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Bürgerwissenschaft in der Nische

19.06.2014

 


In Potsdam wollen die deutschen Wissenschaftsläden einen neuen Aufbruch versuchen 

 

Ihr Anspruch war groß: Wissenschaftsläden wollten eine Brücke bauen zwischen der Gesellschaft und den Hochschulen und Forschungslabors. Davon ist in  Deutschland nicht viel übrig geblieben. Während neue Ansätze der „Bürgerwissenschaft" (Citizen Science) einen Aufschwung erleben, fristet das knappe Dutzend der deutschen Wissenschaftsläden ein Nischendasein. Jetzt kommt ein Schub aus dem Osten. In Potsdam beginnt heute das seit langer Zeit  erste Treffen von Wissenschaftsläden im deutschsprachigen Raum. Das Motto der Tagung: „Kennenlernen, Erfahrungen tauschen, Pläne schmieden".

 

Bei dem Treffen im Wissenschaftsladen Potsdam stellen unter anderem die beiden Berliner Projekte „kubus" von der TU Berlin und „basis.wissen.schafft" vom Tempelhofer Feld, die  Wissenschaftsläden in Wien und in Zittau sowie der Science Shop in Vechta ihre aktuelle Arbeit vor.  Auf der Tagesordnung steht auch die Gründung neuer Wissenschaftsläden und „Anlaufstellen zivilgesellschaftlichen Engagements in der Wissenschaft" (AZEW), wozu etwa FabLabs, Fabrikationslabore für 3-D-Druckerei,  gehören. 

 

„Wir wollen dabei auch über unser Selbstverständnis diskutieren, unser Mission Statement", sagt Mario Parade vom gastgebenden Wissenschaftsladen Potsdam. Den gibt es seit drei Jahren als gemeinnützigen Verein, finanziert aus Spenden und Projektmitteln. Damit werden regelmässige „Repair Cafes" organisiert,  Schulprojekte mit Schwerpunkt einer alternativen MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und seit neuestem auch das hochtechnologische Fablab „machBar" als „kreative Orte des Selbermachens". Fab Labs boomen derzeit in Deutschland. 40 bis 50 gibt es mittlerweile. Sie sehen sich als Teil der „Maker-Bewegung", die vor allem die Technologie des 3-D-Drucks zur Herstellung eigener Produkte nutzt. Anspruch des Potsdamer Wissenschaftsladen ist es, „gesellschaftsrelevante Themen wie Re-, Up- und Downcycling, Stadtökologie, Konsum, Ressourcenverbrauch, Lebensstile- und Lebensformen, Produktionsprozesse, Open Source, Open Science, politische Partizipation und herrschaftsfreie Organisationsformen im Werkstattkontext zu und Konzepte zu entwickeln".

Ähnlich sieht es Frank Becker, wenngleich mit einem anderen historischen Hintergrund. Becker leitet seit 12 Jahren den Wissenschaftsladen „kubus" an der Technischen Universität Berlin, einem der erfolgreichsten Einrichtungen in der Szene. „Wissenschaftsläden entstanden aus der Anti-AKW Bewegung, der kritischen Wissenschaft und hatten prinzipiell einen demokratisch-gesellschaftsbezogenen  und auch wissenschaftskritischen Ansatz", erklärt er. „Sie sind transdisziplinär, das heißt auf gleichberechtigte Teilhabe der Zivilgesellschaft ausgerichtet, auch was die Formulierung der Forschungsfragen und die Analyse der Ergebnisse anbelangt". Neue Bewegungen wie Citizen Science haben für Becker diese kritische Rahmung noch nicht erreicht.

Anders als die meisten anderen Wisenschaftsläden in Deutschland , aber ähnlich wie in den Niederlanden, hat „kubus" eine Basisfinanzierung durch die Hochschule, mit der zwei wissenschaftlicher Mitarbeiter und zwei Studenten-Stellen bezahlt werden können. Hinzu kommen Stellen aus befristeten Projektmitteln, bis April waren das drei weitere.

Zu den Erfolgen von „Kubus" zählt  Becker die „Begleitung der Bürgerinitiative für den Erhalt der Bäume am Landwehrkanal" mit wissenschaftlicher Unterstützung. Wirkung hatte auch das  Engagement im Recycling-Bereich: „Ausgehend von unserm  Re-Use Computer Projekt (2001 bis 2005) gehört kubus heute in Deutschland zu den Einrichtungen, die in Fragen von Wieder- und Weiterverwendung gehört werden".

