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Die Tribalisierung der Information

03.05.2016

Die Tribalisierung der Information

Betrachtung aus Anlass meiner Nicht-Zulassung zur Re:publica und Media Convention Berlin

Es ist Himmelsfahrtswoche und damit die Zeit für hochfahrende Events, in Sonderheit Konferenzen. Für mich sind in Berlin drei besonders interessant: die zehnte Re:publica (1) und inkludiert die dritte Media Convention Berlin des Senats (1a), die SDG-Konferenz des IASS (2) , die Bildungskonferenz Global Goals Curriculum (3)

Sie lohnen alle eine Berichterstattung durch die Medien hinein in die Gesellschaft. Aber werden sie diese bekommen? Beim näheren Blick auf die Veranstaltungen fallen mir Gemeinsamkeiten auf, die nach meinem Dafürhalten als Journalist in die falsche Richtung gehen. Ich möchte sie als „Tribalisierung" oder die Ent-Gesellschaftlichung der Kommunikation bezeichnen. (Diese Begriffe sind wohlgemerkt noch etwas unpräzise, ich arbeite dran). Tribalisierung meint, nach dem alten Slogan der Survivalisten „Nur Stämme werden überleben", die Ausrichtung der Kommunikation und der neuen Kommunikationsmittel nur auf die eigene Community, bei Mißachtung und Geringschätzung der breiten Gesellschaft.

Bei der Re:publica kann ich das in diesem Jahr am eigenen Leib studieren: Dass man mich als Fachjournalist zu den anderen 700 Medienvertretern nicht zugelassen hat, ist eine Grenzziehung. Man legt keinen Wert auf meine Teilnahme, Beobachtung und Berichterstattung. Ich nehme das nicht persönlich, sondern sehe das soziologisch. (Sozusagen im Erkenntnismodus von Saskia Sassen, die vorhin eine herausragende Rede zu den tieferliegenden Ursachen der Migrationsströme gehalten hat - also: tieferblicken). Ich sage deshalb nicht: die Re:publica hat ein Problem mit einem einzelnen Journalisten, sondern sie hat ein Problem mit dem Umgang der von ihr produzierten Information und der Weise, sie nach draußen, an die Gesellschaft weiter zu geben. De facto befindet sich die Re:publica in einem Zustand der Informations-Anarchie. Was funktioniert, ist die technische Logistik, dass die Mikrofone gehen und der Beamer leuchtet. Wichtig ist, dass diese Informationen die anwesende Community (im Saal) erreichen, eine kleine erlesene Gemeinschaft. (Allerdings: Über die Openness der Video-Übertragung wird im Falle der Re:publica doch eine weite gesellschaftliche Öffnung erreicht, das muss lobend anerkannt werden).

Relevanz für die Gesellschaft?

Das anarchische Element ist die unterentwickelte oder gänzlich fehlende Steuerung bzw. Transparenzisierung des angebotenen Informationsdschungels. Jeder Teilnehmer hat mit dem Eintrittsticket eine virtuelle Machete bekommen, mit der er sich drei Tage lang eine Bahn schlagen darf. Aber das ist individuelle Freiheit und individualisierte Information. Welche der angebotenen Vorträge habe eine überdurchschnittliche Relevanz für die Gesellschaft und verdienen besondere Maßnahmen der Verbreitung? Darum kümmert sich niemand, sage ich jetzt mal kess. Auf jeden Fall nach meinem Eindruck zu wenige. Ich hätte, wäre ich dort, auf jeden Fall zu den Kümmerern gehört. Aber man will mich, wie gesagt, nicht dabei haben (und vielleicht auch andere meiner Sorte, muss ich noch recherchieren). Ich besorge mir nun die Informationen (zB Sassen) aus dem Off.

