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Vom Wir zum Ich - Personalisierte Medizin

05.03.2010

 

Nachlese Treffpunkt WissensWerte: Vom Wir zum Ich - Personalisierte Medizin

04. März 2010 - Quelle TSB - auch hier zu lesen

Verschreibt ein Arzt heute ein Medikament - wie hoch ist dann die Chance, dass es wirkt? Es kann helfen, oder auch nicht. Grund: die meisten Medikamente sind für einen idealisierten Standardpatienten ausgelegt. Den gibt es aber eigentlich gar nicht, schließlich sind wir alle Individuen. In Zukunft sollen Medikamente daher maßgeschneidert sein. Das heißt: ein Patient bekommt das passende Medikament in der optimalen Menge zum richtigen Zeitpunkt. So sollen Therapien besser abgestimmt und Krankheiten besser bekämpft werden. Über Chancen und Risiken von personalisierter Medizin diskutierten Forscher und Experten auf dem 46. Treffpunkt WissensWerte in der Hörsaalruine des Medizinhistorischen Museums der Charité in Berlin-Mitte.

 

Der 46. Treffpunkt WissensWerte in der Hörsaalruine im Medizinhistorischen Museum der Charité.

"Trial and Error" - nach diesem Prinzip werden bislang viele Medikamente verschrieben. Um das Problem zu verdeutlichen, gibt Prof. Ivar Roots vom Institut für Klinische Pharmakologie der Berliner Charité ein Beispiel: "Nehmen Sie ein Zimmer mit drei Patienten, alle mit der gleichen Krankheit, alle bekommen das gleiche Medikament. Beim ersten Patienten wirkt es, beim zweiten nicht, beim dritten treten Nebenwirkungen auf", erklärt Roots.

Gene fördern oder hemmen Medikamentenwirkung

Die große Frage ist also, warum Medikamente nicht bei jedem Patienten gleich wirken? "Ein Grund ist unser genetischer Fingerabdruck", sagt der Pharmakologe. "Der erste Schritt muss also sein, die große Varianz der Medikamentenwirkung genau zu analysieren." Denn bei vielen Medikamenten kann man bereits vorab sagen, ob sie wirken oder nicht und welche Dosis man braucht. Grund dafür ist wiederum die unterschiedliche Ausstattung eines jeden mit Enzymen. Ihr Bauplan wird von den Genen bestimmt.

"Medikamente werden im Köper verstoffwechselt und das erfolgt über Enzyme, sie nehmen kleine chemische Modifikationen vor. Allerdings sind die Enzyme innerhalb der Bevölkerung nicht gleich aktiv", so Roots. Das heißt: bei einigen Menschen sind bestimmte Enzyme vorhanden, bei anderen existieren sie nicht, bei einem weiteren Teil sind manche Enzyme weniger aktiv und bei einem anderen arbeiten sie übermäßig.

Medikamentenwirkung hängt von Enzymen ab

Welche Folgen das haben kann, verdeutlicht Roots an einem Beispiel. "Das Enzym CYP2D6 ist wichtig für den Metabolismus, also für die Verstoffwechselung von Medikamenten. Aber dieses Enzym fehlt bei sieben Prozent der Bevölkerung. Hier kann man sich gut vorstellen, dass ein Medikament eine viel stärkere Wirkung haben kann, weil es nicht so schnell verstoffwechselt wird. Diese Patienten brauchen daher eine geringere Dosis."

Ein weiteres Beispiel ist CYP2C19, auch dieses Enzym ist wichtig für den Metabolismus. Drei Prozent der weißen Europäer und bis zu 20 Prozent der Asiaten fehlt dieses Enzym allerdings. "Wenn einem Herzinfarkt- oder Schlaganfallpatienten das Medikament Clopidogrel verabreicht wird, um einen neuen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu verhindern und dem Patienten dieses Enzym fehlt, kann das schwere Folgen haben", erklärt Roots.

