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An der Grenze

06.03.2016

An der Grenze

Kongress "Wachstum im Wandel" in Wien - Auf welchem Wirtschaftsweg soll "gewandelt" werden? Wachstum oder Kreislauf?

Das bisherige Wirtschaftswachstum stößt an ökologische Grenzen. Eine umfassende Transformation zur Nachhaltigkeit stellt sich dringender denn je. Der große Kongress „Wachstum im Wandel" stellte vom 22. bis 24. Februar 2016 für drei Tage in der Wirtschaftsuniversität Wien diese Fragen in den Mittelpunkt seiner Beratungen mit 600 Teilnehmern. Das übergeordnete Leitthema der zum dritten Mal stattfindenden Konferenz sind Grenzen: „An Grenzen wachsen". Wo sind die Grenzen unseres Handelns? Wie zeigen sie sich und welche Auswirkungen haben sie? Wie können wir sie überwinden?

Transformation und Grenzen im Fokus

In mehreren Plenarveranstaltungen und 29 Arbeitsgruppen tauschten sich Vertreter aus Wirtschaft, Umweltbewegung, Politik und Wissenschaft über die anzustrebende „Transformationsgesellschaft" und den Weg dorthin aus. Prominente Redner waren unter anderem Andrä Rupprechter, Bundesminister für Landwirtschaft und Umwelt, Janez Potocnik, frühere EU-Umweltkommissar , und Hans Herren, Weltagrarexperte und Träger des Alternativen Nobelpreises. Zwei Abendveranstaltungen mit breitem Diskussionspanel reflektierten die Folgen des Pariser Klimagipfel unter dem Titel „Beschluss einer Transformation" und die aktuellen, transnationalen Flüchtlings- und Wanderungsbewegungen („Migration - Bewegung von Menschen").

 

 

Über die Debatten wurde auf einem Live-Blog auf der Konferenzseite aktuell berichtet. Die Meldungen verfaßten die Teilnehmer des "Workshops für Transformationsjournalismus", veranstaltet von der Nachhaltigkeits-Plattform N21:
http://www.wachstumimwandel.at/konferenz2016/konferenz-live-blog/

Willkommen zum gemeinsamen Wandel

„Wir wollen nicht gewandelt werden, sondern selber wandeln", betonte Elisabeth Freytag-Rigler vom Umweltministerium bei der Eröffnung der Konferenz Wachstum im Wandel. Wirtschaftliches Wachstum könne nur noch in umweltschonender Weise und qualitativer Ausrichtung zugelassen werden. Ihre Kollegin aus der Abteilung für Wirtschaftspolitik des Umweltministeriums, Martina Schuster, unterstrich, dass die biophysikalischen Grenzen der Erde erreicht seien. Auch die wachsende soziale Ungleichheit mache ein Umsteuern erforderlich. Die vom Ministerium zusammen mit der WU veranstaltete Konferenz wolle die „multiplen Aspekte der Transformation gemeinsam beleuchten" und in ein Dialogformat bringen. Fred Luks vom Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit der Wirtschaft-Universität betonte die Verpflichtung der Hochschulen sich an der „Third Mission", der Öffnung gegenüber der Gesellschaft zu beteiligen. Die WU habe in diesem Bereich in den letzten Jahren rund 5000 Personen geschult. Auch die begr Transformations-Konferenz gehöre zu dieser Orientierung. „Willkommen zum gemeinsamen Wandel", begrüßte Luks die Teilnehmer der Eröffnungssession.

 

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Im Vorfeld des Kongresses erläuterte Fred Luks in einem Beitrag für die "Wiener Zeitung" den Hintergrund der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion. (1) (1) http://www.wienerzeitung.at/meinungen/gastkommentare/801475_Wachstum-im-Wandel-wir-sind-mittendrin.html

