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„Summe von Selbstverständlichkeiten“

20.07.2016

„Summe von Selbstverständlichkeiten"

Der erste „Agendakongress" Bildung für nachhaltige Entwicklung

 In der vorigen Woche fand in Berlin der so genannte „Agendakongress 2016"  Bildung für nachhaltige Entwicklung  des BMBF statt. (1, 1a) Das Bundesbildungsministerium ist seit dem vorigen Jahr der Träger einer Plattform, die Akteure aus allen Bereichen des Bildungswesens an einen Tisch bringt. Nach einigen internen Treffen war die Veranstaltung am 11. und 12. Juli 2016 im Berliner Kongresszentrum am Alexanderplatz die erste offene Zusammenkunft, an der jeder teilnehmen konnte. Es waren mehrere hundert Teilnehmer gekommen, darunter erstaunlich viele Jugendliche - in einigen Bundesländern sind schon Sommerschulferien. Eine offizielle Teilnehmerzahl wurde von den Veranstaltern im Nachgang nicht bekannt gegeben, wie die Öffentlichkeitsarbeit generell ziemlich miserabel war. Von einem einem Bundesministerium darf man anderes erwarten. (Sorry, jetzt rutscht mir die Kritik doch schon rein, aber dies ist kein beauftragter Text). (Rede Wanka: 3)

 

 Foto: Podiumsdiskussion über neue Narrative

 

Wesentliche organisatorische Funktion der Konferenz war es, die geordnete Übernahme des Staffelstabs von der Deutschen Unesco-Kommission (DUK) an das Ministerium zu demonstrieren. Die DUK hatte in den letzten zehn Jahren die Koordination der deutschen BNE-Aktivitäten inne, als nationaler Teil der internationalen UN-Dekade zu diesem Thema. Es wurden zahlreiche und vereinzelte Aktivitäten entfaltet, die dann auch in einer Preisverleihung an besonders vorbildliche Kommunen, Netzwerke und Lernorte gewürdigt wurde (2). Der zentrale Anlass, warum das BMBF in diese föderalismuspolitisch nicht unproblematische Rolle gekommen ist (Bildung ist nach wie vor Länderzuständigkeit, mit Ausnahme der Berufsbildung, weshalb auch eine Sprecherin der KMK auftrat, Frau Löhrmann aus NRW), liegt im neuen Schwerpunkt der Dekade-Nachfolgeaktivität, als „Weltaktionsprogramm" (WAP) für BNE bezeichnet: Man will von der punktuellen Projektförderung wegkommen und eine Verankerung des Nachhaltigkeits-Themas in der kontinuierlichen Struktur der Bildungsangebote für alle Altersgruppen erreichen. „Vom Projekt zur Struktur" lautet das Schlagwort für diese neue Phase. - Bericht über die Eröffnungsveranstaltung der Plattform im September 2015 (6).

Opfer der Pfadabhängigkeit

Die ganze Operation gestaltet sich unglaublich schwerfällig und so war auch der Kongress angelegt. Erst im nächsten Frühjahr (Mai 2017) will die Kerngruppe der Plattform ihr nationales BNE-Programm vorlegen. Selbstredend hätte das jetzt schon, im Juli 2016, und wenn auch nur in einem Vorentwurf oder einem Thesenpapier vorliegen müssen, um es bei diesem Event mit der „Crowd" zu diskutieren. Stattdessen wurde man in zehn Arbeitsgruppen geschickt, die alle wieder sehr schön segmentiert waren, um die breite Fächerung der Bildungsstruktur abzubilden und damit auch ihrer Logik zu folgen, die eigentlich nachhaltig aufgebrochen werden muss. Vorschule, Schule, Berufsbildung, Hochschule, außerschulische Jugendbildung, Erwachsenenbildung usw. Jedes Töpfchen fand sein Deckelchen. Die Erörterung in der eigenen „Bubble" konnte so schön weitergehen. Die Pfadabhängigkeit, bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung unbedingt den institutionellen Strukturen des Bildungswesens zu folgen, ist übermächtig. Weiter so wie bisher, nur mit größerer Intensität - das war die subkutane Botschaft des Agendakongresses. (Diesem Cocooning-Denken ist es auch zuzuschreiben, dass diese Veranstaltung keine gesellschaftliche Öffentlichkeit in Form einer normalen  Pressearbeit anstrebte und dementsprechend auch keine gesellschaftliche Wahrnehmung fand. Dazu später mehr). -  Die Twitter-Einträge hier (5)

 