Individuelle Therapie bereits in der Krebsbehandlung

Ob ein Medikament wirkungslos bleibt oder anschlägt und wie hoch dann die richtige Dosis sein muss - dieses Prinzip wird in einigen Bereichen der Krebsbehandlung bereits angewendet. Mit einem Gen-Chip - einem speziellen Gentest - lässt sich vorhersagen, ob eine Chemotherapie den Tumor zerstören kann oder nicht. "Gerade in diesem Bereich haben wir große Hoffnungen, denn es gibt noch immer viele Patienten, die nicht durch Medikamente geheilt werden können", sagt Dr. Jörg Möller. Er ist Leiter für Entwicklungsprojekte, Forschung und Entwicklung beim Pharmaunternehmen Sanofi Aventis Deutschland.

"Tumore wachsen unkontrolliert. Aber die Wachstumsfaktoren haben Rezeptoren, an die man andocken kann. Das Problem ist allerdings, dass der Krebs von Patient zu Patient unterschiedlich ist. Wenn man vor der Behandlung aber sagen kann, ob ein Medikament andocken kann oder nicht, dann lässt sich auch vorab sagen, ob eine Behandlung mit diesem Medikament erfolgreich wäre oder nicht", so Möller. Hilfreich für Ärzte und Patienten, denn zusätzlich zu den Beschwerden einer Chemotherapie hat sie auch immense Nebenwirkungen. Macht eine Chemotherapie keinen Sinn, muss sich ein Patient also weder ihr noch den Nebenwirkungen aussetzen. 

„Viele Therapien machen wir blind"

Die Vorteile für den Patienten liegen auf der Hand, sagt Prof. Karl Max Einhäupl. Der Neurologe ist Vorstandsvorsitzender der Charité. "Viele Therapien machen wir blind, trial and error, non-responder. Da ist, wenn wir mit der richtigen Therapie beginnen, das Rennen schon gelaufen, weil wir vieles versäumt haben. Und wir haben Geld ausgegeben, das dem Patienten nichts genutzt hat. Die individualisierte Medizin kann auf den Patienten eingehen. Sie kann sagen, ob ein Patient von einer therapeutischen Anwendung profitiert oder nicht", erläutert Einhäupl.

Und ein Patient muss sich nicht ohne Grund einer Therapie, ihren Nebenwirkungen und damit auch weiteren Beschwerden aussetzen. "Medikamente haben stets ein Risiko von Nebenwirkungen. Arzneimittelunverträglichkeiten sind auf der Liste der häufigsten Todesursachen auf Platz Fünf zu finden. Es muss also nicht nur auf die genetische Veranlagung eines Patienten geschaut werden, sondern auch auf die Co-Medikation", fordert Roots.

Personalisierte Medizin präventiv nutzen

Personalisierte Medizin ließe sich auch vorbeugend anwenden. "Bei Alzheimer zum Beispiel. Wenn man voraussagen kann, ob ein Patient vielleicht mit 90 Jahren an Alzheimer erkranken wird, dann muss man nicht erst mit 90 Jahren mit der Behandlung anfangen, sondern kann schon Jahrzehnte vorher beginnen. So lassen sich also dezidiert die Chancen für eine Erkrankung errechnen und man kann präventiv eine Therapie erarbeiten. Noch mag das für jeden 100.000 Euro kosten, aber in wenigen Jahren wird der Preis dafür auf 1.000 Euro sinken", ist sich Prof. Roots sicher. 

Aber ob jeder Patient wissen will, woran er einmal erkranken könnte? "Bei einigen Krankheiten ist es ein Segen, früh Bescheid zu wissen. Wenn man zum Beispiel in einem vergleichsweise jungen Alter weiß, dass man für eine bestimmte Krankheit prädisponiert ist und man sehr frühzeitig etwas dagegen unternehmen kann", sagt der Pharmakologe.

Will jeder Patient diese Information?

"Aber jeder Mensch muss allein für sich entscheiden, ob er diese Information haben will oder nicht", wendet Dr. Axel Meeßen, der Geschäftsführer des MDK, des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg ein.

