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Reise-Messe ITB und Tourismus-Branche in Berlin

09.03.2010


Erfolgsrezepte bei Reisefieber

Quelle Berliner Wirtschaft


Erfolgreiche Nischenanbieter
Trend zu nachhaltigem Reisen
Hotelpreis-Ermittlung in Echtzeit
Zielgruppe ältere Reisende

Die Tourismus-Branche ist in Berlin nicht nur während der ITB zu Hause. Reisebüros und Veranstalter haben eine wachsende mittelständische Basis in der Stadt. Durch Spezialisierung, nachhaltige Angebote und den Einsatz effzienter IT-Lösungen sammeln die Unternehmen Pluspunkte bei Privat- und Firmenkunden.

ITB
Treffpunkt Internationale Tourismus Börse: Die Branchenmesse, die in diesem Jahr vom 10. bis 14. März stattfindet, ist Berlins großes Schaufenster in die Reisewelt | Foto: Ullstein-Boness/Ipon

Berlin ist ein touristisches Erfolgsmodell - spannend, kreativ, dynamisch. Seit Jahren kennen die Übernachtungszahlen nur eine Richtung: nach oben. Die deutsche Hauptstadt ist eine Reise wert, einmal im Jahr sogar für die gesamte Branche. Vom 10. bis zum 14. März läuft die Internationale Tourismus Börse in diesem Jahr. „Das Beste an der ITB ist, dass sie in Berlin stattfindet", meint Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Berlin Tourismus Marketing GmbH. „Berlin ist die Bühne für über 150 000 Fachbesucher, die für eine Woche in der Stadt leben. Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren." Die Tourismus-Branche sorgt aber nicht nur für erfreuliche Berliner Gästezahlen, sie hat auch ein starkes Standbein in der Stadt: die Reiseveranstalter und -vermittler. Mögen die Großen wie TUI, die Touristik der Rewe Group oder Thomas Cook auch anderswo sitzen, so hat sich in Berlin doch ein vielseitiges und erfolgreiches Outgoing-Geschäft entwickelt.

Im Alleinstellungsmerkmal liegt dabei die Kraft. Der Blick auf das Dossier der Fremdenverkehrswirtschaft (fvw), die seit vier Jahrzehnten den Veranstalter-Markt analysiert, zeigt: Die aufgelisteten Berliner Unternehmen erzielen ihre Umsätze - zum Teil mit bemerkenswerten Steigerungen - über die Spezialisierung. Der Berliner Reisemarkt ist ein Nischenmarkt, und er ist mittelständisch geprägt.

Ingo Lies ist Geschäftsführer von Chamäleon Reisen. 1996 beschloss er, seine Leidenschaft für Nepal und Neuseeland mit anderen zu teilen. Im vergangenen Jahr betrug der Umsatz 15,2 Mio. Euro, für dieses Jahr erwartet Lies rund 20 Mio. Euro. Sein Konzept besteht darin, „die Lücke zu schließen zwischen klassischen Gruppenreisen und Individualreisen. Deswegen gehören auch jüngere Leute, die sonst keine Gruppenreise buchen würden, zu unseren Kunden". Jung ist dabei relativ. Das Durchschnittsalter liege bei 50, sagt Lies, es gebe die Gruppe der 30- bis 50-Jährigen und die der 50- bis 70-Jährigen. Gemeinsam ist allen Kunden, dass sie nicht den Massengeschmack teilen: Chamäleon-Reisen führen in Länder wie Tansania, Peru oder Costa Rica, die Gruppen sind auf 12 Teilnehmer begrenzt, es können auch individuelle Privatreisen zusammengestellt werden. „Extrem wichtig", so Lies, „ist das Persönliche." Bei der Beratung wie bei der Durchführung der Reisen.

Reisen dieser Art sind nicht billig, und die Ranglisten im fvw-Dossier zeigen: Der gehobene Anspruch bei Berliner Reiseveranstaltern ist kein Einzelfall. Geht es um die absoluten Umsatzzahlen, liegt der stärkste Berliner Anbieter (JT Touristik) mit 40 Mio. Euro (2009) auf Platz 32 (von insgesamt 62). Der zweite ist Lernidee Erlebnis Reisen auf Rang 42, es folgen fünf weitere auf den hinteren Plätzen. Nimmt man jedoch die Umsätze pro Teilnehmer, liegt Lernidee Erlebnis Reisen auf Platz drei, Chamäleon Reisen auf Rang sechs und der Luxus-Veranstalter Windrose ist sogar Zweiter. Auch Medikur Reisen wird durch den Umsatz pro Gast von Rang 60 auf 32 befördert, und Sun Trips Reisen klettert von 48 auf 22. Von wegen arm, aber sexy.

