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Aufbruch ins (Un)Gewisse

08.07.2014

Aufbruch ins (Un)Gewisse

Start für wissenschaftliches Citizen Science-Konsortium

Im Berliner Veranstaltungszentrum Kalkscheune fand heute ganztägig die Auftakt-Veranstaltung für das BMBF-Projekt 'BürGEr schaffen Wissen - WISSen schafft Bürger (GEWISS)' statt. GEWISS ist ein Bausteinprogramm zur Entwicklung von Citizen Science Kapazitäten in Deutschland, und zwar von wissenschaftlicher Seite. Dem GEWISS-Konsortium, gemanagt von UFZ (Helmholtz) und MfN (Leibniz), gehören neun wissenschaftliche Einrichtungen mit dem Schwerpunkt Öko-Themen an. Die Veranstaltung hatte 120 Teilnehmer, überwiegend Wissenschaft, aber auch einige wenige Vertreter von Naturschutzorganisationen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen.

 


Zur Begrüßung gab Konsortium-Sprecherin Aletta Bonn (UFZ) eine Einführung in das Thema und die Absichten des Workshops. Es handele sich um "einen offenen Anfang", bei dem Ideen und Inputs aus dem sehr großen Konsortium gesammelt und gebündelt werden solle. "Wo sind die Potenziale? Wo sehen wir es vielleicht auch zu romantisch?", seien Fragen, die man behandeln wolle, um zu einer deutschen Strategie bis 2020 zu gelangen. In England und USA gebe es eine große Tradition des "Volunteering". Auf diese Weise sei in Australien die Biodiversitäts-Erhebung "Atlas of Living Australia" entstanden. Vielleicht ein Vorbild für Deutschland. Frau Bonn ging auf europäische Maßnahmen ein, etwa ein Green Paper zu Citizen Science oder die European Citizen Science Association, deren Sekretariat in Berlin angesiedelt ist. Sie zitierte den früheren EU-Forschungskommissar Potocnic, der als Ziel der europäischen Aktivitäten zur Stärkung der Bürgerwissenschaften ausgegeben hatte, in den nächsten fünf Jahren fünf Millionen EU-Bürger an die Wissenschaft heranführen zu wollen.

Was ist Bürgerwissenschaft / Citizen Science? Die "Arbeitsdefinition" in der Konferenzmappe definiert darunter "Aktivitäten von Bürgern, die aktiv zur Vermehrung von wissenschaftlicher Erkenntnis beitragen". Dies geschehe "in Kooperation mit etablierten wissenschaftlichen Einrichtungen ... unter Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit bis hin zu gezielter Zusammenarbeit mit spezifischen Interessensgruppen". Als "Ziele" dieses Ansatzes werden drei Punkte genannt:
(1) "Aktive Partizipation von Bürgern in wissenschaftlichen Prozessen, vom erhöhten Potenzial zur Datenaufnahme und -aufbereitung bis zur aktiven Beteiligung bei der Konzeption und dem Design von Forschungsstudien."
(2) "Steigerung des Verständnisses, der Akzeptanz sowie der Mitsprachemöglichkeiten und Umsetzungspotenziale für Forschung in der Gesellschaft."
(3) "Stärkung der Wissenschaft durch Nutzung von in der Bevölkerung vorhandenem Wissen und Kapazitäten und Einbringen von neuen Sichtweisen, Informationen und Erkenntnissen sowie neuen Partnerschaften."
Mit anderen Worten: Co-Production und Co-Design in Punkt 1, PUSH und Transfer Richtung Gesellschaft in Punkt 2, Laienwissen bessert Profiwissen in Punkt 3 (der kritischste Punkt).

Frau Bonn unterstrich den Baustein-Charakter des Vorhabens mit unterschiedlichen Baustellen, darunter die Webseite zur Erfassung der bisherigen Projekte, die Strategie-Erarbeitung 2020 und regionale Veranstaltungen mit einzelnen Instituten.

Finanzierung: Das BMBF fördert das GEWISS-Projekt vom 1.5.2014 bis 30.4.2016 für die Dauer von zwei Jahren mit 550.000 Euro (an UFZ/MfN). Hinzu kommt die Förderung der Internet-Plattform www.buergerschaffenwissen.de (bei MfN und WID) mit 240.000 Euro für drei Jahre.

