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Die vierte Welle der Demokratie

20.06.2011

 

Die vierte Welle der Demokratie

Festvortrag von Josef Joffe über die Umbrüche in der arabischen Welt auf dem Leibniztag 2011

Die Akademie gestattete sich zum diesjährigen Leibniztag am 18. Juni 2011 ein Experiment. Erstmals durfte ein Journalist den Festvortrag vor der versammelten Gelehrtengemeinde halten. Allerdings war das Risiko eines Scheiterns vergleichsweise gering, denn Josef Joffe, u.a. früherer Chefredakteur der ZEIT in Hamburg, hatte sich sowohl durch seinen Bildungs-CV als auch durch langjährige publizistische Aktivität als sachkundiger Experte für das gestellte Thema erwiesen. Das Thema war die Demokratiebewegung im arabischen Raum, was die Akademie auch deshalb besonders interessierte, weil sie ihr vorletztes Jahresthema dem Nahen Osten gewidmet hatte.

Joffe gab seinem Vortrag den Titel „Die vierte Welle" (Demokratisierung in der arabischen Welt: Geschichtswende oder falscher Frühling?). Der Journalist benutzte zwei Kunstgriffe, um bei den Wissenschaftlern die Akzeptanz für seine Ausführungen zu erhöhen. 1. Er zitierte in seinen Eingangbemerkungen den Gründungsvater der Akademie und Anlaßgeber der jährlichen Zusammenkunft, Leibniz, der sich zwar nicht oft zu Fragen der politischen Philosophie geäußert hatte, aber in einem Brief doch. In ihm nahm er zur Macht des Souveräns und die Revolution Stellung, in der die Gehorsamspflicht der Untertanen zum Ende komme, aber doch nicht zum Exzess führen dürfe. Genau das Thema, das Joffe dann mit arabischen Bezug variierte. 2. Er knüpfte an seinen akademischen Lehrer, den amerikanischen Historiker Samuel Huntington an, der in den 90er Jahre eine tiefgehende Untersuchung über die Demokratisierungsbewegungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vorgelegt hatte, mit dem prägnanten Titel „Die dritte Welle". Joffes Vortrag suchte nun, dieses Muster der Geschichtsinterpretation auf die aktuellen Ereignisse im arabischen Raum zu übertragen und eine Fortsetzung in Gestalt einer „vierten Welle" zu konturieren. Ein hochinteresannter, vor allem politikwissenschaftlicher Ansatz, der im Publikum nach meiner Beobachtung gut ankam.

Joffes gliederte seine Ausführung in drei Kapitel: 1. Warum ist es zu den Erhebungen und Revolutionen gekommen? 2. Wie ist die unmittelbare Zukunft einzuschätzen: wird aus dem arabischen Frühling ein glücklicher Sommer ode rein bitterer Winter werden? 3. Was kann der Westen tun?

Huntington hatte in seiner Untersuchung zu den Jahren 1974 bis 1989 herausgearbeitet, dass der Weg zur Demokratie vor allem durch wirtschaftliche Verbesserung bereitet wird. In den meisten Ländern, in denen in diesem Zeitraum das Volk seine Diktatoren und Militärregierungen abschüttelte, hatte das wirtschaftliche Pro-Kopf-Einkommen die Schwelle von 2000 Dollar überschritten. Kam eine Volkswirtschaft in den Bereich eines Pro-Kopf-Einkommens zwischen 1000 und 3000 Dollar, dann wurde in 75 Prozent der Fälle nach einiger Zeit die Diktatur von einer Demokratie abgelöst. Beispiele Spanien und Portugal.

Nach diesem Muster vollzog sich auch die Revolution in Tunesien, wo ein Pro-Kopf-Einkommen von 2200 Dollar erreicht worden war, so viel wie im Spanien vor dem Sturz Francos. Joffe räumte aber ein, dass die Regel nicht immer greift. Eigentlich müßte Saudi-Arabien mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 24.000 Dollar super-demokratisch sein, wovon aber keine Rede sein kann. Hier komme zum Tragen, dass die Herrschenden ihr Volk mit viel Geld und null Steuerpflicht bestechen können, weil der alte Grundsatz „no taxation without representation", der in der ersten Welle in den 1770ern zum Auftand der Proto-USA gegen die britische Kolonialmacht führte, hier in Saudi-Arabien wirkungsvoll umgedreht worden sei: No representation without taxation.

