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Vom Schweigen in der Stadt

30.04.2014

Vom Schweigen in der Stadt

Kommentar: Das doppelte Kommunikationsdesaster der Berliner Stiftungswoche

So genannte "Realexperimente" sind derzeit in Mode, vor allem im Transformations-Bereich, also dort, wo etwas verändert, transformiert werden soll. Realexperimentatoren sind nicht im Labor anzutreffen, sondern im realen Leben. Dort wird quasi die Versuchsanordnung aufgebaut und man schaut zu, was dann passiert.

Ich habe die 5. Berliner Stiftungswoche ("Vom Leben in der Stadt") als mein eigenes Realexperiment benutzt. Mich interessierte als Journalist vor allem die Frage, was passiert, wenn die Stiftungswoche neben ihrer bekannten, selbstinszenierten Stiftungs-PR auf unabhängigen Journalismus trifft. Welchen Recherche- und Darstellungs-Konditionalitäten begegnet man, wie lässt sich damit umgehen? Wie wird die Information aufgenommen und weitergegeben? Lassen sich neue Ansätze für Stiftungsjournalismus und Journalismus-Stiftungen erkennen?

Hier die Ergebnisse in journalistischem Format:

Harald Welzers Berliner Stiftungsrede
Die Thinkfarm zeigte den Film "Voices of Transition"
"Zukunftsmodell klimafreundliche Stadt" im Allianz Forum
Vereine als Rückgrat der Zivilgesellschaft
Stiftungssonntag zeigte die Baufortschritte am Holzmarkt
Die Heinrich Böll-Stiftung suchte nach der "grünen Erzählung"
Socialbar präsentiert interaktive Veranstaltungsformate
DIFU-Expertenrunde zum Bürgerengagement


In einer Analyse lässt sich der Befund meines zehntägigen Experiments sich in drei Punkten zusammenfassen:

1. Stiftungsjournalismus ist möglich und gerade in Berlin kann er thematisch ausgesprochen vielfältig sein. In der Stiftungswoche gab es (für den InnoMonitor) keinerlei Probleme bei der journalistischen Produktion der Artikel.
2. Das real existierende Mediensystem Berlins hat die Stiftungswoche praktisch komplett ignoriert. Dieses System ist in seiner heutigen Verfasstheit nicht in der Lage, bestimmte gesellschaftliche Zustände und Optionen abzubilden. Dieses Medienversagen ist eine große Belastung für die Entwicklung Berlins und muss als Problem wahrgenommen und angepackt werden. Das ist auch die Chance für neue mediale Ansätze.
3. Innerhalb des Stiftungs-Netzwerks findet keine inhaltlich ausgerichtete Kommunikation statt. Keine die nach innen wirkt, indem sie durch Informationsaustausch zur Verbesserung der einzelnen Stiftungen beiträgt. Und auch keine, die vorhandene Kommunikationsmittel nutzt, um - zur Überwindung des Medienversagens - die Gesellschaft auf anderen Wegen mit ihren Inhalten zu erreichen.

Soweit das Experiment-Ergebnis in Abstract-Form. (Das muss nun mit Fakten und Begründungen unterlegt werden.)

Geballter Elan von engagierten Menschen

Ad 1. Von den 111 angebotenen Veranstaltungen nahm InnoMonitor zehn wahr. Eine gemischte Sammlung, eben der Stiftungswoche entsprechend, die große wie kleine Stiftungen aufbot, aus allen Bereichen. (Schade, dass die Technologiestiftung nicht dabei war. Über sie schreibe ich besonders gerne). Der Zugang zu den Veranstaltungen war kein Problem. Wo ich Fragen hatte, wurden sie gut beantwortet. Die Darstellung der Themen war in Ordnung. Manchmal, etwa bei der Vorstellung der Holzmarkt-Projekte, war es richtig spannend. In Diskussionen gab es zuweilen Längen, aber das nimmt sich nichts. In diesem Bereich, der Inhalts-Genese, ist von mir aus nichts zu beanstanden. (Höchstens, dass es zu viele Termine in gedrängter Zeit waren. Aber das ist ja das Modell). Kurzum: Wer als Journalist über die Stiftungswoche schreiben wollte, konnte dies sehr gut tun. Es gab vielfach auch die Möglichkeit, die Geschichten zu personalisieren. Denn in der Mehrzahl der Fälle kam neben den Fakteninfos auch das subjektive Engagement der Akteure spürbar rüber. Dieser geballte Elan der Menschen hat mich in dieser Woche sehr beeindruckt. Das gibt mir auch die Hoffnung, dass sich in den Punkten 2. und 3. etwas verändern lässt.