Wachstum im Wandel - wir sind mittendrin
Er schreibt, dass rasante technologische und kulturelle Veränderungen und eine erhöhte gesellschaftliche Sensibilität für Verteilungs- und Umweltthemen dazu geführt hätten, dass über das Wirtschaftswachstum seit einiger Zeit so intensiv diskutuiert werde wie seit den 1970er Jahren nicht mehr. Aber die Diskussion sei heute weiter als vor 40 Jahren. Zitat: "Einen simplen "Wachstumsstopp" fordert heute kaum noch jemand: Vielmehr geht es um komplexe Fragen nach technologischen Entkopplungsmöglichkeiten, Rebound-Effekten, Postwachstumskonzepten und Transformationsprozessen.
Zwei Dinge sind für eine zeitgemäße Wachstumsdebatte hilfreich. Erstens die Unterscheidung zwischen Wünschbarkeit und Möglichkeit: Wachstum kann - zum Beispiel aus Beschäftigungsgründen - wünschenswert sein. Das wird aber zum Problem, wenn weiteres Wachstum - zum Beispiel aus Klimaschutzgründen - nicht möglich ist. Die Beobachtung des US-Ökonomen Herman Daly, dass Wirtschaftswachstum sehr unwirtschaftlich sein kann, sollte zu denken geben, wenn man die Möglichkeiten und Grenzen von weiterem Wachstum reflektiert: Wenn dessen zusätzlicher Nutzen geringer ist als die schädlichen Wirkungen, ist die Zeit für grundsätzliches Nachdenken gekommen. Zweitens: Wachstum ist keineswegs die historische Normalität, für die es oft gehalten wird. Sowohl wirtschafts- als auch theoriegeschichtlich ist Wachstum immer im Wandel gewesen. Das massive Wachstum seit der industriellen Revolution ist, historisch betrachtet, möglicherweise eine sensationelle Ausnahme. Und: Alle großen Ökonomen - von Adam Smith und John Stuart Mill über Karl Marx und William Stanley Jevons bis Joseph Schumpeter und John Maynard Keynes - haben sich mit der Frage beschäftigt, ob Wirtschaftswachstum wirklich von Dauer sein kann. Alle der genannten Herren waren - aus ganz unterschiedlichen Gründen - überzeugt, dass Wachstum Grenzen hat."

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Potocnik erläutert Circular Economy

Das neue Konzept der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) will den Ressourcenverbrauch dadurch senken, indem die verwendeten Rohstoffe so lange wie möglich im Verbrauchszyklus der Produkte verbleiben. Den neuen umweltpolitischen Ansatz, den die EU-Kommission im Dezember vorgelegt hatte, erläuterte der ehemalige Umweltkommissar der Europäischen Union, Janez Potocnik, am Montag auf der Wiener Konferenz „Wachstum im Wandel". Auf diese Weise könnte nicht nur der Umweltverbrauch reduziert, sondern auch die Beschaffungs-, Entsorgungs- und Folgekosten erheblich reduziert werden. In privaten Haushalten könnten die Kosten für bestimmte Güter um bis zu 60 Prozent verringert werden, bei Nahrungsmittel werde das Einsparpotenzial auf 25 bis 40 Prozent geschätzt. Potocnik erläuterte das Keislaufkonzept an den Beispielen Produktionsmaschinen, Smartphones und der Verwendung von Autos. Heutige Kfz verwendeten mit dem Verbrennungsmotor eine Technik, bei der 80 Prozent des Treibstoffs nie die Räder erreicht. Zudem seien die meisten Automobile nur wenige Stunden täglich im Einsatz, so das sich unter Strich ein Wirkungsgrad von nur 1,5 Prozent ergebe. „Die strukturelle Verschwendung im Mobilitätssystem ist sehr hoch", urteilte der Umweltexperte, der heute das Internationale Resourcenpanel der UN-Umweltbehörde UNEP leitet. Veränderungen beim Verbrauch von Rohstoffen seien dringend nötig. Potocnik: „Das 21. Jahrhundert ist ein fragiles Jahrhundert - wir müssen es in Richtung Nachhaltigkeit bewegen."

(Die Folien zum Potocnik-Vortrag)

 

(Foto, v.l.n.r. Nakicenovic, Kapfinger, Hojesky, Moderatorin Milborn, Herren, Stagl, Kromp-Kolb, Aufn MR)

„Das beste Ergebnis, das wir je hatte" - Podiumsdiskussion über die Bedeutung des Klimagipfels von Paris

„Paris war eine Sensation, ein Super-Ergebnis", wertete Helmut Hojesky, Leiter der Klimasschutzabteilung im Umweltministerium den Ausgang der UN-Klimakonferenz COP21 von Paris im letzten Dezember. „Das war das beste Ergebnis, das wir je hatten".

Auch Helga Kromp-Kolb, Leiterin des des Zentrums für Globalen Wandel an der Boku Wien, würdigte die Pariser Einigung, die aber jetzt schnell in eine Umsetzung gebracht werden müsse: „Paris ist eine Chance, die wir nutzen müssen". Wer nun was genau tun müsse, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, sei eine Diskussion, die auch in Österreich intensiviert werden müsse.

