Berlin-Brandenburg touristisch vereint
10.03.2010
Berlin-Brandenburg touristisch vereint
Während die Fusion von Berlin und Brandenburg ein fernes Ziel bleibt, ziehen die Tourismus-Chefs beider Länder längst an einem Strang. Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Berlin Tourismus Marketing, und Dieter Hütte, Geschäftsführer der Tourismus-Marketing Brandenburg, über ihre gemeinsame Region, neue Märkte und den künftigen Großflughafen BBI.
Berliner Wirtschaft: Welche Werbeeff
ekte hat die Internationale Tourismus Börse für die Reiseregion Berlin-
Brandenburg?
Burkhard Kieker: Das Beste an der ITB ist, dass sie in
Berlin stattfindet. Berlin ist die Bühne für über 150 000 Fachbesucher, die für
eine Woche in der Stadt leben. Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren.
Dieter Hütte: Für Brandenburg, das ja immer ein wenig im
Windschatten von Berlin liegt, ist die ITB ausgesprochen wichtig. Einerseits
bekommen unsere Partner aus Brandenburg einen Eindruck davon, wie der
Wettbewerb aussieht. Andererseits nutzen wir dieses Schaufenster, um der
Fachwelt zu zeigen, dass wir die Region um Berlin herum sind. Deswegen ist es
auch gut, dass wir gemeinsam mit Berlin in einer Halle sind und man sich
gegenseitig die Besucher zuführen kann.
Wo liegen für Sie die Möglichkeiten
einer gemeinsamen Vermarktung der Region?
Kieker: Ich bin gerade von einer Reise mit Wirtschaftssenator
Wolf aus Arabien zurückgekehrt. Dort gibt es große Potenziale für kombinierte
Stadt-und-Land- Angebote in den Bereichen Gesundheitsund Erholungstourismus.
Die Menschen haben das Bedürfnis nach Wasser, Grün, intakter Natur - in
Verbindung mit den Möglichkeiten, die eine Weltmetropole wie Berlin etwa bei
den Themen Shopping und Kultur bietet.
Hütte: Berlin und Brandenburg, das ist vergleichbar mit Wien
und Niederösterreich. Wenn jemand das zweite oder dritte Mal nach Wien reist,
landet er irgendwann automatisch auch im Umland der Stadt. Tagestouristische
Untersuchungen bei uns zeigen, wie wichtig die Berliner Gäste für Brandenburg
sind. Umgekehrt sorgen Brandenburg-Besucher auch für eine hohe Wertschöpfung in
Berlin. Und wir tragen solchen Wünschen dadurch Rechnung, dass wir seit diesem
Jahr eine gemeinsame „Welcome-Card" für Potsdam und Berlin anbieten. Das wird
man sicher noch ausweiten.
Kieker: Außerhalb Deutschlands weiß kein Mensch, dass Berlin
und Brandenburg zwei Bundesländer sind. Das interessiert auch niemanden. Die
Leute wollen nach Berlin und ins wunderschöne Brandenburg. Da sind wir gut
beraten zusammenzuarbeiten. Und es geht darüber hinaus. Wissen Sie, wie in
einem amerikanischen Kreuzfahrt-Prospekt Rostock heißt: „Berlin harbour".
Berlin hat inzwischen enorme Strahlkraft.
Welche Bedeutung spielt der künftige
Airport BBI für Sie als Touristik-Vermarkter?
Kieker: Ein dickes Ausrufungszeichen!
Hütte: Er ist einfach sehr, sehr wichtig, auch für die
Kommunikation. Es wird für die Region einen gemeinsamen Flughafen geben mit
einer gemeinsamen Tourist Information.
Kieker: Dieses neue Welcome Center wird eine
Tochtergesellschaft der BTM und der TMB sein. Und es wird auch ein Welcome
Center für die Wirtschaft werden, wo VIPs empfangen werden können.
Lufthansa-Vorstand Mayrhuber hat
kürzlich allzu hohe Erwartungen an den BBI gedämpft . . .
Kieker: Ich glaube, Berlin und Brandenburg sollten sich
nicht allein auf die Lufthansa verlassen.
Gerät durch die erwarteten höheren
Kosten für Airlines am BBI das für Berlin wichtige Segment der sogenannten
Billigflieger in Gefahr?