 

Was mich noch mehr schmerzt als diese erkennbare Inkompetenz des Veranstalters beim Umgang mit kommunikativen Leistungsträgern ist das Versagen meines eigenen Berufsstandes. Was könnte man aus dieser Konferenz berichterstattungsmäßig an hoch relevanten Artikeln machen, wenn man sich dem Programm anders näherte als in der schmalbandigen Optik „Die digitale Boheme kommt zum Familienfest zusammen"! Die Re:publica ist mit ihrem irre-großen, anarchischen Informationsangebot ein Fakten- und Debatten-Steinbruch, aus dem man einen ganzen Petersdom der digitalen Transformation erreichten könnte. Doch er wird medial völlig inadäquat angepackt. Geschaut wird auf die Tweets - ach je (4). Günter Dueck erwähnte das in seinem lustigen Innovationsvortrag am Rande: die (Massen-) Medien sind in ihrer heutigen Verfassung nur zu Extremismen fähig: entweder wird etwas super dargestellt oder als Katastrophe. Zum Mittelweg, damit aber zum gesellschaftlichen Integrator, sind diese Medien nicht mehr brauchbar. Es braucht andere Medien. (Wir werden das auf unserer Schwanenwerder-Konferenz behandeln).

Das Verschwinden des Presse-Buttons

Den gleichen Sachverhalt - Verzicht auf gesellschaftliche Medialisierung, dafür Eventisierung für die Klientel der Anwesenden - habe ich aus der Außenperspektive auch bei den anderen genannten Veranstaltungen festgestellt. Ich betone: ich habe sie nicht besucht, sondern beurteile sie bisher nur auf Grundlage ihrer Internet-Präsentation. Wobei für mich als Journalist ein zentrales Indiz das Zugehen auf die Presse ist, das in beiden Fällen nicht erfolgt. Es gibt so keine (eine) Informationsmaterialien für Journalisten, keine Pressekonferenz etc. Das ist alles Vergangenheitsform. Es ist aber zugleich ein „Artensterben" einer gesellschaftlich ausgerichteten Information, die auch kritisch hinterfragt und Rahmungen und Verbindungen herstellt. Die Veranstaltungen verhandeln ganz große Themen, Grand Challenges, aber sie tun dies in einer tribalen Kommunikationsform (das Internet als social media ist das ideale Instrument dafür), man ist unter sich und fühlt sich in der gegenseitigen Bestätigung glücklich und geht zufrieden nach Hause. Was fehlt, ist der Wille zur Wirkung nach draußen, in die Gesellschaft hinein, der Welle zur Hegemonie.

Manfred Ronzheimer

(1) https://re-publica.de/
(1a) http://mediaconventionberlin.com/de
(2) https://idw-online.de/de/news650175
(3) http://www.globalgoalscurriculum.org/
(4) http://monitor.buzzrank.de/infographic/rp16/1
(5) https://www.eaberlin.de/seminars/data/2016/wir/blackout-planet/?cy=2016&cm=6

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Mein Post vom 2. Mai um 09:07 ·

Große Termin-Entspannung:

Zur Re:publica 10 bin ich nicht als Fachjournalist akkreditiert worden und kann zu Hause bleiben!

Im vergangenen Jahr war ich noch als der einzige, der kritische Fragen stellt, gelobt worden: http://www.innomonitor.de/index2.php?id=132&be=3800

Das Mismatch ist eine gegenseitige Qualitätsaussage: Die Internet-Konferenz ist nicht (mehr) in der Lage, journalistische Kompetenz zu erkennen und an sich zu binden (z.B. meine Innovationen im Bereich des Transformationsjournalismus, Stichwort Wien und Schwanenwerder. Von aktuellen Aktionen zur Erneuerung des Innovationsjournalismus und zur Rettung des Wissenschaftsjournalismus ganz zu schweigen). Und ich blicke meinerseits mit Kopfschütteln auf diese profillose und hypertrophe Ansammlung von Vorträgen, unterwandert von subkutanen Botschaften großer Industriesponsoren (IBM, Daimler, Microsoft). https://re-publica.de/16/partner

DOKUMENTATION
-----Original-Nachricht----- Betreff: Akkreditierung re:publica - Absage / Denial of accreditation Datum: 2016-04-20T10:29:05+0200 Von: "re:publica" An: "Manfred"
Liebe/r Manfred,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Leider können wir Ihnen keine Akkreditierung ermöglichen, da fast alle unsere Besucherinnen und Besucher publizistisch tätig sind. Presseakkreditierungen vergeben wir aus diesem Grund nur in ausgewählten Fällen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.
Viele Grüße, das re:publica-Team
-- re:publica GmbH Schönhauser Allee 6/7 10119 Berlin Germany presse@re-publica.de HRB-ID: HRB 137440 B UmSt-ID: 37/284/22187 Ust-IdNr.: DE279806880

 

TE2325J

 

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