Zuvor hatte in der Abendveranstaltung des ersten Kongresstages IIASA-Geschäftsführer Nebosja Nakicenovic in einer Keynote den dringenden klimapolitischen Handlungsbedarf im 21. Jahrhundert aufgezeigt. Im Zeitalter der Industrialisierung seien bereits 2000 Milliarden Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre abgelagert worden. Wenn noch 1000 Milliarden Tonnen bis 2050 hinzu kämen, sei der Kipp-Punkt zur Klima-Katastrophe erreicht. Deshalb sei die Dekarbonisierung der Wirtschaft eine der Hauptaufgaben der nächsten Jahre. Wichtig sei, nicht isoliert zu handeln, sondern viele Transformationslinien zusammen zu binden. Viel hänge davon ab, eine Technologie- und eine Verhaltenswende der Menschen zu integrieren. Nakicenovic: „Wir brauchen einen radikalen Wandel".

Der Schweizer Agrarexperte und Träger des Alternativen Nobelpreises, Hans Herren, hob die Bedeutung der Landwirtschaft für eine Klimawende hervor. Heute werde der Treibhauseffekt zu 50 % durch Prozesse in Agrarbereich, vor allem der Viehzucht, und dem Ernährungsverhalten, speziell dem Fleischverzehr, verursacht. Dabei ginge es völlig anders: Mit einer alternativen Landwirtschaft und weniger Verschwendung könnten sogar 14 Milliarden Menschen ernährt werden. Zudem sei es bei anderen Verfahren der Bodenkultur möglich, dass pro Jahr 900 Tonnen pro Hektar im Erdreich gespeichert werden. Leider sei der Bereich Landwirtschaft in den Pariser Verhandlungen nicht seiner Bedeutung entsprechend zur Sprache gekommen. „Zeit haben wir keine mehr", so Herren. „Wir müssen die Landwirtschaft jetzt auf Agrarökologie umstellen, nicht erst in zehn Jahren".

(Die  Folien zum Herren-Vortrag)

Vom Umweltschutz zum Systemwandel

Alle fünf Jahre führt die Europäische Umweltagentur EEA in Kopenhagen ihren Öko-Check für den Kontinent und die Welt durch (State of the Environment Report, SOER). Die letzte Ausgabe 2015 zeigte für Europa einige „grüne" Balken: Indikatoren für die erfolgreiche Bekämpfung von Umweltbelastungen in einigen Bereichen, wie der Gewässerreinhaltung, wie auch bei der Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz. Aber beim Blick auf die Langzeit-Vision bis 2050, den EEA-Direktor Hans Bruyninckx zur Eröffnung des zweiten Tags der Konferenz „Wachstum im Wandel" bot, sind die grünen Hoffnungsbalken verschwunden. Die Verbesserungen in Europa können dann die Verschlechterung der Umweltbedingungen in der restlichen Welt nicht mehr wettmachen. „Das bedeutet, die Politik muss schon heute handeln", formulierte der Agentur-Chef als Konsequenz.

„2050 ist eigentlich schon heute", überraschte Bruynincks. Er meinte damit, dass die großen Investitionen, die in 35 Jahren die Umwelt beeinflussen, zu weiten Teilen schon heute entschieden werden. Daher sei es von zentraler Bedeutung, bereits jetzt mit Änderungen des Gesamtsystems zu beginnen. „Wir brauchen einfach einen anderen Ansatz als bisher", erklärte der Direktor der Umweltagentur. Die Transformation zur Nachhaltigkeit in Europa müsse vor allem durch einen anderen Einsatz von Wissen geschehen. Stand beim SOER 2010 noch ein besseres „Systemverständnis" im Mittelpunkt, war es fünf Jahre später bereits der „Systemwandel". Für die nächste Outlook-Phase bis 2020 müsse es aber um den konkreten „Aufbau einer Wissensbasis" für die Ökonomie und dien Umweltpolitik der Zukunft gehen.

Der Umbau der alten, auf fossilen Energien basierten Industrie zu einem neuen nachhaltigen System, verlange Innovationen, die auch mit Friktionen und Abwehrkämpfen einhergingen. „Durch diese Phase der Unsicherheit müssen wir in den nächsten Jahren hindurch", sagte der EEA-Chef voraus. Alle Transformateure müssen sich auf eher unruhiges Fahrwasser einstellen.

