Grüner Jahreswohlstandsbericht
11.07.2015
Grüner Jahreswohlstandsbericht
Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion der Grünen stellt neues Wohlstandsmaß vor
Der am 8. Juli 2015 vorgestellte Bericht "Endbericht zum Gutachten "Jahreswohlstandsbericht" - Konzeptionelle und empirische Grundlagen - Gutachten für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen im Deutschen Bundestag" von Dipl.-Verw.Wiss. Roland Zieschank, Berlin, und Prof. Dr. Hans Diefenbacher, Heidelberg, umfasst 73 Seiten (Gliederung unten). Im Mittelpunkt steht die Auswahl von acht Einzelindikatoren und ihre Begründung: 1. Naturverbrauch, 2. Biodiversität, 3. Reichtumsverteilung, 4. Bildungsstand, 5. Wohlfahrtsindex, 6. Umweltwirtschaft, 7. Glücksindex, 8. Governance. Im Unterschied zum BIP, das nur die messbare Wirtschaft betrachtet, hat der Wohlstandsbericht vier Dimensionen im Blick: die Natur, das Soziale, die Wirtschaft (bis hierhin das klassische Dreieck der Nachhaltigkeit) sowie viertens die "gesellschaftliche Dimension".
Der ausgearbeitete Bericht soll im nächsten Jahr vorliegen. Wenn er aber schon heute fertig wäre, wie würde die Wohlstandsbilanz 2015 ausschauen. Ein Blick auf die einzelnen Indikatoren erlaubt eine erste Einschätzung. Die Trends sind im Bericht auf Seite 45 mit einer Ampeloptik zusammengefaßt, aggregiert in dieser Grafik.
Danach befindet sich Indikator 1: Ökologischer Fußabdruck im Verhältnis zur Biokapazität im roten, d.h. kritischen Bereich, ist aber auf dem Wege der Verbesserung. Bei Indikator 2: Artenvielfalt und Landschaftsqualität ist ebenfalls Rotlicht markiert, und hier wird die negative Situation noch schlimmer. Der Schutz der Biodiversität müsste auf der staatlichen Handlungsagenda ganz oben stehen, was aber nicht der Fall ist. Bei Indikator 3: Einkommensverteilung nach S80/S20-Relation, gibt es ein gelbes Licht - brauchbar -, aber der Trend wird schlechter, soziale Ungleichheit nimmt in Deutschland zu. Indikator 4: Bildungsabschlüsse der Bevölkerung bekommt ebenfalls gelb; hier zeigt der Trendpfeil nach oben, vor allem durch Verbesserung der Abitursquote. Indikator 5: Das BIP im Verhältnis zum Nationalen Wohlfahrtsindex - ebenfalls gelb und im Trend keine Veränderung. Der Indikator 6: Anteil von Umweltschutzgütern an den Industriewarenexporten erhält ein grünes Ampel-Signal - überdurchschnittlich -, der Trend ist gleich bleibend. Der Indikator 7: Die subjektive Lebenszufriedenheit bekommt ein gelbes Licht, mit Trendpfeil nach oben: die Stimmung der Bürger steigt (erstaunlich bei der Entwicklung des Reichtumsindikator 3). Der Indikator 8: Governance-Index attestiert Deutschland mit grüner Markierung eine überdurchschnittlich gute Regierung, demokratischer Rechte, politische Stabilität etc, ein gemixter Weltbank-Indikator aus sechs staatsbezogenen Faktoren. Der Trend in Deutschland: die Überdurchschnittlichkeit ist gleich bleibend.
In der Summe: den Menschen in Deutschland geht es gut, der Natur dagegen schlecht. Wer das land verbessern will, muss sich um die Natur kümmern, und etwas gegen die soziale Ungleichheit unternehmen. Das wussten die Grünen auch schon bei der Bundestagswahl 2013, wurden aber mit einem solchen Programm nicht gewählt. Von daher ist der politische Erkenntniswert der Wohlstandsstudie nach meinem persönlichen Indikator mit "gelb" einzustufen, mit Trendpfeil nach oben, weil Politik klüger gemacht wird.
Manfred Ronzheimer
PS. Die Studie hätte man mal schön auf der Grünen-Wirtschaftskonferenz am Samstag in Berlin (1) vorstellen können. Da waren auch genug Leute da, um das vertiefend zu diskutieren. So blieb es unnötig oberflächlich in der Jerusalemkirche. Wie kommen wir mit unseren Themen in die Gesellschaft, reflektierte Janecek. Ja, über solche Zusammenkünfte. Der Publizitäts-Effekt der PK ist aus meiner Sicht bescheiden gewesen. Man muss bei solchen Themen die Informations-Logistik im Auge haben, hat etwas mit der Ökologie der Information zu tun.