Zum Beispiel bei der Chorea Huntington, einer unheilbaren Krankheit des Gehirns, die im Durchschnitt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr ausbricht und nach einem meist schweren Krankheitsverlauf im Schnitt 15 Jahre später mit dem Tod endet. "Will das die Verwandtschaft wirklich im Vorfeld wissen? Eine andere Frage ist: Was passiert mit denen, die sich nicht testen lassen wollen? Das ist also nicht nur eine wissenschaftliche Diskussion, sondern auch eine gesellschaftliche, die man ebenso führen muss", so Meeßen.

Personalisierte Medizin soll Therapie besserer und sicherer machen

"Maßgeschneiderte Anwendungen gibt es ja bereits heute", sagt Meeßen vom MDK. "Vor der Gabe von Antibiotika wird zum Beispiel eine Resistenzprüfung gemacht. Auch in der Krebsforschung wissen wir, dass nicht jedes Medikament für jeden Patienten und gegen jeden Krebs hilft. Bei neuen Medikamenten oder Therapien muss aber auch ein Nutzen erwiesen sein. Wir haben dabei den Patienten gegenüber sozusagen einen Schutzmechanismus."

Der Fortschritt, den der Patient haben kann, muss belegt sein. Das ist er, sagt Jörg Möller von Sanofi Aventis. "Wir können ein Medikament nur dann zugelassen bekommen, wenn ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis belegt ist. Also die Patienten Linderung erfahren oder sogar geheilt werden. Wenn allerdings bei 100 Patienten nur 50 für ein bestimmtes Medikament empfänglich wären, aufgrund ihrer genetischen Konstellation, dann muss man eine Stufe höher gehen, um die Wirksamkeit zu zeigen."

Was aber gleichzeitig eine Chance bietet. "Wenn man zukünftig das Patientenkollektiv für ein Medikament schon im Vorfeld weiß, dann kann die Wirksamkeit leichter herausgefunden werden. Nur die Patienten, die einen Nutzen haben, werden dann letztendlich behandelt und auch nur diese tragen das Risiko von Nebenwirkungen", so Möller.

Maßgeschneidert und trotzdem preiswert?

Personalisierte Medizin soll aber nicht nur besser und sicherer sein, sondern am besten auch wirtschaftlicher. Einige Experten glauben, dass die maßgeschneiderten Medikamente Kosten einsparen können. Dennoch bleibt die Frage: Wird es personalisierte Medizin für jeden oder nur für einige Auserwählte geben? Und wer soll sie bezahlen? "Die Gemeinschaft der Versicherten", sagt Axel Meeßen vom MDK.

Und Jörg Möller von Sanofi Aventis fügt hinzu: „Entwicklungen gibt es nicht umsonst. Der Preis richtet sich danach, welchen Nutzen die Patienten haben. Und auch wie groß das Patientenkollektiv ist. Vieles ist noch Grundlagenforschung und die kostet eben Geld. Aber sie wird zum großen Teil auch von der Industrie getragen."

„Wir geraten in eine Innovationsfalle"

Prof. Max Einhäupl ist skeptischer. „Ich bin pessimistisch, dass der Stand aufrechterhalten werden kann. Medizin wird immer teurer werden, die Innovationszyklen werden immer schneller." Die Frage ist, ob allen Patienten alles ermöglicht werden kann. „Wir geraten in eine Innovationsfalle. Für zehn Prozent mehr Innovation müssen wir 300 Prozent mehr Kosten zahlen. Aber Innovation ist nicht immer bezahlbar. Dieser Diskussion dürfen wir auch nicht ausweichen."

Und Axel Meeßen fügt hinzu: „Wir wissen in einigen Bereichen der Diagnostik noch nicht so viel, wie man es sich wünschen würde. In vielen Fällen fehlen gute Studien, die die Verkettung von Diagnostik und Therapie zeigen. Da müssen Lücken geschlossen werden."

