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Die kopernikanische Wende der Energieforschung

25.09.2015

Die kopernikanische Wende der Energieforschung

Mit vier Großprojekten will die Wissenschaft die Energiewende flankieren

Die Energiewende bekommt jetzt ihr Forschungsprogramm. Unter dem Titel "Kopernikus-Projekte für die Energiewende" wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein Förderprogramm gestartet, das in den nächsten zehn Jahren bis zu 400 Mio Euro für neue Ansätze in der Energieforschung vergibt. Ein besonderer Aspekt liegt auf der Beteiligung der Zivilgesellschaft, die aber auch schon Schwächen beim bisherigen Prozess ausgemacht hat.

(Foto von links: Schlögl, Wanka, Lösch)

"Die Energiewende als große gesellschaftliche Aufgabe kann nur erfolgreich sein, wenn die Wissenschaft Antworten auf noch viele Fragen liefert", erklärte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka bei der Vorstellung der Kopernikus-Projekte vorige Woche in Berlin. Als ein Beispiel führt sie die noch unterentwickelten Technologien der Energiespeicherung an. Wenn böse Hacker das Stromnetz in Deutschland lahm legen würden, dann könnte zwar auf dezentrale Speicher zugegriffen werden. Aber dieser Notstrom fließt für gerade mal 45 Minuten. Dann ist zappenduster. "Die Frage an die Wissenschaft heißt also", so die Ministerin, "Wie kommen wir zu höhere Speicherkapazitäten?"

"Forschungsforum Energiewende" definiert Prioritäten

Und der Fragenkatalog zur Realisierung der Energiewende ist lang. Erarbeitet hat ihn das "Forschungsforum Energiewende", eine Plattform mit rund 90 Organisationen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die Wanka nach ihrem Amtsantritt 2013 eingesetzt hat. Gemanagt wird die Plattform von der Akademie für Technikwissenschaften "Acatech". "Damals machten 180 Hochschulen jede für sich ein bisschen Energieforschung", stellt die Ministerin fest. Für eine Großaufgabe wie die Energiewende war das wenig brauchbar. Das Ziel: Prioritäten in der Energieforschung durch langfristige Projekte zu setzen. Dafür wurde jetzt das neue Instrument der "Kopernikus-Projekte" kreiiert, während kurzfristige Projekte über die "Hightech-Strategie" der Bundesregierung abgewickelt werden. "Große Projekte, die zudem gesamtgesellschaftlich wirken wollen, brauchen einen langen Atem", sagt die Forschungsministerin. Die Antworten sollen im Zeitraum 2025 bis 2035 vorliegen. Die Kursvorgabe der CDU-Politikerin: "Ich will, dass die Forschung das Maximale zur Energiewende leistet".

Den Erwartungsdruck auf die Wissenschaft versuchte der Energieforscher Robert Schlögl bei der Kopernikus-Präsentation gleich wieder zu dämpfen. "Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, die Energiewende zu lösen, sondern wir sind dazu da, um Optionen zu entwickeln", stellte der Chemiker am Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft klar. An unterschiedlichen Orten auf der Welt werde die Energiewende - der Umstieg von der ressourcenfressenden zur nachhaltigen Energiegewinnung - auf unterschiedliche Weise ablaufen. Schlögl: "Es wird nicht die eine, sondern viele Lösungen geben müssen".

Vier Kopernikus-Projekte

So wie Astronom Nikolaus Kopernikus zu seiner Zeit das Tor zu einem neuen Weltverständnis aufstieß (auch damals mit starkem Sonnen-Bezug), so sollen die vier nach ihm benannten Projekte neue Forschungs- und Anwendungshorizonte eröffnen. Die Themen: Energiespeicherung, Netzausbau, Industrieprozesse und Systemintegration. Beim Speicherthema soll vor allem zum Problem der Stromumwandlung geforscht werden. Neue Nutzungspfade für den "Überschussstrom" aus Wind- und Solarkraft gilt es zu finden.