(1) http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3828
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Grüner Jahreswohlstandsbericht
Quelle: Pressemitteilung der Grünen vom 08.07.2015 - Auch hier zu lesen
Wir Grüne im Bundestag setzen die Arbeit der Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität" aus der letzten Legislaturperiode konsequent fort. 17 Bundestagsabgeordnete und 17 externe Sachverständige diskutierten mit weiteren 50 ExpertInnen in öffentlichen und nichtöffentlichen Anhörungen von Ende 2010 bis Mai 2013 intensiv über Fragen von Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität.
Ein zentrales Ergebnis dieser zweieinhalb Jahre stand dann wie folgt im
Schlussbericht der Enquete:
"Ausgehend von der Erkenntnis, dass Wohlstand
mehr ist als "Materieller Wohlstand" empfiehlt die Enquete-Kommission dem
Deutschen Bundestag, ein neues Wohlstands- und Fortschrittsmaß zu etablieren."
Dieses Ergebnis wurde von allen Fraktionen beschlossen. Doch die aktuelle Bundesregierung ist weiterhin auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als einziges Maß für den Wohlstand in Deutschland fixiert.
BU Die grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer und Kerstin Andreae, Prof. Hans Diefenbacher, der grüne Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter und Roland Zieschank stellen am 9. Juli 2015 den grünen Jahreswohlstandsbericht vor. Foto: Grüne Bundestagsfraktion
Jahreswohlstandsbericht statt Jahreswirtschaftsbericht
Wir haben uns zusammen mit unseren Gutachtern Prof. Dr. Hans Diefenbacher (FEST Heidelberg) und Roland Zieschank (FU Berlin) zur Aufgabe gestellt, eine wissenschaftlich fundierte und praktikable Umsetzung für ein neues Wohlstandsmaß vorzulegen. Das Ergebnis ist die nun vorliegende Machbarkeitsstudie für einen neuen Wohlstandsbericht. Hier zum Download
Ein neues Wohlstandsmaß und Indikatorenset ist wesentliche Voraussetzung für
gute Politik und damit ein zentrales wirtschaftspolitisches Thema. Dazu ist es
hilfreich, sich noch mal die wesentlichen Kritikpunkte am Bruttoinlandsprodukt
zu vergegenwärtigen:
- Der Abbau von Ressourcen und die Zerstörung von Natur-
und Sozialkapital sind im BIP nicht berücksichtigt. Während Unternehmen
beispielsweise den Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen
gegenüberstellen und Abschreibungen vornehmen, macht der Staat dies bisher
nicht.
- Reparaturmaßnahmen von Umweltschäden sind eigentlich Kosten, die
lediglich den Status quo wiederherstellen, der vor der Umweltschädigung
existierte. Sie erscheinen aber im BIP als Steigerung, obwohl niemand ernsthaft
behaupten würde, dass beispielsweise die Ölpest im Golf von Mexiko ausgelöst von
der Bohrplattform Deep Water Horizon zu einer Wohlfahrtssteigerung beigetragen
hat. Im Grünen Wohlstandsbericht geht es um harte ökonomische Fakten. Unser
Konzept geht vom Kapitalbegriff aus, erweitert diesen jedoch. Berücksichtigt
wird auch Natur- und Sozialkapital, dessen Verfügbarkeit zum einen natürlich ein
Wert an sich ist, zum anderen aber auch elementar für wirtschaftlichen Erfolg
ist.
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Endbericht zum Gutachten "Jahreswohlstandsbericht"
- Konzeptionelle und
empirische Grundlagen
Gutachten für die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen im Deutschen
Bundestag
vorgelegt von:
Dipl.-Verw.Wiss. Roland Zieschank,
Berlin
Prof. Dr. Hans Diefenbacher, Heidelberg
Berlin, 4. Juli 2015
Inhalt
1. Vorbemerkung
....................................................................................................
4
2. Konzeptioneller Rahmen des Berichts
.................................................................... 5
2.1.
Der Jahreswohlstandsbericht im Kontext neuer gesellschaftlicher Berichtssysteme
... 5
2.2. Anmerkungen zum Begriff Wohlstand und gesellschaftliche Wohlfahrt
........................ 10
2.3. Zum konzeptionellen Rahmen des
Jahreswohlstandsberichts ......................................
12
2.3.1. Grundannahmen ...................................................................................................
12
2.3.2 Ausgangspunkt: Die doppelte Externalisierung des Marktes ......................................... 13
2.3.3 Ein
funktionales Pendant zum Sozialstaat: Green Economy ........................................ 15
2.3.4
Fazit: Zentrale Bereiche eines Jahreswohlstandsberichts ........................................ 17
3 Die
Indikatoren des Jahreswohlstandsberichts ........................................................
