Zum Seitenanfang Druckversion  

Frag-würdige Wissenschaftskommunikation

12.10.2015

Frag-würdige Wissenschaftskommunikation

Antworten von Manfred Ronzheimer, Wissenschaftsjournalist

*

Am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015 findet im Deutschen Bundestag als 43. Sitzung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung um 09:30 Uhr, Sitzungsort: Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.300 ein öffentliches Fachgespräch zum Thema "Stand und Perspektiven der Wissenschaftskommunikation" statt. - mehr hier

Geladen sind sieben Experten, die schon vorab dem Ausschuss die zentralen Aussagen ihrer Stellungnahmen zugeschickt haben. Die Anhörung wird auch live im Bundestags-Fernsehen übertragen.

Stellungnahme von Herrn Dr. Volker Meyer-Guckel, Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, Berlin (pdf | 128 KB)
Stellungnahme von Herrn Jan-Martin Wiarda, Journalist für Bildung und Wissenschaft, Teltow (pdf | 49 KB)
Stellungnahme von Frau Dr. Steffi Ober, Zivilgesellschaftliche Plattform Forschungswende, Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) e. V., Berlin (pdf | 251 KB)
Stellungnahme von Frau Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, Universität Konstanz, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Marketing / Pressesprecherin (pdf | 163 KB)
Stellungnahme von Frau Prof. Dr. Antje Boetius, Vorsitzende des Lenkungsausschusses Wissenschaft im Dialog, Universität Bremen, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (pdf | 86 KB) Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. Reinhold Leinfelder, Direktor Haus der Zukunft gGmbH, Berlin (pdf | 126 KB)
Stellungnahme von Herrn Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer, Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) GmbH / Ecornet - Ecological Research Network, Berlin (pdf | 168 KB)

Ich selbst habe an anderer Stelle, bei einer Befragung durch die SPD-Bundestagsfraktion im August, diese Antworten zum Thema gegeben:

 

Was ist Wissenschaftskommunikation?
Wissenschaftskommunikation ist der neue Begriff für die frühere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaftseinrichtungen (Hochschulen und außeruniversitäre Forschung). Sie ist damit der Gegenpol des Wissenschaftsjournalismus, der diese Kommunikationsinhalte aufnimmt und für die Medien aufbereitet und über sie verbreitet. Wissenschaftskommunikation ist dem Wesen nach PR, Unternehmenskommunikation. Sie will ihre Institution von der Schokoladenseite zeigen. Kritik ist tabu. Wissenschaftsjournalismus hat einen gesellschaftlichen Auftrag, er zeigt plus und minus, audiatur et altera pars. Kritik ist Pflicht.

Wer betreibt Wissenschaftskommunikation?
Die Akteure des Wissenschaftssystems betreiben WK. Mit der stärkeren Ökonomisierung der Wissenschaftseinrichtungen wurde dieser Sektor massiv ausgebaut. Schätzungen gehen dahin, dass auf einen Wissenschaftsjournalisten in Deutschland zehn Beschäftigte der WK in den Hochschulen etc kommen, zusätzlich die Personen, die in externen Werbe- und Web-Agenturen für sie auftragsmäßig arbeiten. Das Wissenschaftssystem war bisher nicht bereit, obwohl es sonst mit Steuermitteln alles Mögliche erforscht, diesen Zustand genauer zu untersuchen. Man will ja keine schlafenden Hunde (Rechnungshof) wecken.

Welche Funktionen erfüllt die Wissenschaftskommunikation für die verschiedenen Akteursgruppen?
WK ist Corporate Communication. Es geht darum, die Leistung der jeweiligen Wissenschaftsinstitution (Hochschule, Forschungsinstitut) zu kommunizieren.
WK muss von Wissenschaftstransfer - ob mit Zielrichtung Wirtschaft oder Gesellschaft - unterschieden werden.
Aussagen wie "Zudem trägt Wissenschaftskommunikation dazu bei, Lösungsansätze für gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln" sind naiv und weltfremd. Ich kann das aus meiner journalistischen Arbeit, gerade weil ich sehr zu diesen GGH-Themen (Große Gesellschaftliche Herausforderungen) arbeite, nicht bestätigen.
Der Satz "Wissenschaftskommunikation erlaubt der Zivilgesellschaft, einen Überblick über Innovationen, Wissensstand und aktuelle Herausforderungen zu erhalten, die in der Wissenschaft erarbeitet werden" überdehnt den WK-Begriff, indem er Sachverhaltsdarstellungen (Institutsberichte, Rechenschaftsberichte, wiss. Publikationen) , die zum normalen Wissenschaftsbetrieb zählen, als zusätzliche Kommunikationsleistungen aufwertet. Das sind sie nicht.

