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Lieber Forschung ohne Risiko

31.07.2015


Lieber Forschung ohne Risiko

"Wissenschaftsbarometer" untersuchte die Meinung der Bevölkerung

Die deutsche Bevölkerung steht der Wissenschaft zwar weithin positiv gegenüber. Bei genauerem Hinhören ist allerdings in einigen Punkten deutliche Skepsis zu vernehmen, ergab die Umfrage "Wissenschaftsbarometer", die in dieser Woche von der Kommunikationsinitiative "Wissenschaft im Dialog" veröffentlicht wurde. So waren nur 23 Prozent der über 1000 von TNS Emnid repräsentativ befragten Bundesbürger der Meinung, die Öffentlichkeit werde in Deutschland genügend in die Entscheidungen über Wissenschaft und Forschung einbezogen. Ein sehr viel größerer Anteil - 42 Prozent - empfand dagegen ein Defizit an Partizipation.

Auch mit der Kommunikation der Wissenschaftler ist das Volk unzufrieden. 39 Prozent waren den Meinung, die Wissenschaft bemühe sich zu wenig, die Allgemeinheit über ihre Arbeit zu informieren, in Berlin sogar 42 Prozent. Dagegen fanden nur 27 Prozent den jetzigen Zustand in Ordnung.

Allerdings ist das Interesse für die Vorgänge in den Universitäten und Forschungsinstituten kein Massenphänomen. Zwar bekunden 36 Prozent ihr allgemeines Interesse an Wissenschaftsthemen, aber nur 16 Prozent gehen öfter oder manchmal zu Veranstaltungen, Vorträgen oder Diskussionen über Wissenschaft und Forschung. 84 Prozent selten oder nie. Bei Special Events wie der Langen Nacht der Wissenschaften oder Tagen der offenen Tür ist das Verhältnis mit 20:80 nicht viel besser.

Die zentrale Wissenschaftsinformation der Bevölkerung findet über die Medien statt. 52 Prozent lesen Artikel über Wissenschaft in der Zeitung, so wie diesen hier. Noch mehr (66 Prozent) schauen Wissenschafts-Sendungen im Fernsehen. Das Internet ist für 43 Prozent häufige Informationsquelle, bei den Berlinern sogar 60 Prozent. In der Summe empfinden sich aber nur 29 Prozent der Befragten bei Wissenschaftsthemen "auf dem Laufenden"; bei Politik (48) und Sport (44) ist der gefühlte Informationsgrad deutlich höher.

 

Von Bedeutung ist, wenn aus Information Einstellung wird. Akzeptanz oder Ablehnung. Beim Thema Erneuerbare Energien sagen 51 Prozent, sie vertrauen den Aussagen der Wissenschaftler (bei der Vorjahresbefragung waren es noch 44 Prozent), 19 Prozent tun das nicht. Beim Klimawandel ist das Verhältnis schon 36:26. In Berlin liegt die Zahl der Klima-Zweifler sogar bei 41 Prozent, so hoch wie nirgends sonst in der Republik. Nur 31 Prozent vertrauen in der Hauptstadt den Klimaforschern. Vollends ins Negative kippt die Volksmeinung bei der Grünen Gentechnik: Nur 17 Prozent folgen den Wissenschaftlern (2014: 16), 51 Prozent misstrauen ihnen. Am höchsten ist die Ablehnungsquote mit 60 bei den Älteren, die Jungen verweigern sich der Grünen Gentechnik zu 45 Prozent.

Aus solcher Skepsis speist sich auch das Urteil zur Risikobereitschaft. Wenn neue Technologien einen Nutzen versprechen, aber auch unbekanntes Risiko bergen, dann sind 30 Prozent der Bürger dafür, die Entwicklung zu stoppen, 39 Prozent halten sie für vertretbar. Markus Weißkopf, der Geschäftsführer von "Wissenschaft im Dialog" (die Agentur wird von den deutschen Wissenschaftsorganisationen finanziert) fasst die Zahlen als Hinweis dafür auf, "dass die Wissenschaft weiter auf Bürgerinnen und Bürger zugehen muss. Risiken, aber auch Chancen neuer Technologien, sollten mit Bürgern und der Zivilgesellschaft diskutiert werden."

Im Ranking der Wissenschaftsgebiete, die von den Bürgern als wichtig für die Zukunft angesehen werden und entsprechend gefördert werden sollten, rangieren Gesundheit und Ernährung mit 47 Prozent unangefochten an der Spitze. Klima und Energie kommt mit 35 Prozent auf den zweiten Platz. Innere Sicherheit wird von 10 Prozent für zukunftswichtig erachtet, erstaunlich mehr als das Forschungsgebiet Kommunikation und Digitalisierung, für das nur vier Prozent stimmen.

Und wer sollte die Forschungs-Milliarden für diese Projekte verteilen? Das sollten "die Bürger" entscheiden, ist mit 42 Prozent die häufigste Antwort. Nur 30 Prozent meinen, die Wissenschaftler sollten darüber selbst befinden, und nur 13 Prozent möchten die Politik in dieser Rolle sehen. Ob die Antworter wissen, dass es in der Realität genau andersrum läuft? Eine Frage, die fehlte.

Manfred Ronzheimer

 

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Fragen an Markus Weißkopf

 

1. Was ist Ihnen besonders aufgefallen? 

a.) In der Gruppe derer, die sich über das Internet über Wissenschaft informieren (ca. zwei Drittel), sind immerhin 45%, die dies über Youtube oder ähnliche Videoplattformen tun.
b.) Bei der Frage "Welchen Forschungsbereich finden Sie in Zukunft am Wichtigsten?" geben nur 4% "Kommunikation und Digitalisierung" an - bei den Schülern sind dies immerhin 16%
c.) Die Zusammenarbeit von wissenschaftlichen Einrichtungen mit Unternehmen wird von immerhin mehr als drei Vierteln eher positiv gesehen.