22
3.1. Systematik ..................................................................................................
22
3.2 Ökologische Dimension ................................................................................
24
3.3. Soziale
Dimension.......................................................................................
27
3.4. Ökonomische Dimension .............................................................................
30
3.5. Gesellschaftliche Dimension ......................................................................
34
4. Abschätzung der internationalen Vergleichbarkeit ..............................................
38
5. Abschätzung der Fortschreibbarkeit ...............................................................
39
6. Abschätzung der Prognostizierbarkeit ......................................................
40
7. Zur Weiteren Entwicklung des Jahreswohlstandsberichts ........................... 41
8.
Visualisierung und Kommunikation .......................................................
41
9. Anlage: Indikatorenkennblätter ......................................................
48
I 1: Ökologischer Fussabdruck im Verhältnis zur Biokapazität ............... 49
I 2:
Index zur Artenvielfalt und Landschaftsqualität ............................
51
I 3: S 80 : S 20 - Relation der Einkommensverteilung .........................
53
I 4: Bildungsabschlüsse der Bevölkerung nach Altersgruppen und
Migrationshintergrund... 55
I 5: NWI im Vergleich zum BIP
.......................................................57
I 6: Anteil von (potenziellen) Umweltschutzgütern an den
Industrie-warenexporten Deutschlands ... 61
I 7: Lebenszufriedenheit
....................................................................................63
I 8: Governance Index
.....................................................................................
65
10. Beispiel für Vorschläge zum Ergänzungsmodul im Bereich Ökologie ................. 67
11.
Literaturverzeichnis
...................................................................................
69
Zur Begründung heißt es im Einleitungsteil der Studie:
1. VORBEMERKUNG Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hatte sich 2014 zum Ziel gesetzt, einen "Jahreswohlstandsbericht" zu erstellen. Dieser Bericht soll dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung gegenüber gestellt werden und auch ökologische, soziale sowie sozioökonomische Aspekte und Perspektiven gesamtgesellschaftlicher Wohlfahrt mit einbeziehen. Der Bericht ging ursprünglich von dem "Wohlstandskompass" aus (siehe Abbildung 1), welcher von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen der Enquête- Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" in Form eines Sondervotums vorgelegt worden ist.
Das vorliegende Gutachten zu einem Jahreswohlstandsbericht entwickelt diesen Ansatz weiter. Die vier Indikatoren beziehungsweise Indices des Wohlstandskompasses werden hier in einen Gesamtansatz der Wohlfahrtsberichterstattung gestellt und mit weiteren Indikatoren beziehungsweise Indices ergänzt. Das Ziel ist im Endergebnis, fortlaufend eine Alternative zu dem bestehenden Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung erstellen zu können. Der konzeptionelle Rahmen, in dem diese Machbarkeitsstudie steht, orientiert sich dabei an einem modernen Verständnis von gesellschaftlicher Wohlfahrt in Deutschland. Dieser Ansatz wird im folgenden Abschnitt ausgeführt.
In dieser Studie wird zum einen der Kontext und die Struktur erläutert, welche die Verfasser für den geplanten Jahreswohlstandsbericht vorschlagen. Zum anderen enthält die Studie vier zentrale Dimensionen, die jeweils mit 2 Kernindikatoren belegt sind. Zur wissenschaftlichen Charakterisierung wurden jeweils ausführliche Indikatorenkennblätter erstellt. Weitere Zusatzindikatoren sind in späteren Berichtsvarianten als Zusatzmodul vorstellbar, illustrierende Beispiele werden am Ende der Studie erwähnt.
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Foto aus der Pressekonferenz - Quelle Pressestelle Grüne
Ein erster Kommentar auf der Webseite der Grünen:
Chapeau! - Hermann
Ott 09.07.2015 - Liebe Ex-Kolleg*innen, wirklich toll, dass ihr das vorgelegt
habt! Es ist ein Armutszeugnis der Großen Koalition dass sie nicht einmal einen
neuen Indikator hinbekommt - und auf den Bürgerdialog der Kanzlerin zum "Guten
Leben" verweist. Soweit ich das sehe haben die famosen Dieffenbacher und
Zieschank auch den grünen Wohlstandskompass aus der Enquete sorgfältig weiter
entwickelt - Glückwunsch auch dazu und in ihre Richtung. Ich freue mich, mehr
von Euch zu hören und Euch zu unterstützen - Hermann
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Bericht in der Süddeutschen Zeitung, 9. Juli 2015, 18:53 Uhr
Wohlstand:
Wie geht es uns?