Nur um mal einen Gegenentwurf aufzumachen: Warum wurde der Kongress nach den Strukturen des Bildungssystems organisiert, aber nicht nach den Themen der Nachhaltigkeit? Um diese Themen geht es doch! Warum macht man nicht die Themen zur prägenden Struktur des Treffens, der Cross-over-Information, der kreativen Befruchtung? Es gäbe dazu viele Möglichkeiten, eines wäre die Ordnung nach den Elementen der Antike: Wasser, Feuer, Luft und Erde. Das wären vier Sessions des Kongresses gewesen, wo alle erfahren, wie sie mit diesen Themen umgehen, welche Erfahrungen sie machen, auch was sich nicht bewährt hat. Etwa beim Wasser:  wie das Meer, sein Aufbau und seine Bedrohung, den Kleinkindern in der Kita, im Erdkundeunterricht der Schule, als Berufsrichtungen für Jugendliche vor der Ausbildungsentscheidung, neue Forschungen in der Hochschule, oder im VHS-Programm Ernährungshilfen für bewußteren Fischkonsum u.s.v.a.m. Die gleiche Themenvielfalt könnte ich für die anderen planetaren Rahmungen durchspielen, wobei es natürlich - weil natur-lich -  Überschneidungen gibt: Das Feuer rahmt etwas das Energiethema wie die Luft die Treibhausgase und Klimawandelfolgen. Und alles das nochmal quergezogen - neben den inhaltlichen und didaktischen Gesichtspunkten - auch mit den jeweiligen medialen Möglichkeiten: von den Bürger-Mitmachzeitungen des partizipativen Transformationsjournalismus (meine Spezialität) hin zu den neuesten Mobil-Apps und Youtube-Influencer-Videos.  Das Thema „Narrative der Transformation" würde bei einem solchen Kongressdesign nicht in einer einzelnen Arbeitsgruppe landen, sondern querbeet bei allen Sektoren der Nachhaltigkeit auftauchen. Mut zur Kreativität kann ich nur sagen. Ist das bei einem Ministerium richtig aufgehoben? (Gegenfrage: Warum, nicht?)

Diskussionen des Kongresses

 Von der Phantasie zurück zur Realität. Der Konferenzablauf teilte sich in vier Plenarveranstaltungen und zwei Workshop-Durchläufe (diese je mit zwei bis drei Stunden). Die Plenarblöcke waren 1 der politische Teil mit den Preisverleihungen (2) sowie Podiumsgespräche über  2 die Zukunft, 3 Schule und 4 neue Narrative. Die Session 4 „Nachhaltigkeit erzählen: neue Narrative"  (eindeutig ein Kommunikationsthema) hatte einen gewissen Pepp, was an Sebastian Turner lag, dem Herausgeber des Berliner „Tagesspiegel", der sich wiederholt erlaubte, gegen den Stachel zu löcken. So mit dem Bekenntnis, dass er vor seiner Berufung in die BNE-Plattform den Begriff als solchen (NH oder BNE?) gar nicht kannte. (Auch ein Kommunikationsdefizit, wem anzulasten?)

Nachhaltigkeit mit seinen Implikationen der Achtung des Lebens und der Umwelt, der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen heute und denen in der Zukunft - das ist für Turner nicht mehr als „eine Summe von Selbstverständlichkeiten". Schon in dieser Bemerkung schimmerte die Skepsis gegenüber der Semantik durch, erst recht beim Plastikwort „Narration". Wird Altes, Gewohntes, Selbstverständliches nur deshalb mit einem neuen Begriff umetikettiert, um die Aufmerksamkeit zu steigern? Für sein Gewerbe, die Medien, durchaus eine Konstante, wie Turner erklärte: „Die Leute wollen das Neue." Für die Nachrichtenproduktion der Zeitung bedeute das den „ruck, ständig über Veränderungen zu berichten und die nächste Ankündigung zu bringen". (Über den Kongress wurde aber im Tagesspiegel nicht berichtet).

Die Gründerin der Online-Plattform Betterplace, die Kulturwissenschaftlerin Joana Breitenbach,  stellte dar, wie dort Nachhaltigkeits- aber auch andere Themen anders erzählt werden, etwa im Unterschied zur appellativen Ansprache durch die NGOs. Dadurch habe man inzwischen 19.000 Projekte auf Betterplace versammeln können, die viele Millionen an Spendengeldern eingesammelt haben. Während der deutsche Spendenmarkt in generell „überaltert" sei, liege das Alter des Durchschnittsspender auf  Betterplace bei 37 Jahren.