Auch Norbert Steinhaus vom Wissenschaftsladen Bonn gehört zu den „Altgedienten". Er kann sich noch an die 80er Jahre erinnern, als es in Deutschland  25 bis 30 Wissenschaftsläden gab. Die heutige Liste ist bedeutend kürzer: Hannover, Dortmund, Tübingen gehören noch dazu. München, Gießen und Kiel sind in  den letzten Jahren wieder verschwunden. „Die Wissenschaft muss sich den Bürgern öffnen, war damals das Ziel", sagt Steinhaus. „Das hat nicht geklappt, denn eine Institutionalisierung der Wissenschaftsläden ist in Deutschland nicht erreicht worden."

Durch erfolgreiches Management ist es dem außeruniversitären Wissenschaftsladen in Bonn immerhin gelungen, heute 30 Mitarbeiter in  10 Projekten zu beschäftigen, darunter Bildungsdienstleistung und auch die Herausgabe einer  Zeitung mit Stellenangeboten.

Bonn ist auch der Brückenkopf für die europäische Szene der Wissenschaftsläden. Vor zwei Jahren organisierte Steinhaus die internationale „Living Knowledge"-Konferenz  am Rhein. „Wissenschaftsläden gibt es in vielen europäischen Ländern, in sehr unterschiedlichen Trägerformen". Neben Holland, dem Ursprungsland der „Wetenschapswinkel" ist die Szene auch in Großbritannien weit entwickelt, durch ein stärkeres „Public Engagement" der britischen Hochschulen.

Graswurzel-Ansätze, die von unten nach oben wachsen wollen, habe es weiter schwer. Diese Erfahrung machte auch Katrin Schwahlen, die mit ihrer Gruppe „basis.wissen.schafft" drei Jahre lang einen „Wissenscontainer" auf dem Tempelhofer Feld des ehemaligen Berliner Zentralflughafens betrieb. „Wir wollten mit unserm Angebot die anderen Pionierprojekte in Tempelhof mit Wissen versorgen", berichtet  Schwahlen. Etwa die Urban Gardening-Aktivisten mit Erkenntnissen der ökologischen Agrarforschung, oder Solartechniken zur autonomen Energievesorgung. „Das hat aber in dieser Form nicht geklappt", muss die Container-Frau rückblickend bilanzieren. Die Aufarbeitung der Wissensbestände durch den kleinen gemeinnützigen Verein war zu aufwendig. Hinzu kam die Kündigung des Wissenscontainers durch das Tempelhofer Standort-Management zum Jahresende. Von daher hat Katrin Schwahlen,  die durch ein kleines Netzwerk (wissnet) das Potsdamer Treffen mit angestossen hat, hohe Erwartungen an die Zusammenkunft. 

 

 

 


In Potsdam wollen die deutschen Wissenschaftsläden einen neuen Aufbruch versuchen 

 

Ihr Anspruch war groß: Wissenschaftsläden wollten eine Brücke bauen zwischen der Gesellschaft und den Hochschulen und Forschungslabors. Davon ist in  Deutschland nicht viel übrig geblieben. Während neue Ansätze der „Bürgerwissenschaft" (Citizen Science) einen Aufschwung erleben, fristet das knappe Dutzend der deutschen Wissenschaftsläden ein Nischendasein. Jetzt kommt ein Schub aus dem Osten. In Potsdam beginnt heute das seit langer Zeit  erste Treffen von Wissenschaftsläden im deutschsprachigen Raum. Das Motto der Tagung: „Kennenlernen, Erfahrungen tauschen, Pläne schmieden".

 

Bei dem Treffen im Wissenschaftsladen Potsdam stellen unter anderem die beiden Berliner Projekte „kubus" von der TU Berlin und „basis.wissen.schafft" vom Tempelhofer Feld, die  Wissenschaftsläden in Wien und in Zittau sowie der Science Shop in Vechta ihre aktuelle Arbeit vor.  Auf der Tagesordnung steht auch die Gründung neuer Wissenschaftsläden und „Anlaufstellen zivilgesellschaftlichen Engagements in der Wissenschaft" (AZEW), wozu etwa FabLabs, Fabrikationslabore für 3-D-Druckerei,  gehören. 

 

„Wir wollen dabei auch über unser Selbstverständnis diskutieren, unser Mission Statement", sagt Mario Parade vom gastgebenden Wissenschaftsladen Potsdam. Den gibt es seit drei Jahren als gemeinnützigen Verein, finanziert aus Spenden und Projektmitteln. Damit werden regelmässige „Repair Cafes" organisiert,  Schulprojekte mit Schwerpunkt einer alternativen MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) und seit neuestem auch das hochtechnologische Fablab „machBar" als „kreative Orte des Selbermachens". Fab Labs boomen derzeit in Deutschland. 40 bis 50 gibt es mittlerweile. Sie sehen sich als Teil der „Maker-Bewegung", die vor allem die Technologie des 3-D-Drucks zur Herstellung eigener Produkte nutzt. Anspruch des Potsdamer Wissenschaftsladen ist es, „gesellschaftsrelevante Themen wie Re-, Up- und Downcycling, Stadtökologie, Konsum, Ressourcenverbrauch, Lebensstile- und Lebensformen, Produktionsprozesse, Open Source, Open Science, politische Partizipation und herrschaftsfreie Organisationsformen im Werkstattkontext zu und Konzepte zu entwickeln".

