaß, sich um die Bürger zu kümmern". Gefordert seien aber Partizipations-Systeme „auf Augenhöhe". Die Haltung: die Politiker wissen alles besser und die Bürger schauen nur passiv zu, liefern ihre Steuer ab und alle vier Jahre ihr Wahlkreuz, dies sei überholt. Die Aufgabe laute, zu einer „neuen Kultur demokratischer Arbeit" zu gelangen. Hassemer: „Die Bürger sind die Eigentümer unserer demokratischen Ordnung. Sie sind Stakeholder".

Was kann getan werden?

Hilmer gab diese  Empfehlungen:

1. Die Parteien müssen sich stärker der Gesellschaft öffnen, um von dieser wieder als „präferierter Ort gesellschaftlicher Willensbildung" akzeptiert und genutzt zu werden. Wer heute politisch was verändern will, geht momentan zu NGOs.

2. Die Parlamente müssen sich stärker von der Exekutive, der Regierung absetzen. Sie sollen - wichtiger Punkt - „wieder ihre Funktion als angestammter Ort offener gesellschaftlicher Diskurse wahrnehmen". Beispiel sind die Stuttgart-21-Gespräche.

3. Die Regierungen müssen sich darauf einstellen, gegenüber den Bürgern künftig „mehr Rechenschaft ablegen" zu müssen. Gleichzeitig sind die Voraussetzungen zu schaffen, damit sich Bürger in Entscheidungsprozesse einbringen könnten. Hilmer benutzte den Terminus „Legitimation  durch Kommunikation".

Hassemer führte zwei Berliner Beispiele an, bei denen bereits in einem sehr frühen Bereich die Bürger in Vorhaben der Verwaltung und der Politik einbezogen werden:

1. die Novellierung des Berliner Hundegesetzes wird durch den sog. „Bello-Dialog" begleitet.

2. die langfristige Stadtentwicklung im Bereich Jannowitzbrücke, deren Debatte sich in den letzten Jahren („Mediaspree versenken") sehr erhitzt hat.  (Hinweis auf den 18. März)

Hassemer: „Bei beiden  Projekten handelt es sich um zwischen öffentlicher Hand  und Bürgern gleichberechtigt und gemeinsam organisierte Entscheidungsvorbereitungen, wie sie bisher noch nie gelungen sind".

Oder jedenfalls sehr weit zurückliegen. Hassemer erinnerte sich in der Pressekonferenz an seine „Stadtforen", die er in den 90er Jahren als Stadtentwicklungssenator in  der Phase des Zusammenwachsens organisierte. In seiner politischen Arbeit habe es keine andere Maßnahme gegeben, „die mir so viel Zeit gespart hat wie das Stadtforum". Insgesamt habe er als Senator an 700 Forums-Stunden teilgenommen. Doch das Ausräumen von möglichen Konflikt-Verharkungen durch frühen Austausch und Kompromissfindung im Vorfeld, dies habe unter dem Strich sehr viel Zeit eingespart. Der einzige  Fehler, den das alte Stadtforum  gehabt habe: „Es war  m e i n  Forum".  Deshalb müssten künftige Dialogprozesse paritätischer angelegt sein.

Distanziert äußerte sich Hassemer zu plebiszitären Instrumenten. Infratest hatte zwar ermittelt, dass zwei Drittel der  Bürger dafür sind, mehr politische Fragen als bisher durch Volksabstimmungen  entscheiden zu lassen. Für Hassemer können indes „quantitative Beteiligungsformen" wie Volksbegehren und Volksentscheide nur ein „Notnagel in der repräsentativen Demokratie" sein. Viel wichtiger seien die inhaltlichen Beteiligungen der Bürger, und zwar so früh wie möglich.

Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg

*

Stiftung Zukunft Berlin: Mitverantwortung der Bürger

http://www.stiftungzukunftberlin.eu/de/mitverantwortung-der-b%C3%BCrger

Ausführliche Pressemitteilung der Herbert Quandt-Stiftung:

http://www.herbert-quandt-stiftung.de/infratest_umfrage_buerger_und_parlamente/?year=2013

Aktivitäten der HQ-Stiftung im  Themenfeld Bürger und Gesellschaft

http://www.herbert-quandt-stiftung.de/deutsch/buerger_und_gesellschaft/

 

Eine persönliche Bemerkung des Autors zur medialen Rezeption der Veranstaltung findet sich hier:

http://www.facebook.com/manfred.ronzheimer/posts/518245781560809

 (Dort auch Möglichkeit zur Kommentierung)

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