MinDir Matthias Graf Kielmannsegg, seit Februar im BMBF für strategische Fragen zuständig, bezeichnete es als Ziel der Forschungspolitik seines Hauses, die Wissenschaft für die Bürger zugänglicher zu machen und Schranken dazwischen abzubauen. Auch wenn mitunter noch an Wissenschaft mit Bürgerbeteiligung die Frage gestellt werde "Ist das noch ernsthafte Wissenschaft?", liege aus Sicht der BMBF im Trend Citizen Science "eine große Chance für Bürger wie für die Wissenschaft". Dies impliziere auch neue Formen der Kommunikation zwischen beiden Seiten. "Das wird Anstrengung bedeuten". Es gehe um eine Verbesserung der Debattenkultur und einen stärker rationalen Diskurs "zwischen den getrennten Welten" der Wissenschaft und der Gesellschaft. Kielmannsegg verwies an dieser Stelle auf den Streitpunkt der "Grünen Gentechnik", ließ aber offen, ob dieses heute für Deutschland politisch verbrannte Forschungsfeld mit einer "neuen Debattenkultur" doch irgendwie hätte erhalten werden können.

Der BMBF-Mann sprach von einem "grundsätzlichen Wandel hin zur Partizipation", dem sich auch die Forschungspolitik stellen müsse. "Die Menschen wollen mitreden", stellte Kielmannsegg fest. Deshalb brauche es neue Instrumente wie Citizen Science, deren Entwicklung sein Haus darum unterstütze. "Kulturwandel in der Partizipation", "Wandel in der Transferkultur" - fortgesetzt klingelten die Change-Metaphern in der Rede des BMBF-Strategen. Allesamt mit der zentralen Intention, die "Sprechfähigkeit" zwischen den Partnern zu erhalten, sogar zu verbessern. Dass dies auch Veränderungen auf Seiten des Wissenschaftssystems mit sich bringen wird, ließ er bei einer kurzen Bemerkung zu politischen gewünschten "Missionsorientierung" der Forschung durchblicken, also der Verpflichtung zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel. Dieser "Knackpunkt" - der nicht nur andere Kommunikationsformate zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert, sondern eine andere Selbstdefinition von Wissenschaft in der Gesellschaft - wurde später in den Workshops teilweise vertiefend angeschnitten.

Der neue Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, Matthias Kleiner, stellte bereist arrivierte CS-Projekte vor. Er plädierte dafür, den Themenbereich alsbald über die Naturwissenschaften auch auf die Geistes- und Sozialwissenschaften auszuweiten.

Im Hauptvortrag des Vormittags gab der Generaldirektor des Naturkundemuseums, Johannes Vogel, vor dem Hintergrund seiner britischen Erfahrungen und seiner Funktionsträgerschaft als ECSA-Präsident Einblick in die internationale Entwicklung der Bürgerwissenschaft. Zugleich schlug Vogel den Rahmen für den Ausbau von Citizen Science in Deutschland bis 2020.

Anschließend wurde in vier Workshops diskutiert, mit dem Ziel zentrale Punkte für die weitere Arbeitsplanung des GEWISS-Konsortiums zu definieren.
(1) Bedeutung von Citizen Science für die Forschung
(2) Bedeutung von Citizen Science für die Gesellschaft
(3) Bedeutung von Citizen Science für die Politik
(4) Citizen Science 2.0 - Digitale Wissenschaftskommunikation


Drei Fragen sollten in allen Workshops behandelt und beantwortet werden:
(1) Welche Ziele sollen mit der Stärkung von Citizen Science in Deutschland erreicht werden, (1a) und anhand welcher Erfolgskriterien kann deren Erreichung gemessen werden?
(2) Welche Herausforderungen und Barrieren für Citizen Science gibt es, (2a) und welche Strategien zu ihrer Überwindung sind denkbar?
(3) Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte für Citizen Science in Ihrer eigenen Arbeit, in Ihren Projekten und Institutionen.

(Berichte aus den Workshops und vom Vogel-Vortrag folgen noch)

 

Manfred Ronzheimer

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Das BMBF GEWISS Bausteinprogramm zur Entwicklung von Citizen Science Kapazitäten in Deutschland ist ein Konsortium-Projekt von Einrichtungen der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft und ihrer universitären Partnern: Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig | Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) | Friedrich-Schiller-Universität Jena | Berlin-Brandenburgisches Institut für Biodiversitätsforschung (BBIB) | Museum für Naturkunde Berlin (MfN) | Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) | Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) | Freie Universität Berlin | Leibniz Forschungsverbund Biodiversität (LVB). Weitere Informationen erhalten Sie auf www.buergerschaffenwissen.de

Programm (PDF)

http://www.ufz.de/index.php?de=32981

 

ZN10081f

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