Ähnlich sieht es Frank Becker, wenngleich mit einem anderen historischen Hintergrund. Becker leitet seit 12 Jahren den Wissenschaftsladen „kubus" an der Technischen Universität Berlin, einem der erfolgreichsten Einrichtungen in der Szene. „Wissenschaftsläden entstanden aus der Anti-AKW Bewegung, der kritischen Wissenschaft und hatten prinzipiell einen demokratisch-gesellschaftsbezogenen  und auch wissenschaftskritischen Ansatz", erklärt er. „Sie sind transdisziplinär, das heißt auf gleichberechtigte Teilhabe der Zivilgesellschaft ausgerichtet, auch was die Formulierung der Forschungsfragen und die Analyse der Ergebnisse anbelangt". Neue Bewegungen wie Citizen Science haben für Becker diese kritische Rahmung noch nicht erreicht.

Anders als die meisten anderen Wisenschaftsläden in Deutschland , aber ähnlich wie in den Niederlanden, hat „kubus" eine Basisfinanzierung durch die Hochschule, mit der zwei wissenschaftlicher Mitarbeiter und zwei Studenten-Stellen bezahlt werden können. Hinzu kommen Stellen aus befristeten Projektmitteln, bis April waren das drei weitere.

Zu den Erfolgen von „Kubus" zählt  Becker die „Begleitung der Bürgerinitiative für den Erhalt der Bäume am Landwehrkanal" mit wissenschaftlicher Unterstützung. Wirkung hatte auch das  Engagement im Recycling-Bereich: „Ausgehend von unserm  Re-Use Computer Projekt (2001 bis 2005) gehört kubus heute in Deutschland zu den Einrichtungen, die in Fragen von Wieder- und Weiterverwendung gehört werden".

Auch Norbert Steinhaus vom Wissenschaftsladen Bonn gehört zu den „Altgedienten". Er kann sich noch an die 80er Jahre erinnern, als es in Deutschland  25 bis 30 Wissenschaftsläden gab. Die heutige Liste ist bedeutend kürzer: Hannover, Dortmund, Tübingen gehören noch dazu. München, Gießen und Kiel sind in  den letzten Jahren wieder verschwunden. „Die Wissenschaft muss sich den Bürgern öffnen, war damals das Ziel", sagt Steinhaus. „Das hat nicht geklappt, denn eine Institutionalisierung der Wissenschaftsläden ist in Deutschland nicht erreicht worden."

Durch erfolgreiches Management ist es dem außeruniversitären Wissenschaftsladen in Bonn immerhin gelungen, heute 30 Mitarbeiter in  10 Projekten zu beschäftigen, darunter Bildungsdienstleistung und auch die Herausgabe einer  Zeitung mit Stellenangeboten.

Bonn ist auch der Brückenkopf für die europäische Szene der Wissenschaftsläden. Vor zwei Jahren organisierte Steinhaus die internationale „Living Knowledge"-Konferenz  am Rhein. „Wissenschaftsläden gibt es in vielen europäischen Ländern, in sehr unterschiedlichen Trägerformen". Neben Holland, dem Ursprungsland der „Wetenschapswinkel" ist die Szene auch in Großbritannien weit entwickelt, durch ein stärkeres „Public Engagement" der britischen Hochschulen.

Graswurzel-Ansätze, die von unten nach oben wachsen wollen, habe es weiter schwer. Diese Erfahrung machte auch Katrin Schwahlen, die mit ihrer Gruppe „basis.wissen.schafft" drei Jahre lang einen „Wissenscontainer" auf dem Tempelhofer Feld des ehemaligen Berliner Zentralflughafens betrieb. „Wir wollten mit unserm Angebot die anderen Pionierprojekte in Tempelhof mit Wissen versorgen", berichtet  Schwahlen. Etwa die Urban Gardening-Aktivisten mit Erkenntnissen der ökologischen Agrarforschung, oder Solartechniken zur autonomen Energievesorgung. „Das hat aber in dieser Form nicht geklappt", muss die Container-Frau rückblickend bilanzieren. Die Aufarbeitung der Wissensbestände durch den kleinen gemeinnützigen Verein war zu aufwendig. Hinzu kam die Kündigung des Wissenscontainers durch das Tempelhofer Standort-Management zum Jahresende. Von daher hat Katrin Schwahlen,  die durch ein kleines Netzwerk (wissnet) das Potsdamer Treffen mit angestossen hat, hohe Erwartungen an die Zusammenkunft. 

ZN10138e 

 

 

 

 

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