 

(Die Folien zum Bruyninckx-Vortrag)

 

Im weiteren Verlauf des Morgenpanels äußerten sich EX-EU-Umweltkommissar Janez Potocnik , und die Geschäftsführerin der ORF-Initiative „Mutter Erde", Hildegard Aichberger, zu den Bedingungen der Kommunikation über die großen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

 

 

Migration bewegt Menschen und Gemüter

Das heißeste Thema der aktuellen Politik in Europa, die Bewältigung der Flüchtlingskrise, bildete unter dem Titel „Migration - Bewegung von Menschen" auch den Anlass für eine spannende Diskussion am zweiten Abend der Konferenz. Das Verhalten von Einheimischen gegenüber Fremden, ob sie vor Krieg und politischer Verfolgung flüchten oder auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Verhältnissen sind, wurde ebenso angesprochen wie die erkennbare Unfähigkeit der Politik, auf die Herausforderungen schnell reagieren, oder die tiefer liegenden, häufig kolonialen Ursachen für große Wanderungsbewegungen zwischen den Kontinenten.

In einem Eingangsvortrag stellte Gudrun Biffl, die an der Donau-Universität Krems den einzigen Lehrstuhl des Landes für Migrationsforschung innehat, die Flüchtlingssituation für Österreich dar. In einer unveröffentlichten Studie vom August 2015 sei mit einem Zugang von 90.000 bis 100.000 Flüchtlingen in den nächsten drei Jahren nach Österreich kalkuliert worden. Wichtig sei, schnell mit der Integration zu beginnen. Das sei für die Menschen besser und verringere auch die Kosten für die Eingliederung. Für den Bildungsbereich werde mit Integrationskosten in Höhe von 70 Mio Euro gerechnet, die Integration in den Arbeitsmarkt werde mit 75 Mio veranschlagt. Ein weiterer Posten seien die Sozialhilfekosten. „Die größte Herausforderung ist das Management der Schnittstellen zwischen den Hilfsbereichen", erklärte Biffl.

(Die Folien zum Biffl-Vortrag)

Auf eine grundsätzlichere Ebene hob Maria Do Mar Castro Varela von der Alice Salomon-Hochschule in Berlin die Diskussion. Die derzeitige Obergrenze von 3200 Flüchtlingen pro Tag in Österreich hielt sie für „nicht vereinbar mit der Genfer Flüchtlingskonvention". Vor schnellen Ad hoc-Aktionen durch die Politik sollte eine differenzierte Analyse der Ursachen und Handlungsbedingungen gestellt werden, forderte die deutsche Sozialwissenschaftlerin. „Wir müssen beantworten, woher diese Ressentiments gegen Flüchtlinge kommen, die auch sehr schnell in Gewalt umschlagen können", mahnte Frau Do Mar Castro.

Alexander Bodmann von der Caritas Wien verwies indes auf einen gegenläufigen Trend in der Bevölkerung. Bei allen 30 Einrichtungen zur Unterbringung von Flüchtlingen, die in den letzten Monaten von der Caritas eingerichtet wurden, habe sich eine Bürgerinitiative zur positiven Unterstützung gebildet. Es gebe mehr Spenden als je gedacht. „Die Problematik ist keineswegs so groß, wie sie von den Medien dargestellt wird", sagte Bodmann. Prof. Biffl berichtet ergänzend, dass in kleinen Gemeinden, die Asylsuchende bei sich aufgenommen hatten, die FPÖ in der nachfolgenden Wahl jeweils weniger Stimmen bekommen habe.

Texte: Manfred Ronzheimer

http://www.wachstumimwandel.at/konferenz2016/ueber-die-konferenz/

Weitere Fotos von der Tagung hier:
http://www.wachstumimwandel.at/konferenz2016/dokumentation/fotos/

Twitter-Einträge (Auswahl): http://wiw2016.tweetwally.com/projection

https://twitter.com/WiW_Konferenz

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Videos (ältere)

Abschlußerklärung des Ministeriums

Wachstum im Wandel - In Rahmen der Initiative „Wachstum im Wandel" wird diskutiert, ob und wie das Wirtschaftswachstum langfristig ökologisch und sozial verträglich gestaltet werden kann.
Erläuterungstext des  BMLFUW, 29.02.2016, Abteilung I/2 - Energie- und Wirtschaftspolitik

InnoMonitor, 13.02.2016
"Wachstum im Wandel"
Internationaler Transformationskongress an der Wirtschaftsuniversität Wien

InnoMonitor, 05.03.2016
Akademische Vorreiter
Die Allianz der nachhaltigen Universitäten in Österreich

 

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