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"Tausche Krise gegen Stadt"

16.08.2014

"Tausche Krise gegen Stadt"

We-Traders: Ausstellung des Goethe-Instituts über europäische Stadtveränderer in Kreuzberg

Die Ausstellung zeigt 24 Initiativen aus 5 Städten, 4 Manifeste, 9 Expertendiagnosen zur Krise und lädt die Besucher in Do-it-yourself Statistiken ein, eigene Diagnosen abzugeben. Zahlreiche lokale Berliner Initiativen und Akteure bereichern das umfangreiche Veranstaltungsprogramm

Tausche Bürokratie gegen Eigeninitiative
Tausche Industriebrache gegen Gemüsebeet
Tausche Kunst gegen Kontext
Tausche Investorenruine gegen Experimentierfeld
Tausche Wegwerfen gegen Wiederverwenden
Tausche Zuschauen gegen Selbermachen
We-Traders tauschen Krise gegen Stadt.

Südeuropa in der Krise: Wer hilft? Die Bürger helfen sich selbst, packen an, handeln. In den Städten wächst aus dem Protest gegen die Finanz- und Wirtschaftskrise eine neue Kraft des Stadtwandels. Ihr Motto: "Tausche Krise gegen Stadt". Eine bemerkenswerte Ausstellung des Goethe-Instituts zeigt im Kreuzberger Kunstraum Bethanien noch bis zum Wochenende ( So, 17.8.) unter dem Titel "We-Traders" die Breite und Vielfalt einer neuen urbanen Veränderungsbewegung in Europa. Auch vier Berliner Beispiele sind darunter.

 

Foto: Woher kommt Veränderung? Austellungsmacherin Rose Epple zeigt das Abstimmungsergebnis. MR

 

Wir, die Bürger, handeln jetzt, soll der Ausstellungstitel "We-Traders" zum Ausdruck bringen. "Das Neue an dieser Bewegung ist, dass die Zivilgesellschaft nicht länger auf eine Einladung zur Partizipation wartet, sondern von sich aus aktiv wird", erklärt Rose Epple, ein der beiden Kuratorinnen der Ausstellung, die in diesem Jahr durch die fünf europäischen Städte Madrid, Turin, Berlin, Lissabon und Toulouse wandert. Berlin ist die dritte Station. Zugleich hebt der Begriff "Trade" auf das Moment des Tauschens, des Austausch von Erfahrungen, ab. Urbane Veränderer in Europas Städten geben ihr Wissen untereinander weiter - eine kontinentale Lern-Werkstatt. "Wir experimentieren mit neuen Formen des Austausches", sagt Ausstellungsmacherin Epple. Eigentlich ist das Goethe-Institut für die Vermittlung der deutschen Kultur ins Ausland zuständig. "We-Traders" lässt sich auf einen anderen Transfer ein.

Die 24 Beispiele, die von den europäischen Büros des Goethe-Instituts zusammengetragen wurden, bieten eine große Bandbreite an Kreativität und bürgerschaftlichem Engagement. Als Bundeskanzlerin Merkel 2012 auf dem Höhepunkt der Euro-Krise die portugiesische Hauptstadt Lissabon besuchte, formierte sich dort nicht nur ein breiter Straßen-Protest gegen die deutsche Austeritätspolitik. Die Gruppe "O Espelho" (Der Spiegel) gab ihrer Kritik die Form einer Wandzeitung, die sie nachts an Zäune und Hauswände kleisterte. Ein altes Medium schafft eine neue kritische Öffentlichkeit. Eine Bauruine im Zentrum Madrids wurde von der Bürgerinitiative Campo de Cebada besetzt und in ein offenes Kulturzentrum verwandelt.

In Turin bringt die Gruppe "Il Piccolo Cinema" (Das kleine Kino) Filmemacher mit Bürgern zusammen, um crowd-finanzierte Dokumantarfilme zu drehen. Im südfranzösischen Toulouse verbindet das Kulturzentrum "Carrefour Culturel Arnaud Bernard" (CCAB) Kulturprogramme von Nachbarn für Nachbarn mit politischem Anspruch im Sinne einer echten "Polis" und mit internationaler Strahlkraft, wie etwa durch das Forum der Weltsprachen oder die "Sokratischen Gespräche".

Aus Berlin sind die Projekte Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld, "Rütli-Wear" mit seiner Siebdruck-Mode aus einer einstigen Problem-Schule, das Betahaus mit seiner Open-Design-Kreativwerkstatt und die Baugenossenschaft Möckernkiez vertreten. "Die ausländischen Teilnehmer haben großen Respekt vor unseren Berliner Projekten", sagt Frauke Hehl von der Urban Gardening-Initiative Allmende Kontor. In Sachen nachhaltiger Stadtwandel gilt Berlin derzeit europaweit als Hotspot und Trendsetter. Das bedeute aber auch, dass in den anderen Städten Europas den eigenen Change-Projekten "zu wenig Wertschätzung entgegen gebracht werden könnte", gibt Frauke Hehl zu bedenken. Die Berliner Projekte könnten ihrerseits von europäischen Tradern mitunter "Lektionen in Professionalität" lernen, findet die Allmende-Frau. Dies gelte vor allem bei der Überführung von lockeren Initiativen in dauerhafte Strukturen. Frauke Hehl: "Das Problem aller dieser bürgerschaftlichen Initiativen ist ihre Verstetigung". Deshalb gründet das Allmende Kontor jetzt auch einen eingetragenen Verein.

