Informieren oder transformieren?
15.10.2015
Informieren oder transformieren?
Der Bundestag hörte Experten zum spröden Thema "Wissenschaftskommunikation"
Irgendwie ist nach der Bundestagswahl 2013 der Begriff "Wissenschaftskommunikation" in den Koalitionsvertrag von SPD und Union geraten. Nicht im eigentlichen Fachkapitel mit den großen Regierungsvorhaben für Forschung und Hochschulen, sondern weiter hinten, unter Soft-Themen wie der gesellschaftlichen Partizipation an Zukunftsprojekten. "Wir wollen neue Formen der Bürgerbeteiligung und der Wissenschaftskommunikation entwickeln und in einem Gesamtkonzept zusammenführen", heißt es dort. Aber wie? In dieser Woche versuchte der Forschungsausschuss des Bundestages, sich mit einer Expertenanhörung klüger zu machen.
Geboten wurde der Blick in ein üppig sprießendes Biotop in der Wissenschaft. "Der einzige Bereich, der in den Hochschulen wirklich wächst, sind die Kommunikationsabteilungen", bemerkte Volker Meyer-Guckel, Vize-Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Die früheren Pressestellen werden im Internet-Zeitalter zu multimedialen Brückenköpfen in die Gesellschaft umgebaut, die auf vielen Kanälen unterschiedliche Zielgruppen erreichen sollen, von der Kinder-Uni über die Alumni-Ehemaligen bis zu den Bürgerforschern der neuen Citizen-Science-Bewegung.
Auch nach innen, in den Wissenschaftsbetrieb hinein, habe der Kommunikationsbedarf zugenommen, stellte Julia Wandt von der Uni Konstanz fest, die auch dem Bundesverband Hochschulkommunikation vorsitzt. Das reicht von der strategischen Beratung der Hochschulleitung bis hin zu Qualitätsstandards für die Darstellung von Forschungs-Themen, um übertreibende Hype-Meldungen publizitäts-erpichter Professoren ("Krebs endlich besiegt") zu stoppen. Man müsse sowohl mit der "digitalen Explosion der Medienwelt" klarkommen wie auch mit der "Entgrenzung des Systems Wissenschaft zu anderen Systemen", wie Öffentlichkeit, Medien und Politik, stellte Wandt fest.
"Die Wissenschaftskommunikation befindet sich im Aufwind und der Wissenschaftsjournalismus in der Krise", brachte es Jan-Martin Wiarda auf den Punkt. Der frühere "Zeit"-Bildungsjournalist war bis zum September Kommunikationschef der Helmholtz-Gemeinschaft, dem größten staatlichen Forschungstanker, und kennt daher beide Welten. Er hatte den Parlamentariern auch konkrete Verbesserungsvorschläge mitgebracht, wie etwa einen "Best-Practice-Wettbewerb für partizipative Wissenschaftskommunikation" oder die Einstellung von "Citizen-Science-Beauftragte für Wissenschaftseinrichtungen". Wiardas Appell, den niedergehenden Wissenschaftsjournalismus in Deutschland durch "Geschäftsmodelle für das 21. Jahrhundert" zu stützen, stieß aber nicht auf das übermäßige Interesse der Politik. Die Presse gilt dort als Wadenbeißer, da hat man eigentlich genug von.
Gemeinsam sinnierten die Parlamentarier mit den Experten, wie aus dem 30-Prozent-Turm der Wissenschafts-Interessierten in Deutschland auszubrechen sei. Reinhold Leinfelder, der Leiter des von Wissenschaftsorganisationen getragenen "Hauses der Zukunft", will vor allem die 40-Prozent-Gruppe (Zahlen aus dem Wissenschaftsbarometer von "Wissenschaft im Dialog") der "teils, teils"-Interessierten ansprechen und ins Lager der Unterstützer herüberziehen. Das soll mit völlig neuen Kommunikationskonzepten wie "Reallaboren", Comics und partizpativen Medien geschehen, die Bürger selber produzieren.
Neue Wege offerierten auch die von den Oppositions-Fraktionen eingeladenen Experten. Thomas Korbun vom Berliner Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) stellte als Sprecher des Ecornet-Netzwerkes der nicht-staatlichen Ökoforschungs-Institute das neue Forschungs-Thema der "Großen Gesellschaftlichen Herausforderungen" in dem Mittelpunkt. Diese komplexen Themen wie Klimawandel oder Altern der Gesellschaft stellten durch ihre "gesellschaftliche Relevanz" gute Ansätze zur Beteiligung der Bürger dar. Wissenschaftskommunikation dürfe nicht erst nach Vorliegen des Forschungsergebnisses einsetzen, sondern gehöre bereits zum Modus der "Ko-Produktion von Forschungsergebnissen mit außerwissenschaftlichen Akteuren", so Korbun. Die Projekte der "Sozial-Ökologischen Forschung" eigneten sich bestens dafür.