Vision für die Zukunft

Über vieles muss noch diskutiert werden, da ist sich die Runde einig. Zum Beispiel wie man mit Minderheiten umgeht, Menschen die an seltenen Krankheiten leiden. „Wir müssen dafür sorgen, dass auch diese Minoritäten behandelt werden", sagt der Pharmakologe Prof. Roots. Auch bei der Bewertung von Medikamenten müssen wir in Deutschland eine Methodendiskussion führen, meint Meeßen. In Großbritannien wird eine Therapie, die einen Menschen im Alter das Leben verlängert, höher bewertet, als eine, die jemanden gerade am Leben erhält, sagt er. „Man kann nur warnen vor Übernahmen unangepasster Qualitätsstandards. Aber die Diskussion um Kosten und Nutzen muss geführt werden. Und sie beginnt langsam erst."

Und die Zukunft? Werden wir in 40 Jahren maßgeschneiderte Medikamente haben? „In einigen Jahren wird es so sein, dass die dafür bestimmenden Faktoren schon am Krankenbett ermittelt werden können. Also welches Medikament, für welchen Patienten, in welcher Dosis", sagt Prof. Roots. Der gleichen Ansicht ist Prof. Einhäupl. „Wir werden individuellere Therapien haben. Und vor der Therapie wird der Patient mittels Pharmakogenetik viel besser erfasst werden können." Dr. Möller von Sanofi Aventis ist verhaltener. „So schnell wird das nicht passieren. Aber wir werden bestehende Therapien optimieren können und Medikamente verbessern", sagt er. Eine besser vernetzte Forschungslandschaft und bessere Instrumente, um Innovationen zu bewerten, verspricht sich dagegen Dr. Meeßen von der Zukunft.

Podium:

Prof. Dr. Karl Max Einhäupl

Vorstandsvorsitzender, Charité - Universitätsmedizin Berlin, www.charite.de

Dr. Axel Meeßen

Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg, www.mdk-bb.de

Dr. Jörg Möller

Leiter Entwicklungsprojekte, Forschung und Entwicklung Deutschland, sanofi-aventis, www.sanofi-aventis.de

Prof. Dr. Ivar Roots

Direktor Institut für Klinische Pharmakologie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, www.charite.de

Moderation: Thomas Prinzler, Wissenschaftsredaktion Inforadio (rbb)

Der Treffpunkt WissensWerte ist eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin, Inforadio (rbb) und der Technologie Stiftung Brandenburg im Wissenschaftsjahr 2010. Die Aufzeichnung der Sendung finden Sie unter dem angegebenen Link.

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Links:

Spiegel Online: Personalisierte Medizin. Meine Gene, mein Kreis, meine Therapie

http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0,1518,678943,00.html

Capital: "Wir stehen erst am Anfang" - Interview mit Roche-Chef Severin Schwan

http://www.capital.de/unternehmen/100028297.html?p=1

Ärztezeitung: „Das Prinzip Gießkanne hat bei der Behandlung von Krebspatienten ausgedient."

http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/krebs/article/590242/prinzip-giesskanne-behandlung-krebspatienten-ausgedient.html

Sueddeutsche.de: Arznei. Rezept nach Hautfarbe

http://www.sueddeutsche.de/politik/482/354312/text/

Büro Für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag: Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem

http://www.tab.fzk.de/de/projekt/zusammenfassung/ab126.pdf

Die Forschenden Pharma-Unternehmen: Pharmakogenetik

http://www.vfa.de/de/politik/positionen/pharmakogenetik.html

Die Forschenden Pharma-Unternehmen: Genchips erleichtern die Suche nach der richtigen Therapie

http://www.die-forschenden-pharma-unternehmen.de/medizin/krebs/krebs-mehr-zum-thema/aktuelles_gentest/

Pharmazeutische Zeitung: Personalisierte Medizin. Maßgeschneidert, aber teuer

http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=30253

Innovationsreport: Zukunftstagung: Maßgeschneiderte Medizin setzt gebildeten Patienten voraus

http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/zukunftstagung_massgeschneiderte_medizin_setzt_123023.html

Autor/Quelle | Kristin Krüger

Links

Zum Download der Sendung, mp3-Format

 

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