Erfolgreiche Nischenanbieter

Erfolg verspricht auch die inhaltliche Fokussierung. Welcome Berlin Tours hat sich auf Klassen- und Studienreisen spezialisiert. Sun Trips Reisen bietet Südostasien, Arabien und den Indischen Ozean an. Ähnlich wie bei Chamäleon Reisen kann man sich hier seinen Wunschurlaub zusammenstellen lassen, das Umsatzplus lag im Krisenjahr 2009 immerhin bei 3,9 Prozent. 7,7 Prozent im Plus waren Medikur Reisen, die seit 1998 Kuraufenthalte im In- und Ausland anbieten. Windrose wirbt damit, die „ganz privaten Reise-Träume" zu verwirklichen, und das bedeutet bei Bedarf Luxus pur. Ebenfalls zu den Berliner Nischenanbietern gehört Lernidee Erlebnisreisen, deren Spezialität exklusive Sonderzugreisen sind. Im „rollenden Hotelzimmer" geht es „weltweit und naturnah" durch den Süden und Osten Afrikas, an der Seidenstraße entlang, und natürlich kann der Gast auch die Transsibirische Eisenbahn besteigen. Zum Selbstverständnis des Unter-nehmens gehört aber auch etwas anderes: die Förderung sozialer Projekte und der Klimaschutz. Nachhaltigkeit zählt inzwischen zum Anspruch zahlreicher Reiseveranstalter. Chamäleon Reisen etwa kauft nicht nur für jeden Kunden 100 Quadratmeter Regenwald in Costa Rica, dem Veranstalter ist es auch wichtig, „wie man im Land unterwegs ist". Nämlich in kleinen Gruppen, mit versierten Reiseleitern und auf Augenhöhe mit den Einheimischen.

Nachhaltigkeit oder auch CSR - Corporate Social Responsibility - wird auch in der Reisebranche inzwischen groß geschrieben. Seit 2009 gibt es auf der ITB einen speziellen CSR-Day, in diesem Jahr findet er am 11. März statt. Klimawandel, Ökologie und soziales Engagement im Tourismus stehen hier auf der Tagesordnung, es geht um neue Ergebnisse und gute Beispiele.

Trend zu nachhaltigem Reisen

Bereits 1998 hat sich das Forum Anders Reisen gegründet. Eine Handvoll Veranstalter tat sich damals zusammen, um nachhaltiges Reisen voranzubringen. Es waren kleine Unternehmen, die hier den Schulterschluss probten, um gemeinsam stärker zu sein. Mittlerweile zählt das Forum rund 160 Mitglieder. Acht davon sind Berliner Unternehmer, wie in den Anfangszeiten eher kleine Anbieter wie „China by bike" oder „Frankreich à la carte". Seit einem Jahr verteilt das Forum Anders Reisen ein CSR-Siegel an Veranstalter, die bestimme Kriterien erfüllen. Zu den Bewertungsgrundlagen gehören die CO2-Emission pro Gast und Tag, das Geld, das vom Reisepreis im Reiseland bleibt, die Bezahlung des Personals im Reiseland, die Qualität der Reiseleiter, die Größe der Reisegruppen und die Kundenzufriedenheit.

CSR, so bestätigt Rika Jean-François, bei der ITB verantwortlich für diesen Bereich, wird auch für die Touristen immer wichtiger, „die Nachfrage steigt". Wie eine repräsentative Befragung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg ermittelt hat, halten „etwa drei von vier deutschen Urlaubern den schonenden Umgang mit der Umwelt, die Sicherheit bei der Anreise und dem Aufenthalt sowie die Wahrung der Menschenrechte im Urlaubsland für wichtig".

So unterschiedlich die Erwartungen an Reisen sind, so vielfältig sind auch die Wege zur Urlaubsbuchung. Discounter und Internet beanspruchen zwar Marktanteile, das klassische Reisebüro aber bleibt eine relevante Größe - auch in den Augen der Veranstalter. Nicht nur Ingo Lies sagt, dass er die Präsenz von Chamäleon Reisen in den Reisebüros ausbauen will, auch JT Touristik, ein weiterer noch junger Veranstalter aus Berlin mit Schwerpunkt Dubai, will den Vertrieb über die Reisebüros erweitern. Das von der Deutsch-Iranerin Jasmin Taylor gegründete Unternehmen möchte in den kommenden zwei Jahren drei Viertel seines Umsatzes über Reisebüros erzielen, nicht durch eine Verlagerung aus dem Onlinegeschäft, sondern durch neu generierte Umsätze. Mit einem Umsatzplus von 72,4 Prozent im vergangenen Jahr scheint diese Doppelstrategie aufzugehen. JT Touristik will aber auch künftig ein „virtueller Reiseveranstalter" bleiben. Alle Reisebestandteile werden online zu tagesaktuellen Preisen zu FOTO: CHAMÄLEON REISENeinem Pauschalangebot zusammengestellt. Deswegen gibt es auch Kataloge bei JT Touristik nur auf dem Computerbildschirm. „Der Vorteil liegt darin, dass wir beliebig viele Informationen und Hotelbilder zur jeweiligen Reise anbieten und die Daten permanent auf dem aktuellen Stand halten können", sagt Jasmin Taylor. „Die Einsparungen können wir direkt an unsere Kunden weitergeben. Darüber hinaus sind Online-Reisekataloge umweltschonend."