Das Medien-Versagen: Kein Ausrutscher, sondern Systemfehler

Ad 2. Dass von den Berliner Zeitungen - sieben Stück gibt es mit Voll-Redaktionen - keine einzige nicht mal eine rudimentäre Berichterstattung über die Stiftungswoche und einzelne ihrer Veranstaltung abgeliefert hat, halte ich für einen medialen Skandal. Der Begriff klingt an dieser Stelle deplatziert, weil sich alle in Berlin längst an diesen Zustand der Unnormalität der Medienrealität gewöhnt haben. In der Pressekonferenz zum Auftakt saßen gerade mal zwei Journalisten, einer davon hat in der BM einen Vorbericht gebracht. Klassicher Verlautbarungsjournalismus, denn zu den Veranstaltungen ist dann kein Journalist auch von dieser Zeitung nicht gegangen. Normal wäre gewesen, dass mindestens zwei Blätter einen Bericht über den Welzer-Vortrag gebracht hätten, etwa die taz, die selbst Mit-Teilnehmer der Stiftungswoche war (Redaktionsbesuch), es aber selbst nicht schaffte, nur einen einzigen Artikel in ihren zehn Ausgaben während der Woche unterzubringen. Normal wäre gewesen, wenn drei andere Zeitungen einen oder mehrere Beiträge gebracht hätten: Stoff gab es nun wirklich genug. Ob politisch, wie die Selbstkritik der Grünen bei Böll oder echte Stadtentwicklungs-Neuigkeiten wie vom Holzmarkt. Aber keine einzige Redaktion (immerhin war der RBB für einen Minuten-Spot beim Radialsystem) hielt es für wert, einen ihrer mehrere hundert Redakteure oder Mitarbeiter für eine oder zwei Stunden zur Stiftungswoche abzuordnen.

Stiftungstag im Radialsystem: Künstliche Alterung (MR)

Was ist der Grund dafür? Es gibt offenbar einen Comment im Berliner Mediensystem - ob auf der Anbieter-Ebene der Fachredakteure oder auf der Entscheidungsebene der Ressortleiter bzw. Chefredakteure - dergestalt, dass es sich bei der Berliner Stiftungswoche um eine irrelevante Veranstaltung handelte, über die keine Berichterstattung lohnte. Die Angebote der Stiftungswoche seien für die Leser der jeweiligen Zeitungen nicht interessant. Diese Antwort würde man wahrscheinlich bekommen, wenn man bei den Redaktionen nachfragt. (Eine andere Antwort wäre: Wir machen doch eh schon genug, Engagementseiten rauf und runter, da müssen wir nicht zu solchen Terminen gehen. - Bei diesem Argument geht es bereits um die Ausrichtung journalistischen Arbeitens: Magazin- und Kampagnen-Journalismus versus Augenzeugen-/Vor Ort-Journalismus. Mehr dazu in meinem Bericht "Die 112. Veranstaltung", MR)

Da es sich aber nicht um einen Einmal-Ausrutscher handelt (wie etwa beim Stadtforum von Senator Müller am 7.4., über das auch keine Zeitung berichtete, weil sich alle auf den Oranienplatz stürzen mussten), sondern um die kollektive und langdauernde Wahrnehmungs-Verweigerung von über 100 Themenangeboten, haben wir es hier mit einem System-Defekt zu tun. Das Berliner Mediensystem ist nicht (und ich füge hinzu: immer weniger) in der Lage, bestimmte Bereiche der Berliner Gesellschaft und den sozialen Entwicklungen journalistisch wiederzuspiegeln.
Das ist ein Kommunikationsdesaster erster Güte. In diesem Fall hat es das Stiftungswesen in Berlin getroffen.