Influencer sind Opinion Leader

Eine kommunikative Lernkurve hat Julia Althoff, Projektleiterin bei MESH Collective, durchlaufen. „Unsere Aufgabe ist es, junge Menschen als mündige Bürger anzusprechen", so im breiteren Bereich der politischen Jugendbildung. Dabei gehe es vor allem um „Influencer" auf Youtube, ein Blogger könne dann schon mal mit Kanzlerin Merkel zusammentreffen, um höchste deutsche Regierungspolitik in Jugendsprache zu übersetzen. Das sei aber gar nicht so einfach wie gedacht, räumte Althoff ein: Das selbst produzierte „Jugendsprech hat nicht funktioniert"- Man kooperiert seitdem mit „Influencern", die auf eigenen Video-Kanälen auf Youtube an die 100.000 Views erreichen. In den Kommentarspalten bringe das zum Teil „sehr rege Diskussion".

 

Alter Wein in  neuen Schläuchen, konnte Medienmann Turner da nur replizieren. Die vorgeblich neuen didaktischen Formate seien in der Substanz „so alt wie die menschliche Kommunikation". Das meiste davon sei nichts anderes als „die Sendung mit der Maus nur mit einer neuen rosa Schleife", stichelte Turner (Rerum cognoscere causas). Influencer hießen früher „Opinion Leader" und später „Multiplikatoren".

Er sei skeptisch, „ob diese jugendliche Aufmachung bei den Jugendlichen wirklich ankommt". Selbst die Augsburger Allgemeine als konventionelle Regionalzeitung erreiche an einem regnerischen Werktag unter ihren 700.000 Lesern auch 100.000 Jugendliche - nur in dieser Region. Als Turner die Zahlen nennt, wird es unruhig im Saal mit hohem Jugendanteil. Aber Althoff kontert: „Aber wir haben ein Wachstum von 70 Prozent und 100.000 Viewer sind in unserem Kontext fantastisch". Das Publikum jubelt. Ein Punkt für new media vs old media.

 Breidenbach erklärt nochmal ihren Ansatz: „Die Jugendlichen  wollen bei uns nicht belehrt werden. Die alte gemeinnützige NGO-Welt der Entwicklungshilfe sei stark mit dem Biafrakrieg in den 80er Jahren entstanden. „Die Jüngeren wollen aber ihre Geschichte auf eine andere Weise erzählen". Deshalb mache Betterplace jetzt „Storytelling mit den Organisationen der Entwicklungshilfe", damit diese auch „den Sprung aus der eigenen Bubble schaffen".

Kampf der Generationen

Durchbruch des Neuen oder Wiederkehr des Alten. Das Podium kann das ewige Thema fortlaufend variieren. Johannes Domnick von der Stiftung Bildung aus Berlin („Selbstwirksamkeit wird in der Schule nicht vermittelt") holt die Jugendkeule heraus: „Wieviele Jugendliche sitzen denn hier auf dem Podium?" Seine Schlußfolgerung: „Wir (die Jugend) müssen uns selbst auf den Weg machen!" - Ein Agendakongress Jugend für BNE, das wäre in der Tat was... - Aus dem Publikum kommt dann aber die Retourkutsche: BNE ist auch Lebenslanges Lernen, nicht nur Kinder und Jugendliche. „Mir fehlt hier die Ansprache der Erwachsenen".

Die Diskussion verliert dann den roten Faden. Der Eisbär Knut als Ikone eines neuen Narrativ für den Klimawandel und seine emotionale Darstellung kommt zur Sprache, ebenso wie die Kunst als Weg der Verständigung und Wahrnehmung oder die Nicht-Nachhaltigkeit des Internet durch seinen immensen Stromverbrauch. Turner hat noch seine Kritik der Partizipation im Angebot, kommt vom Brexit über Donald Trump über die „Katastrophe" der kalifornischen „Proposition" bis zur Wilmersdorfer Kleingartenkolonie Oeynhausen, deren Bebauung durch Bürgerprotest verhindert werden.

 Abteilungsleiterin Kornelia Haugg aus dem BMBF, ein Staatssekretär ist nicht mehr greifbar, beschließt die Veranstaltung: „Die Idee des Kongresses hat geklappt", stellt sie fest.  Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen; auch neue Gruppen, die bisher „fremdeln". Sie erwähnt die Wirtschaft,  Wissenschaftsdisziplinen, die Zukunftsforschung. Haugg: „Die Wege des Dialogs sind breiter geworden".

 Manfred Ronzheimer

 

(1)

http://www.bne-portal.de/de/bundesweit/agendakongress

(1a)

http://www.bne-portal.de/sites/default/files/downloads/Programmflyer_Agendakongress_BNE.pdf

 

(2)

http://www.bne-portal.de/de/infothek/meldungen/bne-auszeichnungen-65-kommunen-lernorte-und-netzwerke

(2a)

http://www.photothek.net/Agendakongress2016/

 

(3)

https://www.bmbf.de/de/mediathek.php?VID=1107

 

(4)

Karte der Akteure

http://www.bne-portal.de/de/akteure/karte

 

(5)

https://twitter.com/hashtag/agendakongress

 

(6)

http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3857

 

 

 

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