Hotelpreis-Ermittlung in Echtzeit

Ganz auf die Stärken online-basierter Angebote setzt auch die Berliner eho-tel AG. Vor zwölf Jahren gegründet und seit 2000 eine Aktiengesellschaft, hat sich eho-tel auf weltweite Hotelreservierungen im Internet unter www.ehotel.de und über ein eigenes Service-Center spezialisiert. Weltweit mehr als 210 000 Hotels sind derzeit im Angebot. Für jede Übernachtungsanfrage wird aus allen verfügbaren Hotelzimmer-Preisen der günstigste Zimmerpreis in Echtzeit ermittelt. Eho-tel positioniert sich am Markt als Anbieter mit integrierten Lösungen für den Einkauf und das Firmen-Travelmanagement. Ziel ist die Berücksichtigung firmenspezifischer Besonderheiten, um dadurch deutliche Einsparungen bei der Vorbereitung, Abwicklung und der Abrechnung von Geschäftsreisen zu erzielen. Die Prozesskosten einer Hotelbuchung sowie die indirekten Kosten, z.B. einer Taxifahrt zum Hotel, könnten leicht den reinen Hotelpreis übersteigen, resümiert eho-tel-Vorstand Fritz Zerweck. Das sei vielen Unternehmern gar nicht bewusst. Unter anderem mit diesem Argument wurden in jüngster Zeit viele neue Mittelstandskunden geworben, die der ehotel AG geholfen haben, selbst in Krisenzeiten Zuwächse zu erzielen. „Wir sind ein forschendes Unternehmen", sagt Zerweck. ehotel arbeitet mit Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin, des Fraunhofer-Instituts und des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts zusammen. In den vergangenen Jahren ist dabei ein komplett neues Buchungssystem entwickelt worden. Die neueste Innovation im Business Travel: ein integrierter Preisvergleich mit mehr als 50 anderen Anbietern.

Für die klassischen Reisebüros ist das Internet ein janusköpfiges Wesen. Einerseits nutzen sie es selbst und kämen ohne auch gar nicht mehr aus, andererseits hat es ihnen ein Stück vom Kuchen weggenommen. Eine Studie der Fachhochschule Worms im Auftrag des Deutschen Reise Verbandes (DRV) kommt zu dem Ergebnis, dass zwar 89 Prozent der Mitarbeiter von Reisebüros das World Wide Web als Unterstützung im Verkauf sehen, 58 Prozent es aber auch als Konkurrenz und Gefahr fürs eigene Geschäft fürchten. Die Einbeziehung des Internets verlängert der Untersuchung zufolge die Beratungsgespräche im Schnitt um zehn bis zwölf Minuten - satte 40 Prozent. Um den häufig gut vorinformierten Kunden am Counter kompetent und eÌ€ zient begegnen zu können, wünschen sich 93 Prozent der Befragten Hilfe durch gezielte Weiterbildung und technische Werkzeuge im Online-Bereich.

Seinen Umsatzrückgang durch das Internet schätzt Dr. Ulrich Basteck, Geschäftsführer von Wörlitz Tourist, auf fünf bis zehn Prozent, die aber, wie er sagt, durch die Bausteintouristik mehr als ausgeglichen werden konnten. „Komplexe Urlaube, bei denen mehrere Bausteine zusammengefügt werden, bucht keiner übers Internet. Aber einfache touristische Leistungen wie Bahn-Fahrten oder Flüge werden von einem großen Teil der Kunden online gekauft. Reisebüros, die auf Flugbuchungen spezialisiert waren, mussten Einbußen von 30 bis 40 Prozent hinnehmen", so Basteck.