Von der Statik zur Dynamik: Wenn Leser abwandern

Neben der Frage, was berichtet wird, ist von Bedeutung, für wen dies geschieht. Schließlich handelt es sich bei den Zeitungen um wirtschaftliche Unternehmen, die sich zum nennenswerten Teil aus einer zahlenden Leserschaft finanzieren. Die Berliner Stiftungen, ihre Mitglieder und Engagierte, scheinen offenbar nicht (mehr) zu dieser Leser-Zielgruppe zu gehören. Das hört sich bei dem großen Publikumszuspruch, die die Veranstaltungen der Stiftungswoche vor Ort gefunden haben (Bilanzzahl reiche ich noch nach), zunächst überraschend an. Aber das mediale Echo ist eindeutig: Stiftungswoche ist in der Hauptstadt Deutschlands kein Presse-Thema.

Interessant wird es, wenn dieser Sachverhalt nicht statisch bleibt, sondern eine Dynamik erfährt: Wenn dem "Nein" der Berliner Zeitungen zu den Stiftungen ein "Nein" der stiftungs-affiliierten Leser- und Aboschaft gegenüber den Zeitungen nachfolgt. Eine solche Leser-Wanderung braucht allerdings Alternativen im lokalen Informationsangebot. Das könnte auch ein Zukunftsthema für Stiftungen werden. (Siehe 3.)

Webseiten für Analphabeten

Ad 3: Eine Experimental-Erwartung von mir war: Wenn die journalistischen Geschichten von InnoMonitor in der Welt sind (und bei der Suche in Google-News nach "Stiftungswoche" tauchen sie alle auf und bilden dort die Majorität der Treffer), dann werden sie von der Dachorganisation und einzelnen Stiftungen an ihre jeweiligen Mitglieder und Sympathisanten weiter verbreitet. So ist es aber nicht gekommen. Auf der Facebook-Seite der Stiftungswoche wurden zwar jede Menge Fotos von einzelnen Events gepostet, aber keine Links zu inhaltlichen Berichten (in diesem Fall von InnoMonitor) geschaltet. Eine absichtliche Verweigerung der Erweiterung des Informationshorizontes? Um lieber eine Foto-Seite für Analphabeten anzubieten? Jedenfalls eine ziemliche Unternutzung der Möglichkeiten des Internet.

Der Selektions-Filter (wie er auch in Punkt 2. eine Rolle zuungunsten der Stiftungen spielt) schlägt auch auf der Internet-Seite der Stiftungswoche voll zu: In der Rubrik "Medienecho" (http://www.berlinerstiftungswoche.eu/node/787) wird eine "Auswahl" von vier Medien angeführt: BM, TSP, Berliner Woche und RBB. Die intensive Berichterstattung des InnoMonitor wird nicht erwähnt und nicht verlinkt. Das kann durchaus als eine redaktionelle Entscheidung gewertet werden (im Sinne von: "diese Berichte sind irrelevant und für die Besucher unserer Webseite ohne Bedeutung". Was sie aber faktisch nicht sind, MR). Ein weiteres Kommunikationsdesaster, wenngleich kleineren Umfangs.

