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Zwiespältige Bilanz der Umweltpolitik

09.02.2013

 

Zwiespältige Bilanz der Umweltpolitik

Hubert Weiger und Martin Jänicke in der TU/DGB-Ringvorlesung

Die Bilanz der deutschen Umweltpolitik fällt durchwachsen aus. Einerseits wurden im Rückblick unbestreitbar Erfolge erreicht, teilweise von grandiosem Ausmaß, wie der Einsatz der Erneuerbaren Energien oder dem Wachstum der Umweltwirtschaft. Andererseits lassen sich erhebliche Defizite wie im Bodenschutz und bei der Biodiversität feststellen, was vor Augen führt, dass es in den letzten Jahrzehnten keinen ökologischen Fortschritt über die ganze Bandbreite gegeben hat, gesteuert von einer übergreifenden Umweltpolitik, sondern allenfalls punktuellen „Landgewinn" - mehr oder weniger zufällig bedingt durch die politische Großwetterlage und auch dem Engagement gesellschaftlicher Kräfte.

Das Thema stand an diesem Donnerstag (7.2.) in der TU Berlin im Mittelpunkt der vorletzten Veranstaltung der Vortragsreihe „Wohlstand ohne Wachstum?", die gemeinsam von der Universität mit dem DGB ausgerichtet wird. Geboten wurde mit den beiden Referenten Hubert Weiger, dem Vorsitzenden des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), und dem langjährigen FU-Professor für Umweltpolitikforschung Martin Jänicke höchste fachliche Kompetenz, die auch in eine spannende Diskussion mit dem Publikum mündete. Kritisch hinterfragt wurde auch die Rolle der Wissenschaft, um Fortschritte beim Umweltschutz zu erreichen.

Weiger unterstrich in seinem Vortrag, dass vor allem in jenen Umweltbereichen Verbesserungen erreicht wurden, die von breiten gesellschaftlichen und politischen Bündnissen begleitet wurden. Als Beispiel führte er die Debatte um das „Waldsterben" in den frühen 80er Jahren an, bei dem zunächst Warnhinweise einzelner Wissenschaftler auf die Folgen den „sauren Regens" laut wurden (Ulrich, Göttingen, Schütt. München), die von den Medien aufgegriffen wurden und zu  Protestaktionen führten, was schließlich in umweltrechtliche Regelungen zur technischen Entschwefelung (Großfeuerungsanlagenverordnung) führte. „Hier haben viele Kräfte zusammengewirkt", stellte Weiger fest. Ein anderes Beispiel des Umsteuerns sei das Verhältnis zur Atomenergie, zu der die SPD als Regierungspartei in den 80er Jahren eine ablehnende Position einnahm, nachdem Willy Brandt als Regierender Bürgermeister Berlins in den 60er Jahren einen „Atomreaktor am Wannsee" gefordert hatte.

Große Sorge bereite Weiger unter den Negativpunkten der Umweltpolitik das Versagen im Bereich des Bodenschutzes. Obwohl die Ackerfläche in Deutschland abnehme, habe sich in den letzten 10 Jahren der  Einsatz von Pflanzenschutzmitteln von 30.000 auf 40.000 Tonnen erhöht. Die Folge seien ein dramatischer Artenschwund an Feldvögeln und Bienen, sowie die schleichende Verseuchung des Grundwassers. „Dies ist eines der größten unbeachteten Umweltprobleme bei uns", sagte der BUND-Vorsitzende.

Auch Jänickes Umweltbilanz fiel entsprechend zwiespältig aus. Der FU-Wissenschaftler brachte in seine Einschätzungen seine internationalen Erfahrungen, etwa bei der Umweltberatung der chinesischen Regierung, und die Fachdiskussionen in der Enquete-Kommission des Bundestages über einen neuen Wohlstands-Begriff mit ein. Beim Wachstums-Thema gebe es „viele Illusionen", bemerkte Jänicke. Auch mit einem „Nullwachstum" sei keine Entlastung der Umwelt erreicht, weil der Ressourcenverbrauch weiter gehe, auch wenn er nicht mehr jährlich ansteige. Es werde mit dem starren Blick auf den „Wachstums"-Begriff auch eine Diskussion geführt, die sich faktisch längst erledigt habe. So zeigten  die statistischen Daten des letzten Jahrzehnts, dass sein ein niedriges Wurtschaftswachstum durchaus mit radikalen Innovationen im Bereich nachhaltiger Technologien vereinbar sei. Hier sei Deutschland längst zu einem „Experimentierfeld" geworden. „Wir brauchen diese hohen Wachstumsraten wie früher nicht", um den Wohlstand zu erhalten, stellte Jänicke fest.

Bei einer anschließenden Diskussionsrunde zur „nachhaltigen Wissenschaft" fiel Jänicke durch seine ungewohnt „kritische Einschätzung des akademischen Betriebs" auf. Die Wissenschaften in ihrer heutigen Verfassung seien durch ihre monothematische Ausrichtung auf Exzellenz in einzelnen Fachdisziplinen zur Interdisziplinarität immer weniger in der Lage. Die realen Probleme seien aber gerade fachübergreifender Natur.  Auch der „Relevanzbezug" der Wissenschaften sei wesentlicher geringer als in der Gesellschaft angenommen werde. Nach Jänickes Einschätzung seien die Wissenschaften bei Lösung der großen Umweltprobleme „angehängt und unfähig, damit real umzugehen".

Manfred Ronzheimer

 

Mitschnitte der Diskussion finden sich auf dieser Seite

Bericht über die Veranstaltung auf der DGB-Webseite

Am nächsten Donnerstag wird die Reihe mit einem Vortrag von DGB-Chef Sommer beendet. Alle kommen!

http://idw-online.de/de/news518364

 

  

 

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