2. Was sind deutliche Veränderungen gegenüber der Umfrage 2014?

Welche Veränderungen gegenüber 2014 - das ist natürlich nur sehr schwer zu interpretieren, da es nur 2 Messzeitpunkte sind und Veränderungen daher naturgemäß auch eher zufällig sein können. a.) Das Vertrauen in Aussagen von Wissenschaftlern im Bereich der "Erneuerbaren Energien" ist immerhin um 8% gewachsen.
b.) Es gibt einen leichten Anstieg der Befragten, die einen positiven Einfluss der Wissenschaft auf das Leben zukünftiger Generationen sieht (von 15 auf 24%)

3. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

a.) Die Veränderungen sind - wie gesagt - nur schwer zu interpretieren, gleichwohl sie positiv sind.
b.) Dass grundsätzlich die Einschätzungen relativ stabil geblieben sind, spricht für das Messinstrument und ist natürlich auch zu erwarten, da wir oft Einstellungen abfragen, die sich in der Regel eher langsam verändern.
c. ) Dass der Wunsch nach mehr Einbezug der Bürger stabil geblieben ist, zeigt, dass die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation hier eine Aufgabe hat, den Dialog über auch kontroverse Themen der Wissenschaft und auch die Beteiligung an Wissenschaft, z.B. über Citizen Science, zu intensivieren
d. ) Dass sich so viele Bürger über Soziale Medien und insbesondere Youtube über Wissenschaft informieren, zeigt dass wir bei Wissenschaft im Dialog z.B. mit unserem Web-Video-Wettbewerb "Fast Forward Science" auf dem richtigen Weg sind.

Die Fragen stellte Manfred Ronzheimer  (Foto Weißkopf von WID)

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Die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometers 2015 basieren auf 1004 Telefoninterviews (Festnetz), die vom 30. Juni bis 4. Juli 2015 im Rahmen einer Mehrthemenumfrage von TNS Emnid im Auftrag von Wissenschaft im Dialog geführt wurden. Als Grundgesamtheit diente die deutschsprachige Wohnbevölkerung in Privathaushalten ab 14 Jahren. Das Wissenschaftsbarometer 2015 wird von der Philip Morris Stiftung gefördert und vom GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften unterstützt.
Weitere Informationen: www.wissenschaftsbarometer.de und hier

 

Zusammenfassung hier:
Bürgermeinung zu neuen Technologien gespalten
Pressemitteilung Wissenschaft im Dialog - auch hier zu lesen
Wissenschaftsbarometer 2015: Nutzen von Forschung für die Gesellschaft wird von Bürgern hoch eingeschätzt/ Mehrheit für größeren Einfluss der Forschung auf Politik

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Deutsche halten Wissenschaft für einen Jobmotor

Pressemitteilung Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) - auch hier zu lesen

Wissenschaftsbarometer zeigt Einstellung der Deutschen zu Forschung / Wanka: "Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft macht uns erfolgreich"
Eine Mehrheit der Deutschen spricht der Forschung großen wirtschaftlichen Nutzen zu. Dies geht aus dem Wissenschaftsbarometer 2015 hervor - einer repräsentativen Umfrage, die die Initiative Wissenschaft im Dialog (WiD) in Auftrag gegeben hat. 56 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, Investitionen in die Grundlagenforschung seien eine der besten Möglichkeiten, um Arbeitsplätze zu schaffen. Auch die Zusammenarbeit von öffentlichen Forschungseinrichtungen mit Unternehmen sehen die Menschen sehr positiv: 78 Prozent geben an, diese Kooperation bringe für die Wissenschaft eher Vorteile.
"Gerade wegen seiner guten Vernetzung von Wissenschaft und Wirtschaft ist Deutschland so erfolgreich. Sie hilft, aus Forschung Ergebnisse zu machen, die praktisch eingesetzt werden und das Leben der Menschen verbessern", sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. "Die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre ist dabei entscheidend. Dafür gibt es in der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft Spielregeln, die sich bewährt haben. Und längst sprechen die Hochschulen mit den Unternehmen auf Augenhöhe."
Hoch ist beim Umfrageergebnis auch der Anteil derjenigen, die sich für einen stabilen Forschungsetat aussprechen: 52 Prozent sagen, die Mittel für Forschung sollten auch dann nicht gekürzt werden, wenn die Staatsausgaben insgesamt reduziert werden müssten - zum Beispiel um Schulden zu vermeiden. Ein persönliches Interesse an Themen aus der Wissenschaft bekunden 36 Prozent der Interviewten. In der Gruppe der Befragten mit Abitur und Hochschulabschluss sind 63 Prozent interessiert an Themen aus Wissenschaft und Forschung. Einen größeren Einfluss der Wissenschaft auf die Politik wünscht sich eine Mehrheit der Bürger in Deutschland: 54 Prozent geben an, der Einfluss der Wissenschaft auf die Politik sei nach ihrer Meinung zu gering.

 

Wissenschafts-Umfrage: Forschung nutzt der Gesellschaft, sagen viele
Von Klaus Zintz, Stuttgarter Zeitung, 29. Juli 2015 - 16:57 Uhr
Auch wenn sich viele nur gelegentlich für Forschung interessieren: Die Wissenschaft sollte einen größeren Einfluss auf die Politik haben, fordern Bürger in einer repräsentativen Umfrage. Aber bei manchen Themen haben sie Fragen und Einwände. - hier zu lesen

Umfrage: Deutsche haben wenig Vertrauen in die Wissenschaft
Der Tagesspiegel, 29.07.2015, 18:25 Uhr - Von Ralf Nestler - hier zu lesen

 

 

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