Noch weiter ging Steffi Ober, Sprecherin der Zivilgesellschaftlichen Plattform Forschungswende bei der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Aus ihrer Sicht müsse Wissenschaftskommunikation dazu beitragen, dass sich über eine wissenschaftliche Grundbildung in der Bevölkerung ("Scientific Literacy") hinaus auch "eine transformative Literacy in der Gesellschaft" entwickle - und auf diese Weise "die Resonanz für notwendige, gesellschaftliche Wandlungsprozesse erhöht" werde. "Wie erzeugt man Lust auf Veränderung, Lust auf Zukunft und Gestaltung?", fragte Forschungswenderin Ober. Die gleiche Frage hatte - erstaunlich - auch die konservative Bank im Ausschuss auf dem Zettel. Wieder ein Fall von Entgrenzung.
Manfred Ronzheimer
Wissenschaftskommunikation im Bundestag: Ein Blick in die Stellungnahmen
der Sachverständigen
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3862
13.10.2015
- InnoMonitor, ZN12219a
Frag-würdige
Wissenschaftskommunikation Antworten von Manfred Ronzheimer,
Wissenschaftsjournalist
InnoMonitor, 12.10.2015 - TE1877a
Neue
Ansprüche an die Wissenschaftskommunikation
(mit
Video-Aufzeichnung 2h34min)
Stellungnahme von Kai Gehring, Sprecher für Wissenschaft und Forschung und Obmann der Grünen im Ausschuss zur Anhörung Wissenschaftskommunikation:
"Es muss Schluss damit sein, Wissenschaftskommunikation auf die bloße
Erzeugung von Akzeptanz für neue Technologien am Ende eines Forschungsprozesses
zu reduzieren. Wissenschaftskommunikation als Einbahnstraße ist antiquiert und
innovationshemmend. Vielmehr ist es notwendig, von vorherein wechselseitigen
Dialog, echte Partizipation und Teilha-be der Zivilgesellschaft zu gewährleisten
und so die Bürgerschaft die Wissenschafts- und Innovationsagenda stärker
mitbestimmen lassen. Eine solche Öffnung der Wissenschaftskommunikation rückt
die großen gesellschaftlichen Herausforderungen und soziale wie öko-logische
Innovationen endlich stärker in den Mittelpunkt.
Das muss sich auch in den
Förderformaten des Bundes widerspiegeln: Die Bundesregierung darf die
zivilgesellschaftlichen Akteure und Verbände etwa bei der Hightech-Strategie
nicht ins Nebenzimmer setzen, sondern muss sie als wichtige Ideengeber aktiv und
systematisch einbinden. Erfreulich war, dass mehrere Sachverständige das
baden-württembergische Modell der "Reallabore" als vorbildlich gelobt haben -
das sollte die Bundesregierung aufgreifen.
Offenkundig wurde, dass zur
breiten Umsetzung der von der Community der Wissenschaftskommunikation
erarbeiteten Qualitätsstandards mehr Unterstützung durch Politik und
Wissenschaftsorganisationen benötigt wird."
*
Pressemitteilung der SPD Bundestagsfraktion vom 14.10.2015- auch hier zu lesen
Raus aus dem Elfenbeinturm - Wissenschaft geht alle an
Daniela De Ridder, zuständige Berichterstatterin:
Am heutigen Tag
fand im Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
ein Fachgespräch zu Stand und Perspektiven in der Wissenschaftskommunikation
statt. Der Austausch mit Sachverständigen aus Hochschulen,
Forschungseinrichtungen, Zivilgesellschaft und Journalismus ging auf eine
Initiative der SPD-Bundestagsfraktion zurück.
"Wissenschaft und Forschung
müssen sich den großen Herausforderungen unserer Zeit stellen: Wie sieht die
Zukunft unserer Städte aus? Wie bekämpfen wir Hunger, Armut oder Seuchen?
Welchen Beitrag kann die Friedensforschung zur Lösung von Krieg, Krisen und
Konflikten liefern?
Diese und weitere Fragen stehen am Anfang von
Forschungsvorhaben. Und es zeigt sich: Forschungsergebnisse können unmittelbare
Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und unsere Alltagspraxis haben; jedoch
bedarf es dazu auch einer Kommunikation, die mit gesicherten Methoden
Erkenntnisse liefert.
