Vorreiter neuen Wirtschaftens und neuer Arbeitsplätze
30.06.2010
Pressemitteilung vom 7. Juni 2010 - auch hier zu lesen
SPD Berlin: „Berlin muss zum Vorreiter neuen Wirtschaftens und neuer Arbeitsplätze werden"
Industrie-Papier der Berliner SPD auf der zweiten Berliner Ideenkonferenz
veröffentlicht.
Nach der ersten erfolgreichen Berliner Ideenkonferenz im März dieses Jahres hat
sich nun die zweite Berliner Ideenkonferenz der SPD Berlin mit dem Thema „Neue
Industrialisierung - Nachhaltiges Wachstum und Arbeiten" beschäftigt. Als
Grundlage der dort geführten konstruktiven Debatte mit namhaften Vertretern aus
Wirtschaft, Wissenschaft und Berliner Unternehmerinnen und Unternehmern hat die
SPD Berlin ein Grundlagenpapier zur Industriepolitik auf der Konferenz
veröffentlicht.
Weitere Informationen über das Programm der Ideenkonferenz, die
Gesprächspartner und -partnerinnen und die dort geführten Debatten finden Sie
vorlaufend aktualisiert unter www.hauptstadt-im-gespraech.de. Wir freuen
uns über Ihr Interesse!
Das Papier im Wortlaut:
Berliner Ideenkonferenz #2
Neue Industrialisierung: Nachhaltiges Wirtschaften und Arbeiten.
Sozialdemokratische Positionen*
(* Positionsbestimmung des Geschäftsführenden Landesvorstands der SPD Berlin
auf Basis eines Papiers des Fachausschuss Wirtschaft - Arbeit - Technologie der
Berliner SPD.)
Berlin muss den Anspruch erheben, Industriestadt zu sein. Mehr Industrie in
Berlin bedeutet mehr Wertschöpfung - auch bei Dienstleistungen, denn auf jeden
Industriearbeitsplatz kommen vier Dienstleistungsarbeitsplätze. Je höher die
Wertschöpfung ist, desto größer sind die Spielräume für eine sozial-ökologische
Stadtpolitik, desto größer ist der Spielraum für eine Politik der sozialen
Gerechtigkeit. Ziel muss es sein, durch eine intelligente Wachstumspolitik,
Menschen in Lohn und Brot zu bringen - für eine eigenständige Lebensplanung und
die Unabhängigkeit von Transferleistungen.
Die Ausgangslage ist keine einfache
Berlin hat seit der Wiedervereinigung 60 Prozent seiner Arbeitsplätze im
Verarbeitenden Gewerbe verloren. Alle Erfolge beim Aufbau des
Dienstleistungssektors, der Kreativwirtschaft, bei Wissenschaft und Kultur
haben die Stadt ökonomisch nicht ausreichend stabilisieren können. Das Berliner
Lebensgefühl lockt viele junge Menschen an, aber viele gehen wieder weg, weil
sie hier keine Arbeit finden. Die Arbeitslosenquote ist mit 13,6 Prozent erschreckend
hoch. Nur noch 40 Prozent der Berufstätigen haben unbefristete Vollzeitstellen.
Die Quote der Hartz-IV-Empfänger ist mit 13 Prozent doppelt so hoch wie im
Bundesschnitt (6,1 Prozent).
Gleichzeitig gibt es große Potentiale: Die Ansicht, in Berlin gebe es keine
industrielle Basis mehr, ist falsch. Berlin hat eine sehr leistungsfähige
Industrie auf Weltmarktniveau. Modernste Turbinen kommen aus Berlin,
beispielsweise von Siemens oder M.A.N. Turbo, bedeutende Unternehmen der
Pharmaindustrie produzieren hier, sämtliche Motorräder von BMW werden in Berlin
hergestellt. In Berlin werden mehr Hightech-Firmen gegründet als im
Bundesdurchschnitt. Die Berliner Industrieunternehmen erwirtschaften über 37
Prozent ihres Umsatzes mit neuen Produkten.