Stiftungsjournalismus als mediale Innovation

Was aber noch schwerer wiegt als diese Behandlung des InnoMonitors, ist das Fehlen eigener Berichterstattung aus den Stiftungen über die Woche. Und dies auch in einer dichten Vernetzung untereinander. Erster Ort einer solchen News-Aggregation wäre die Webseite der Stiftungswoche. Dort finden sich aber keine aktuellen Meldungen. (Über die Webseiten der einzelnen Stiftungen muß ich noch gehen, aber das ist zeitintensiv. In Vorbereitung meines kommenden "StiftungsMonitors" mache ich das aber).

An dieser Stelle lässt sich m.E. am meisten hebeln: Die Berliner Stiftungen müssen ins neue Informationszeitalter geholt werden. Vorbei die klassische Öffentlichkeitsarbeit in Zielrichtung Alt-Medien, die dafür kein Interesse und keine Wahrnehmung mehr aufbringen. Sondern stattdessen Aufbau autonomer bürgerschaftlicher Informations-Netzwerke, und zwar mit journalistischem Charakter und keine PR-Megaphone. Also Stiftungsjournalismus als mediale Innovation - so etwas kann eigentlich nur aus Berlin kommen. Zugleich sollte mehr in Richtung Journalismus-Stiftungen unternommen werden, denn daran fehlt es auch in Berlin.

Zum Schluß ein Wort zur Perspektive. Auf Grund der beschriebenen Erfahrungen hat sich InnoMonitor entschlossen, das Realexperiment fortzusetzen. Wir wollen künftig auch jenseits der Clusterung in der Stiftungswoche regelmäßig (als "StiftungsMonitor") über die Arbeit der Berliner Stiftungen berichten. Für einen Journalismus mit gesellschaftlicher Intention (diese Intention ist eine andere Öffentlichkeit, Medien als Teil der res publica, der Reflektion und Diskussion der Gesellschaft über sich selbst, und nicht als privatwirtschaftliche Renditeunternehmen, das hier nur als Merkposten, MR) ist das ein äußerst spannendes Themenfeld. Zugleich sehen wir auch die Notwendigkeit, dass sich hier etwas ändert. Über das Schweigen in der Stadt muss gesprochen werden.

Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg

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Die Berichte von InnoMonitor über die Berliner Stiftungswoche 2014:

11.04.2014 - Stimmen des Wandels - Stiftungswoche: Die Thinkfarm zeigte den Film "Voices of Transition"
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3718

10.04.2014 - Die Umwelt braucht Kümmerer - Stiftungswoche: "Zukunftsmodell klimafreundliche Stadt" im Allianz Forum
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3716

09.04.2014 - Vereine als Rückgrat der Zivilgesellschaft - Konferenz über die Rolle der Kommunen im Rahmen der Berliner Stiftungswoche
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3714

07.04.2014 - Tomaten aus dem Ding-Dong-Dom - Stiftungssonntag zeigte die Baufortschritte am Holzmarkt
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3713

06.04.2014 - Alter Wein, neuer Schlauch - Stiftungswoche: Die Heinrich Böll-Stiftung suchte nach der "grünen Erzählung"
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3711

05.04.2014 - TED-Weltgipfel kommt nach Berlin - Stiftungswoche: Socialbar präsentiert interaktive Veranstaltungsformate

http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3710

04.04.2014 - Aktion direkt: Neuer Trend im Bürgerengagement - DIFU-Expertenrunde im Rahmen der Berliner Stiftungswoche
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3709

03.04.2014 - Erste Metropole ohne Flughafen - Holprig gelandet: Harald Welzers Berliner Stiftungsrede
http://www.innomonitor.de/index.php?id=132&be=3708

 

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http://www.berlinerstiftungswoche.eu/sites/default/files/Programmheft_5%20Berliner%20Stiftungswoche.pdf


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Hier hatte ich mich schon im jahr zuvor echauffiert, Anlass war eine unberichtete Veranstaltung der Stiftung Zukunft Berlin, und hatte dort auch schon perspektivische Vorschläge gemacht:

https://www.facebook.com/manfred.ronzheimer/posts/518245781560809

Qualitätsjournalismus als Bürgerprojekt

 

 

ZN10052r

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