Kieker: Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen
der Entwicklung des Lowcost-Flugverkehrs und den Berliner Touristenzahlen. Wir
können darauf nicht verzichten. Der Flughafen steht vor der großen
Herausforderung, „normale" Linienflüge und Lowcost-Carrier unter einem Dach zu
vereinen. Berlin braucht beide Segmente. Die mangelnde Langstrecken-Anbindung
ist bisher unser größtes Hindernis, eine noch erfolgreichere Kongress-Metropole
zu werden. Wir sind in vielen Punkten schon weltweit die Nummer eins. Anderes
können wir nicht realisieren, weil den amerikanischen Herzchirurgen oder
südafrikanischen Implantate-Herstellern die Anreise zu umständlich ist. Da gibt
es großen Nachholbedarf, und das ist unsere klare Erwartung an den BBI. Berlin
braucht neue Langstreckenverbindungen, die die Stadt auf ihrem Weg zur
Kongressmetropole Nummer eins unterstützen.
Hütte: Unsere Erwartungen sind etwas kleiner, aber auch die
Potsdamer Wissenschaftslandschaft ist international aufgestellt. Und wenn man
künftig von dem einen Flughafen der Region in 30 Minuten in Potsdam sein wird,
spielt das auch für uns eine große Rolle.
Machen Sie sich den Kuchen des
Tagungstourismus gegenseitig streitig?
Hütte: Es mag in Einzelfällen auch Konkurrenzen geben.
Aber im Großen und Ganzen entscheiden sich Firmen ganz bewusst für Brandenburg,
weil sie exzellente Tagungshotels in einer gewissen Abgeschiedenheit haben
wollen. Dort gibt es keine Ablenkungen - und das ist eine gewollte Stärke. Dazu
gibt es aber natürlich auch ein gut funktionierendes Unternehmer-Netzwerk der
MICE Branche, das entsprechende Rahmenprogramme bietet - auch in der
Partnerschaft mit Berlin.
Kieker: Uns bereitet die Diskussion ums ICC Sorgen. Ich kann
mir überhaupt nicht vorstellen, wie man das ICC im laufenden Betrieb sanieren
will. Zu glauben, dass man an der einen Ecke 30 Mio. Euro verbauen kann,
während an der anderen der Weltkongress der Herzchirurgen tagt, das halte ich
für mehr als gewagt. Wir werden bei der Politik für bessere Lösungen werben.
Wie sieht Ihr Vorschlag aus?
Kieker: Berlin hat zukünftig die Kapazität, zwei
Kongresszentren dieser Größenordnung zu füllen. Schon heute müssen wir größere
Kongresse wegen zeitlicher Überschneidungen absagen. Man sollte über einen
Ersatzbau nachdenken. Es geht dabei nicht um einen Luxusdampfer. Man kann ein
Gebäude errichten, das unterschiedlichen Zwecken dient und in der
Sanierungszeit des ICC als Ersatz fungiert. Mit dieser Option könnten wir
weltweit für Berlin weitere Geschäfte akquirieren.
Nicht nur Tagungstouristen bietet Berlin
immer neue und im internationalen Vergleich sehr günstige Hotels. Freuen Sie
sich als Touristiker darüber?
Kieker: Dass wir kostengünstig sind, hilft uns wunderbar
durch die Krise. Unsere gesamte Kommunikation ist darauf ausgerichtet: „Die
Weltstadt, die nicht die Welt kostet". Wir wissen aus Gästebefragungen, dass
wir damit den Nerv getroffen haben. Auf Dauer wird es nicht möglich sein, immer
neue Hotels zu bauen, auch wenn dies stets ein Kompliment an die Stadt ist.
Beinahe jede internationale Hotelkette hat in Berlin gebaut, private Investoren
setzen auf Berlin. Das sind alles Zukunftsoptionen für Berlin. Alle glauben,
und da schließe ich mich ein, dass das Beste noch vor der Stadt liegt. Wir
kommen als Weltmetropole gerade erst zurück. Wir müssen allerdings aufpassen,
dass es auf diesem Weg keine Betten-Blase gibt. Die gekürzte Förderung führt
jetzt gerade zu einem Rückgang bei den Neuprojekten. Dennoch: In den nächsten
zwei Jahren kommen noch einmal fast 20 000 Betten dazu - von 106 000 auf 125
000. Zum Vergleich: New York hat 76 000 Betten - Manhattan und Brooklyn
zusammen.