"Aus Strom chemische Bindungen zu machen, ist aber sehr schwer", weiß Schlögl aus seiner chemischen Grundlagenforschung. "Die Wissenschaftler beschäftigen bisher kaum damit, weil diese extrem langwierigen Untersuchungen für sie nicht besonders attraktiv sind". Also braucht es einen Anreiz. Beim Pfad "Power-to-Gas", etwa der Umwandlung von Windstrom in Methan, gibt es zwar erste technische Piloten. Hier steht die Umsetzung in großtechnische Maßstäbe an. "Wir haben fundamentale Dinge noch nicht verstanden", betont Schrögl. Die Wasserspaltung per Elektrolyse wurde zwar schon 1870 entdeckt. "Aber wir sind immer noch nicht in der Lage, dies in großem Stil zu machen".

Photosynthese? "Grausslich ineffizient"

Die Suchbewegung der Energiewende-Forscher soll auch den Marsch in Sackgassen verhindern. Beispiel Photosynthese. Wie in der Natur die Pflanzen das Sonnenlicht über chemische Prozesse für ihr eigenes Wachstum einsetzen können, ist zwar eine geniale Öko-Technik. "Sie ist aber grauslich ineffizient und nur für den Eigenverbrauch ausgelegt", bemerkt Max-Planck-Forscher Schlögl. Die Solarzelle ist bei der Energieausbeute zehn mal effizienter und daher die bessere Option für Speichertechniken.

Bis Anfang Januar können sich jetzt Energieforscher in Konsortien um die vier Kopernikus-Projekte bewerben. Für jedes Projekt stehen dann von BMBF-Seite pro Jahr bis zu 10 Mio Euro bis 2025 zur Verfügung. Mit wachsender Anwendungsnähe sollen später weitere Fordergelder aus dem Wirtschafts- und Energieministerium sowie Eigenmittel der Industrie hinzukommen. "Die Industrieforschung kommt in einer späteren Phase", sagt Holger Lösch von der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). "Aber wir wollen von Anfang an dabei sein". Der Wirtschaft geht es vor allem um den Innovationsstandort Deutschland und die internationalen Marktchancen.

Kritik: "Von Decarbonisierung keine Spur"

Allerdings gibt es auch Kritik an Prozess und Programm. Hans-Josef Fell, seinerzeit als Grünen-Bundestagsabgeordneter der politische "Vater" des Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEG) und heute Präsident der Energy Watch Group (EWG), äußerte sich auf Anfrage der taz skeptisch zum Wende-Anspruch von "Kopernikus". So werde beim Industrie-Projekt verlangt, auch die "Rolle von flexibel betriebenen konventionellen Kraftwerken" zu betrachten. Fell: "Von Decarbonisierung keine Spur" . Auch der "weitgehende Ausschluss des innovativen Mittelstandes und von Start Ups" bei den Beratungen dürfte sich seiner Meinung nach bei der Projektvergabe fortsetzen. Zudem sei das Umfeld der politischen Energiewende längst gekippt. Es sei bedauerlich, "dass dieses Forschungsprojekt der Bundesregierung bei der Bundesregierung selbst überhaupt keinen Widerhall finden" werde. Fell: "Alle politischen Aktivitäten laufen weiterhin auf die Behinderung und Abschaffung der Akteursvielfalt und das Bremsen der Erneuerbaren Energien hinaus." Manfred Ronzheimer

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"Kopernikus"-Projekt: Ministerium startet 400-Millionen-Euro-Offensive für die Energiewende
dpa, KR, 17.09.2015

Süddeutsche Zeitung, 17. September 2015, 18:47 Uhr
Forschungspolitik: Kopernikus' Energiewende


"Kopernikus" - Mammut-Energie-Forschungsprojekt des BMBF
Solarify, 17. September 2015

17.09.2015 [BMBF-Pressemitteilung 119/2015]
Forschungsinitiative zur Energiewende startet
BMBF stellt die "Kopernikus-Projekte für die Energiewende" vor / Wanka: "Heute die Weichen für ein exzellentes Energiesystem stellen"

Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
Richtlinie zur Förderinitiative "Kopernikus-Projekte für die Energiewende
Vom 7. September 2015

 

ZN12153

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