Wissenschaftskommunikation bedeutet aber noch mehr, denn der
Wissenschaftsdialog ist keine Einbahnstraße. Vielmehr gilt es, Formate des
Austauschs zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren, seien es
Wissenschaftler, Journalisten oder Bürgerinnen und Bürgern, zu unterstützen. So
kann Wissenschaft nicht nur transparenter, sondern auch partizipativer werden.
Zugleich ist Wissenschaftskommunikation aber auch Krisenkommunikation; wie etwa
bei Tierversuchen oder Forschung zur Kernenergie, zum Klimawandel oder bei
Fracking.
Die Bundesregierung finanziert bereits viele Vorhaben, um die
Wissenschaft zur verstärkten Kommunikation zu motivieren. Das Haus der Zukunft,
die Wissenschaftsjahre und das High-Tech-Forum sind Modellprojekte, die einiges
an Strahlkraft entwickelt und Öffentlichkeit erzeugt haben.
Nun gilt es bei
der Wissenschaftskommunikation, neue Formate zu entwickeln und erfolgreiche
stärker zu fördern. Ein Kriterium sollte sein, viele Akteure einzubinden:
Hochschulen und Forschungsinstitutionen, Schulen, Verbände, Gewerkschaften und
Unternehmen. Methoden, Fragestellungen und gesicherte Erkenntnisse können so
einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Jedoch müssen
Forscherinnen und Forscher bereits auf dem Weg zur Promotion oder in der
Post-Doc-Phase dazu qualifiziert werden. Zugleich muss auch die Wirkung von
Wissenschaftskommunikation evaluiert werden. Wissenschaft kann nicht nur im
Elfenbeinturm stattfinden."
*
NaWis-Blog von TransformWissen Pro @ 2015-10-15 - 10:44:18 - auch hier zu lesen
"Stand und Perspektiven der Wissenschaftskommunikation" - Fachgespräch im Deutschen Bundestag am 14.10.
(...) Tenor des Fachgesprächs war, dass sich der Wissenschaftsjournalimus u.a. aufgrund der sinkenden Zahl der kritisch berichtenden Wissenschaftsjournalisten in einer Krise befinde (siehe dazu auch der kritische Kommentar zum Fachgespräch von Manfred Ronzheimer). Im Kontrast dazu stehe die Wissenschaftskommunikation, die mithilfe einer Fülle an Formaten und Kommunikationskanälen einen zunehmenden Stellenwert im Wissenschaftssystem erreicht hat (Stichwort Wissenschafts-PR). Als dritter Schwerpunkt der Wissenschaftskommunikation wurde die Kommunikation der Wissenschaft mit der Gesellschaft und außerwissenschaftlichen Akteuren durch Partizipation und Einbindung im Kontext transdisziplinärer Forschung zu großen Gesellschaftlichen Herausforderungen diskutiert. Die Sachverständigen stimmten darin überein, dass die Wissenschaftskommunikation nicht mehr nur als einseitige Kommunikationsbotschaft von der Wissenschaft in die Gesellschaft gerahmt werden kann, sondern partizipative Formate eingesetzt und (weiter-)entwickelt werden müssen. Diese Partizipation von BürgerInnen und zivilgesellschaftlichen Organisationen würde dann, so zumindest einige Sachverständige, auch in Teilen für Forschungsagenden und Forschungsprozesse gelten. Wichtig dabei sei jedoch, dass die Ergebnisse partizipativer Formate in der Wissenschaft auch reale Folgen für Forschung und Forschungsagenden haben. Hier wurde der Vorschlag unterbreitet an dem Programm für Sozial-ökologische Forschung anzusetzen, in dem bereits transdisziplinäre Projekte zu Themen wie Nachhaltiges Wirtschaften, Transformation des Energiesystems oder Nachhaltiger Konsum gefördert werden. Da in diesem Programm die Methodenentwicklung für die transdisziplinäre Kooperation und die Wissenschaftskommunikation kein Schwerpunkt darstelle, könnten zusätzliche Vorhaben dort eine partizipative Wissenschaftskommunikation unterstützen.
Die
Politik will was über Wissenschaftskommunikation
wissen
Veröffentlicht von André Lampe am Oktober 14,
2015
Ich habe ein öffentliches Fachgespräch über Wissenschaftskommunikation
des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
besucht.(...)
14.10.2015:
Öffentliches Fachgespräch zum Thema "Stand und Perspektiven der
Wissenschaftskommunikation"
43. Sitzung des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch, dem 14. Oktober 2015, 09:30
Uhr, Sitzungsort: Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.300
(mit
Video-Dokumentation)
Vorschau Bundestag:
Neue
Ansprüche an die Wissenschaftskommunikation