Welche Erkenntnisse der Wissenschaft sind wertvoll für das öffentliche Wohl? In welchen Bereichen entwickelt sich die Gesellschaft in eine vermeintlich "falsche" Richtung?"
Hierbei handelt es sich um ein bestenfalls randstädiges Thema im deutschen Wissenschaftssystem. Und wenn es als Soll-Zustand gemeint sein sollte, dann ist die traurige Wahrheit, dass sich derzeit niemand um die Erreichung dieses Soll-Zustandes kümmert. Niemand aus dem Wissenschaftsjournalismus, niemand von den Wissenschaftskommunikatoren, keiner aus der Wissenschaftsadministration. Das schlagende Beispiel ist dafür das öffentliche Echo, das die Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom April 2015 zum Umgang der Wissenschaften mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen (GGH) gefunden haben. Es gibt kein Echo. Keinen interessiert das.

Was sind Gütekriterien für die Wissenschaftskommunikation?
Der momentane Standard dazu ist das Siggener Papier, das jedoch voller Illusionen und Selbstüberschätzungend er Wissenschaftskommunikatiren steckt.

Welche aktuellen Trends finden derzeit in der Wissenschaftskommunikation statt?
Trend 1 sind Partizipationsformate, um Bürger direkt anzusprechen und ihre Meinung ins Wissenschaftssystem hereinzuholen. WID und BMBF machen da am meisten. Die Erfolge sind bescheiden.
Trend 2 ist große Ratlosigkeit, wie man aus dem 20 Prozent-Turm der ohnehin schon Interessierten herauskommen kann. Die Lange Nacht der Wissenschaft in Berlin, Pionier auf diesem neuen Weg zur Volksansprache, stagniert bei den Besucherzahlen seit Jahren. (Mit den Angeboten der Wissenschaftskommunikation werde nur "ein kleiner Anteil ohnehin schon an Forschung interessierter Bürger" erreicht, "während die Mehrheit der Bevölkerung sich desinteressiert abwendet", konstatierte der österreichische Rat für Forschung und Technologieentwicklung ernüchtert in seinem Jahresbericht. Fazit der Wiener Experten: "Ein Angebot zum Abbau von Berührungsängsten mit dem Thema Wissenschaft und Forschung ist dringend erforderlich". - Quelle taz

Welche Wege und Kanäle gibt es, über die Wissenschaft kommuniziert wird?
Hier muss man unbedingt unterscheiden zwischen Heute und Morgen. Die Kanäle von heute werden morgen nicht mehr da sein. Speziell was das Mediensystem angeht. Hier ist der absolute Innovations-Hotspot. Der in Deutschland nicht bedient wird.
Mein Modell für den Wissenschaftsjournalismus heißt "Beyond Journalism" (Näheres auf Anfrage)

Welchen Nutzen hat eine offene und qualitätsgeleitete Wissenschaftskommunikation?
Der Nutzen läge vor allem in der sog. "Dritten Mission" (Stifterverband). Für die Hochschulen wäre dies neben Lehre und Forschung als dritte Wirkungsrichtung die Gesellschaft. Dafür gibt es inner-institutionell erst rudimentäre Instrumentarien. Und die Kommunikationstools sind entsprechend unterentwickelt.
Die Tragik liegt darin, dass das gesellschaftliche "Widerlager" fehlt. Im Unterschied zu früheren Jahrzehnten, in denen gesellschaftliche Nachfrage nach Wissenschaft etwa zur (kleinen) Bewegung der Wissenschaftsländen führte, ist so etwas heute nicht existent. Die Mode "Citizen science" hat keinen gesellschaftlichen Anspruch und ist nur an Assistenzdiensten für Wissenschaftsprojekte interessiert. Die wachsende Zahl "älterer Semester" (Rentner) in den Hochschulen ist nur an individueller Bildungsangeboten interessiert, nicht gesellschaftlicher Indienstnahme.

Welche Handlungsbedarfe bestehen, um die Qualität der Wissenschaftskommunikation in Deutschland zu stärken?
Mein Ansatz - auf der IDW-Tagung vorgetragen - WJ und WK in einer neuen Weise zusammenzuführen ("Beyond Journalism"). - Quelle taz

Von welchen internationalen Beispielen sollte die Wissenschaftskommunikation in Deutschland lernen?

Ich würde gerne das norwegische Modell nach Deutschland holen (im online-Bereich) forskning.no. Das ist eine journalistische betriebene Informationsplattform, die aber finanziell von den norwegischen Wissenschaftsorganisationen getragen wird. (WJ statt WK - aber finanziert vom Wiss.system und nicht von Verlegern)

 

TE1877a

Zum Seitenanfang Druckversion   Zum Seitenanfang  Zum Seitenanfang 
oben