Joffe fügte aber gleich hinzu, dass neben der Ökonomie mindestens drei weitere Faktoren hinzukommen müssen, um den Wandel von der Diktatur zur Demokratie in Gang zu setzen oder zu befördern: Bildung, Organisation (Urbanisierung?) und Globalisierung. Auch bei diesen drei Faktoren, etwa dem Bildungsgrad der Bevölkerung oder der Verflechtung mit der Weltwirtschaft über einen hohen Exportanteil, ist Tunesien im arabischen Raum führend, Ägypten auf Platz 2. Syrien, wo es ebenfalls gärt, hat die höchste Bildungsquote der Region. Allerdings scheinen dort andere Change-Faktoren nicht ausgeprägt genug, um einen schnellen Übergang zur Demokratie herbei zu führen.

Damit kam Joffe zu aktuellen Wandlungsprozessen. Revolutionen können entweder blutig und gewalttätig oder doch weitgehend gewaltfrei verlaufen. Für den Weg der Gewaltfreiheit mit der Perspektive einer Demokratisierung müssen bestimmte Begleitumstände gegeben sein, von denen der Referent auf drei näher einging. Günstig sei immer eine Autoritäts-Figur, die den Wandel mit einem Gesicht symbolisiert. Das sei in Spanien der König Juan Carlos nach dem Tod Francos gewesen. Eine solche Figur fehle derzeit aber überall im arabischen Raum. Am gravierdensten stelle sich dieses Vakuum an Führung in Ägypten. Eine weitere politische Voraussetzung ist der Gewaltverzicht, eine Revolution ohne Gewalt-Exzesse. Das sei in Tunesien und Ägypten so gewesen, aber nicht in Libyen, Jemen und Syrien: „Da floß Blut von Anfang an", so Joffe. Egal wer gewinnt, das herrschende Regime oder die Rebellen: Wer die Macht und die Gewehre hat, wird sie so schnell nicht wieder abgeben. Joffe: „Das ist die Tragodie der Revolution". Eine dritte Bedingung liegt in der Verwurzelung des Umsturzes in der Gesellschaft oder einer Nation. Ägypten als Pharaonenvolk ist der älteste Nationalstaat der Erde, auch in Tunesien hatte es wenig Stammeskonflikte. In beiden Fällen exisitierte eine nationale Klammer, die Protestkräfte bündelte. In anderen Fällen ähnele die Situation dem Zerfall des früheren Jugoslawien, wo das Nationalstaatsgebilde nur künstlich vom Diktator aufgesetzt war und zerfiel, als er nichts mehr zu sagen hatte.

Was kann der Westen in dieser Situation nun tun? Diese Frage suchte Joffe in seinen Schlußbemerkungen mit der Formulierung von vier „Regeln" zu beantworten. 1. Lass den Tyrannen nicht in Ruhe. 2. Wer Bomben vermeiden will, sollte frühzeitig beim Aufbau von Institutionen helfen, die für Demokratie und Rechtsstaat wichtig sind, etwa eine unabhängige Justiz, 3. Den demokratischen Kräften in diesen Ländern zeigen, dass sie nicht allein sind. Mit dem Despoten könne man durchaus weiter Geschäfte machen, wenn dies staatspolitisch erfordert ist, aber zugleich sollte man zeigen: unsere Werte, unser Herz gehört dem Volk. 4. Den Autokraten offen sagen: Ihr steht auf der falschen Seite der Geschichte, Ihr könnte euch nicht abschotten, wenn Ihr nicht im Gefängis enden wollt.

Wir wissen nicht, ob aus dem arabischen Frühling ein demokatischer Sommer wird, schloß Joffe. Aber wir wissen, dass die „arabische Mauer" an einigen Stellen durchbrochen worden ist. An anderen Stellen hält sie noch, wie im Iran, wo es im Sommer 2009 die ersten Aufstände gegeben hatte. Eindeutig sei diese vierte Welle der Demokratisierung festzustellen. Wann sie letztlich obsiegen werde, wie bei den drei Vorgänger-Wellen, lasse sich nicht exakt voraussagen.

Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg

(Erste Fassung, Links werden noch ergänzt)

 

Beachten Sie auch:

19.06.2011
Ein Solidarpakt für Bildung und Forschung
Vorschlag von BBAW-Präsident Günter Stock auf dem Leibniztag

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=2701

 

 

http://www.bbaw.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen-2010/leibniztag-2011

 

 

 

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