Die industrielle Basis ist für eine deutsche Metropole und im Vergleich zu
anderen deutschen Ballungsräumen jedoch zu klein. Es fehlen 280.000
Arbeitsplätze, 90.000 davon in der Industrie. Rund 13 Prozent der
Wirtschaftsleistung Berlins kommt aus der Industrie, während es im deutschen
Durchschnitt zehn Prozentpunkte mehr sind. Ziel muss es sein, diesen Wert auch
in Berlin zu erreichen. Berlin muss aus eigener Kraft neue Industrie aufbauen
und darf sich nicht darauf verlassen, dass große und prestigeträchtige Industrieansiedlungen
ausschließlich von außen kommen.
Wo wollen wir hin?
Berlin muss zum Vorreiter neuen Wirtschaftens und neuer Arbeitsplätze werden.
Schon als sich Berlin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert anschickte,
Industriestadt zu werden, waren es die gute Bildungslandschaft der Stadt und
kluge Berliner Köpfe wie Werner v. Siemens, Emil Rathenau und viele andere, die
diese Entwicklung ermöglichten - nicht Bodenschätze oder andere naturgegebene
Faktoren. Daraus muss Berlin lernen: Der wertvollste Rohstoff Berlins ist das
Wissen der Menschen. Berlin verfügt über eine in Deutschland einmalige
Wissenschaftslandschaft, über hervorragende Bildungseinrichtungen und eine
exzellente Infrastruktur. Berlin gibt rund 3,4 Prozent seines
Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Forschung und Entwicklung (FuE) aus und liegt
damit weit über dem Bundesdurchschnitt.
Berlins Industrie ist eine hochwertige Industrie mit hoher Wertschöpfung, deren
besondere Stärke in der Verbindung von Wissen und Umsetzung mit hoher Fertigungskompetenz
liegt. In Berlin werden Produkte der nachhaltigen, Ressourcen schonenden
Wirtschaft des 21. Jahrhunderts erdacht, angewandt und produziert. Hier wird an
der Lösung zentraler Zukunftsthemen gearbeitet. Ein beträchtlicher Teil ihrer
Wertschöpfung kommt aus Forschung und Entwicklung, Design, Marketing - und aus
hochwertiger Produktion. Wir müssen uns daher von einem veralteten
Industriebild verabschieden: von rauchenden Schornsteinen, vom Lärm, Schmutz
und harter, oft eintöniger Arbeit in großen Fabriken. Skepsis und Distanz
müssen durch Vermittlung eines neuen, positiven Images einer modernen, sauberen
und damit stadttauglichen Industrie abgebaut werden.
Was können wir dafür konkret tun?
Die Ressourcen "Wissenschaft" und "qualifiziertes, wissenschaftlich
ausgebildetes Arbeitspotenzial" müssen intensiver als bisher genutzt
werden. In Berlin trifft ein überproportional großer Wissenschaftsbereich auf
eine kleine und vergleichsweise kleinteilig strukturierte Industrie. Andere
Ballungsräume hatten 40 Jahre mehr Zeit für das abgestimmte Wachstum von
Wissenschaft und Industrie. Eine konsequente KMU-Förderung, Bestandspflege, die
Bereitstellung von Wagniskapital für KMU und die Fachkräfteförderung im
KMU-Bereich sind entscheidende Bausteine einer industriepolitischen Strategie
für Berlin.
Eine wirksame Industriepolitik muss in Berlin zum einen von vorhanden
Strukturen und Ressourcen ausgehen. So werden die ansässigen Unternehmen der
Elektroindustrie, der Energieerzeugung, des Energiemaschinenbaus, der
Lebensmittel- und der Pharmaindustrie und auch weiterhin eine tragende Rolle in
Berlin spielen. Industriepolitik bedeutet hier vorrangig Bestandpflege und
-erweiterung. Zum zweiten hat sich Berlin aber auch längst auf den Weg einer
neuen Industrialisierung gemacht. Der dramatische Strukturwandel seit der
Wiedervereinigung ebnete innovativen, neuen Unternehmen den Weg. Es wurden
viele wissensbasierte Unternehmen gegründet, die ihre Märkte gefunden haben
und von denen etliche zu „Hidden Champions" aufgestiegen sind.