Müssen die Brandenburger befürchten, von
Berlins Dynamik erdrückt zu werden?
Hütte: Die Preisdiskussion in den Berliner Hotels
wirkt sich ein stückweit auch auf Brandenburg aus. Wir sind zum Teil teurer als
Berlin, wenn man den Preisspiegel des Buchungsportals HRS anschaut. Bei
Hotelneubauten im Vierund Fünf-Sterne-Bereich ist man gegenwärtig
zurückhaltend. Im Übrigen spielt für uns Berlin in doppelter Hinsicht eine
wichtige Rolle. Zum einen ist es mit 3,5 Millionen Einwohnern ein wichtiger
Quellmarkt. Wenn sie aus der Stadt raus wollen, müssen sie durch Brandenburg.
Und dann sind da natürlich auch die 20 Mio. Übernachtungen, die Berlin absehbar
zählen wird. Da sind immer mehr Touristen darunter, die die kultur- und
naturtouristischen Schönheiten Brandenburgs kennenlernen wollen. Zwei Drittel
der touristischen Wertschöpfung in Brandenburg resultieren aus dem
Tagestourismus. Deutschlandweit mögen wir bei den Übernachtungszahlen auf Platz
12 stehen, was den Tagestourismus betriff t, spielen wir ganz oben mit.
Wie erreichen Sie mit Ihren Angeboten
potenzielle Besucher?
Hütte: Das entscheidende Kriterium ist die Weiterempfehlung
durch Reisende. Daneben spielt das Internet eine zentrale Rolle, deswegen
bereiten wir gerade einen großen Relaunch unseres Auftritts vor. Gefragt sind
Reisebausteine, die manchmal eben auch nur eine Idee oder Anregung liefern.
Kieker: Wir haben von Brandenburg beim Thema Reservierungssysteme
gelernt. Die TMB ist weiter als die BTM beim Dynamic Packaging. Das heißt, Sie
gehen mit dem Warenkorb wie bei Amazon über die Buchungsseite und sammeln alles
ein, vom Hotel über die Eintrittskarte für die Schlössernacht bis zur
„Berlin-Brandenburg Welcome-Card". Hütte: Und das ganze Paket können Sie
zukünftig am Flughafen BBI unter Ihrem Namen am Welcome Center abholen.
Wo sehen Sie noch weitere Quellmärkte
für die Tourismusregion im Ausland?
Kieker: Es gibt immer Märkte, in die man investiert, ohne
dass sofort fabelhafte Ergebnisse daraus resultieren. Das sind für uns
zweifellos die Bric-Märkte, also Brasilien, Russland, Indien und China - vor
allem die beiden Letztgenannten. Zusammen genommen leben dort 120 bis 150
Millionen Menschen aus der Mittelschicht, die sofort in der Lage wären, mit
ihren zwei Kindern eine Interkontinentalreise über zwei Wochen anzutreten -
nach Europa oder nach Amerika. Es kommt jetzt darauf an, dort Pfl öcke
einzuschlagen und die Botschaft zu vermitteln: Statt Rajastan im Sommer lieber
Werbellinsee und Kudamm. Daran arbeiten wir.
Sie sagen, das Beste liegt vor uns: Wie
sieht das konkret aus?
Kieker: Berlin war 60 Jahre aus der Weltgeschichte
verschwunden. Die Stadt hat länger gebraucht, sich davon zu erholen, als wir
gedacht haben. In Sachen Image haben wir aber inzwischen einen selbsttragenden
Aufschwung. Berlin macht irrsinnig neugierig. Es ist ein bisschen wie New York
vor 20 Jahren. Wir ziehen die besten und kreativsten Leute an. Das ist ein sich
selbst verstärkender Magnetismus und wird auch dazu führen, dass wir in Zukunft
bessere Wirtschaftsansiedlungen haben.
Hütte: Und auch das vollzieht sich wieder im Zusammenspiel mit
Brandenburg.
Kieker: Schauen Sie sich Brandenburg außerhalb des
Speckgürtels an: Das ist die Toskana Berlins.
Interview: Birgit Warnhold, Oliver de Weert
09.03.2010
Reise-Messe
ITB und Tourismus-Branche in Berlin
Titelthema der "Berliner Wirtschaft" im März 2010