Seit Mitte der neunziger Jahre - als das Internet anfing, ein Massenmedium zu werden - ist die Zahl der Reisebüros in Berlin von 553 auf 520 zurückgegangen. Auch die Umsatzsteigerungen können nicht annähernd mit denen der Reiseveranstalter mithalten. Ansonsten gilt auch für Reisebüros: „Es gibt zwar nach wie vor zahlreiche Allrounder, aber viele Reisebüros nutzen mittlerweile die Chance, sich über ein Alleinstellungsmerkmal zu profilieren, sei es durch die Spezialisierung auf ein spezielles Land, eine Region oder eine bestimmte Reiseart - zum Beispiel Kreuzfahrten", so Sibylle Zeuch vom Deutschen Reise Verband (DRV). Inzwischen gingen auch viele Reisebüros dazu über, neben dem Verkauf von Veranstalterprodukten eigene Reisen zu vermarkten. Das erhöhe zwar das Risiko, aber natürlich auch die Margen.

Zielgruppe ältere Reisende

Wörlitz Tourist ist ohnehin nicht nur Reisebüro, sondern auch Veranstalter. Vor 20 Jahren gegründet, hatte Dr. Ulrich Basteck von Anfang an eine bestimmte Zielgruppe im Blick: die der Älteren. Zu den Angeboten gehören Kreuzfahrten, begleitete Flugreisen und individuelle Wellnessreisen, 70 Prozent der Produkte aber sind Busreisen. Was auf den ersten Blick wie ein Anachronismus aussieht, erweist sich bislang als Erfolgsgarant: Wörlitz Tourist verbuchte 2009 laut Basteck ein zweistelliges Plus. „Berlin ab und Berlin an funktioniert heute natürlich nicht mehr. Die Gäste fliegen zum Zielort, und wir mieten die Busse vor Ort an", umreißt der Unternehmer sein Konzept. Sehr wichtig ist nach seiner Erfahrung der Reiseleiter. Die Gäste brauchen jemanden, der für sie da ist. „Jeder von uns ist doch für einen guten Service empfänglich", sagt Basteck und fügt hinzu: „In einer unpersönlichen Welt wird ein Ansprechpartner immer wichtiger." Berlin hat 51 Prozent Single-Haushalte. Eine große Nische für einen Reiseveranstalter.

Selbstverständlich ist der Erfolg im Outgoing-Bustourismus nicht. Gerd Bretschneider, Geschäftsführer der Fuhrgewerbe-Innung Berlin-Brandenburg, fasst die Situation so zusammen: „Das wegbrechende Outgoing-Geschäft konnte teilweise durch den Incoming-Tourismus kompensiert werden." Nach der Vereinigung gab es bei den Busreisen einen Boom, von dem vier, fünf Jahre später allerdings nichts mehr übrig war. Erst Ende der neunziger Jahre eröffneten der Hauptstadtbeschluss und das belebte Kongressgeschäft neue Perspektiven.

Die Haru Reisen Gruppe gehört zu den traditionsreichsten Busunternehmen Berlins und lebt von den Geschäftsfeldern Fernlinienverkehr, Stadtrundfahrten, Busvermietung und Incoming-Tourismus, wozu auch die Gruppen des Bundespresseamtes gehören. Wenn man bedenkt, dass jeder Abgeordnete zweimal im Jahr Gäste einladen darf, die bis zu vier Tage vor Ort sind, ahnt man das Auftragsvolumen. „Ein großer Kunde", sagt Geschäftsführer Hans-Jörg Schulze, der auch Vorsitzender des IHK-Ausschusses Tourismus ist, zurückhaltend. Dennoch macht die Bus-Anmietung den kleineren Teil des Umsatzes aus. Die Standbeine des Unternehmens sind die City-Circle-Rundfahrten und der Fernlinienverkehr. Auf der Strecke Berlin-Hamburg zählt Haru-Reisen pro Jahr 330 000 Beförderungsfälle, wie es korrekt heißt. 22 Busse hat Haru-Reisen im Einsatz, und wie Schulze sagt, „ist der Bus im Verkehrsmittelvergleich das umweltfreundlichste und zugleich ein qualitativ hochwertiges Massenbeförderungsmittel".

Solange Berlins Besucherzahlen stabil bleiben, wird die Konzentration auf die Masse kein Problem sein. Überhaupt prognostiziert die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR): „Der Tourismus hat Zukunft." Allerdings werden sich die Strukturen weiter verändern. Die FUR-Reiseanalyse „Urlaubsreisetrends 2020" hält ein nachfrageseitiges Marktwachstum durchaus für möglich, wobei die wirtschaftlichen Effekte voraussichtlich geringer ausfallen als die Steigerung der Anzahl der Reisen. Sicher scheint nur zu sein: Die Ansprüche der Kunden werden weiter steigen und damit auch die Anforderungen an dieAnbieter.

Birgit Warnhold

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