Dieser Weg der neuen Industrialisierung muss konsequent weiter beschritten
werden. Hierzu bedarf es einer ebenso dynamischen wie kreativen
Industriepolitik unter optimaler Nutzung der Forschungs- und
Wissenschaftseinrichtungen dieser Stadt. Dabei kommt die Innovationsstrategie
des Landes zum Tragen. Sie hat sechs Kompetenzfelder definiert: Biotechnologie,
Medizintechnik, Verkehr und Mobilität, Informations- und
Kommunikationstechnologien, Optische Technologien und Mikrosystemtechnik sowie
Energietechnik. Die Zukunftsindustrien dieser Stadt werden Green Economy,
Elektrische Mobilität („E-Mobility"), Gesundheitswirtschaft sowie die wissens-
und innovationsgetriebenen Informationstechnologie sein. Bei vielen
Industriebetrieben in Berlin handelt es sich bereits jetzt um Kompetenzzentren
von Konzernunternehmen. Wenn es um weitere Produktentwicklungen geht, muss
Berlin auch künftig in den Konzernentscheidungen eine herausragende Rolle
spielen.
Berlins industrielle Zukunft liegt jedoch nicht nur in Zukunftstechnologien,
sondern auch in Zukunftsorten. Technologieparks wie Adlershof und Buch
beweisen, dass es möglich ist, im unmittelbaren Umfeld der Wissenschaft neue
Industrien aufzubauen, wo aus dem „Rohstoff Wissen" Produkte hergestellt
werden. Industrielle Räume können auch in Charlottenburg, rund um den Campus
von Technischer Universität und Universität der Künste entstehen, außerdem in
Tempelhof, in Marzahn oder auf dem Gelände des Flughafens Tegel nach dessen
Schließung. An Orten wie diesen müssen Wissenschafts-, Stadtentwicklungs- und
Wirtschaftspolitik gemeinsam die Voraussetzungen dafür schaffen, dass
industrielle Arbeitsplätze entstehen. Diese Zukunftsorte bedürfen kompetenter
Kümmerer-Strukturen, die von politisch höchster Stelle aus gesteuert werden.
Idee der Reihe: Hauptstadt im Gespräch
Im Zentrum der Reihe „Berliner Ideenkonferenz" steht die Frage: In was für
einen Stadt wollen wir in Zukunft eigentlich leben? Es geht nicht darum, sofort
und auf der Stelle eine Antwort zu geben, sondern die Berlinerinnen und
Berliner zu fragen, welche Anforderungen und welche Erwartungen sie haben für
die Zukunft Berlins. Wie kann sich Berlin weiterentwickeln im nun beginnenden
dritten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung?
Berlin ist eine bunte, lebenswerte Stadt geworden. Sie hat sich in den letzten
zwei Jahrzehnten, seit sie wieder eine ungeteilte Stadt ist, zu einer Metropole
entwickelt, die viele Menschen aus Deutschland, Europa und der ganzen Welt
hierher lockt. Die Stadt ist nach der Wende zusammengewachsen, wenn auch unter
manchen Schmerzen. Es waren harte Reformarbeit, notwendige Sanierungsarbeiten
und der Abschied von alt hergebrachten Mentalitäten, mit denen der Senat die
Stadt aus dem Dornröschenschlaf der 90er Jahre geführt hat. Die Berliner SPD und
der rot-rote Senat haben konsequent Wissenschaft und Forschung, Bildung und
Kultur, aber auch den Wirtschaftsstandort Berlin gefördert. Berlin ist zum
kulturellen, sozialen und politischen Zentrum Deutschland geworden und beliebt
wie keine zweite Stadt innerhalb Deutschlands.
Berlin gönnt sich Weltoffenheit, Modernität und vielfältige Lebensstile.
Menschen verschiedenster Herkunft leben hier miteinander. Das heißt auch: Es
gibt Unterschiede - soziale, kulturelle und natürlich wirtschaftliche. Berlin ist
wie viele Metropolen bedroht von sozialer Spaltung. Dieses Problem erfordert
eine Antwort von Seite der Politik. Die SPD möchte diese Antwort mit den
Bürgern und Bürgerinnen gemeinsam entwickeln.
Politik braucht das Gespräch mit den Bürgern, weil sie immer wieder neue
Impulse braucht. Politik muss neue Ideen und Anregungen aus der Gesellschaft
aufnehmen und bearbeiten. Deswegen heißt die Leitidee für das Jahr 2010
„Hauptstadt im Gespräch". Die SPD will mit Berlin im Gespräch sein, zu hören
und offen sein für Anregungen. Auf dem Weg zu einer solidarischen Stadt kann
Politik Impulse aufnehmen und selbst Impulse geben für gesellschaftlichen
Fortschritt und soziale Gerechtigkeit in Berlin.
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