Seit der Eröffnung Anfang Juli hat die We-Traders- Ausstellung rund 5500 Besucher in das Bethanien-Kunsthaus gezogen. Kuratorin Rose Epple ist damit zufrieden: "Für eine urbanistische Ausstellung eine gute Zahl". Madrid hatte als erste Station 19.000 Besucher, was aber am zentralen Standort in der Innenstadt lag. Letzte Berliner Aktionen werden am Freitag ein "Design Thinking Workshop" sein, in dem "Lehren gegen Lernen" getauscht und "Krisenzerstäuber für Berlin" gebaut werden sollen. Am Sonntag Nachmittag ist "Finissage", unter anderem mit einem Siebdruck-Workshop von Rütlie-Wear. Hinweis der Veranstalter: "Gern eigene Sachen zum Bedrucken mitbringen!"

Manfred Ronzheimer

Der Text auf der Berliner Lokalseite der taz , 15.8.2014

Kosten: Eintritt frei!
Ort: Kreuzberg, Mariannenplatz 2, 10997 Berlin, im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

Alle Termine und mehr Informationen gibt es hier: www.goethe.de/ins/be/prj/wet/ver/de13014230.htm

 

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Aus der Ausstellungsbeschreibung der Kuratorinnen Angelika Fitz und Rose Epple:

"Eine Gruppe von Nachbarn verwandelt ein Stück Brachland in einen öffentlichen Raum. Kleingartenbesitzer öffnen ihre Parzellen für Jugendliche, die dort kleine Geschäftsideen testen können. Leistungsbezieher werden im Kollektiv zu Auftraggebern. In ganz Europa ergreifen Bürger die Initiative und werden Teil des Machens von Stadt. Wir nennen sie "We-Traders". Mit ihren Initiativen definieren sie die Beziehung zwischen Wert, Profit und Gemeinwohl neu und laden andere Bürger ein, es ihnen gleich zu tun. We-Traders produzieren eine große Bandbreite an Handlungsmöglichkeiten in urbanen Krisen, seien es ökonomische, soziale oder ökologische. Was diese We-Trades alle gemeinsam haben, ist, dass sie die Beziehung von Käufer und Verkäufer verflüssigen: Konsumenten werden zu Koproduzenten.
Das Projekt We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt vernetzt Initiativen von Künstlern, Designern, Aktivisten und vieler anderer Bürger aus fünf spezifischen europäischen Kontexten. In Lissabon, Madrid, Toulouse, Turin und Berlin zeigt die Krise unterschiedliche Gesichter, von leeren Kassen und sozialer Polarisierung bis zu einer schwachen Zivilgesellschaft durch exzessives Wachstum. We-Trades sind in diesen Krisenzeiten besonders interessant, weil Mitbestimmung hier zur Mitgestaltung wird. We-Traders erhöhen die ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit, denn wer aktiv in Entwicklung, Produktion und Tausch involviert ist, trägt Sorge für die Dinge.
We-Traders. Tausche Krise gegen Stadt schafft eine Wissens- und Produktionsplattform für aktuelle und zukünftige We-Trader. Welche Praktiken haben sich bewährt? Was lässt sich auf andere Kontexte übertragen? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen privaten Initiativen und öffentlichen Institutionen? Indem nicht nur die Initiativen, sondern auch die Menschen, die dahinter stehen, vorgestellt werden, möchten wir den Austausch von Erfahrungen intensivieren.
Von September 2013 bis Dezember 2014 laden wir ein, in interaktiven Foren, Workshops und Ausstellungen in Madrid, Turin, Berlin, Lissabon und Toulouse sowie Open Calls im Web, Teil der We-Traders-Plattform zu werden. Kommen Sie zu Veranstaltungen in Ihrer Stadt, entdecken Sie den wachsenden Infopool auf dieser Website, teilen Sie Ihre Erfahrungen und werden Sie ein We-Trader! "

Projektleitung: Goethe-Institut Brüssel, Susanne Höhn
Konzept und Künstlerische Leitung: Angelika Fitz (Wien) und Rose Epple (Berlin)

Ein kurzes Video über die Ausstellung, veröffentlicht auf Youtube am 23.07.2014
We-Traders. Swapping Crisis for City
Project by Goethe-Institut | Madrid, Turin, Berlin, Lisbon, Toulouse
Travelling exhibition and open calls - January to December 2014

Project website: https://www.goethe.de/wetraders

Hier der Blog zur Ausstellung
http://www.goethe.de/ins/be/prj/wet/blo/deindex.htm
Zur Halbzeit-Feier wird am 30. Juli 2014 vermerkt: "Seit der Eröffnung am 3. Juli im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien haben sich knapp 3.000 Besucher die We-Traders Ausstellung in Berlin angeschaut und an Aktivitäten wie Workshops, Panels und Konzerten teilgenommen! "

Allgemeine Informationen zum Projekt We-Traders
Allgemeine Presseinformation zu We-Traders (PDF, 200 KB)
Publikation WELTSTADT "We-Traders" (PDF, 2 MB)
Berlin 4.7.-17.8.2014
Pressemappe We-Traders Ausstellung Berlin (PDF, 1 MB)
Pressemitteilung 06.06.2014 - Eröffnung We-Traders Ausstellung Berlin (PDF, 190 KB)

Die "Berliner Zeitung" ist Medienpartner der We Traders-Ausstellung.
Sie brachte am 16.07.2014 diesen Bericht: Ressourcen durch Bioabfälle: Humus ist nicht unerschöpflich über die Berliner Gruppe "Die Boden schafft", die im Allemende-Garten auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof frische Gartenerde herstellt und das Verfahren auch in der Ausstellung in Kreuzberg vorführt.

Ansonsten hat es neben meinem taz-Artikel leider keine Presse-Berichterstattung über diese gute, weil transformatorische Ausstellung gegeben. Berlin hat hier ein Problem, das es zu lösen gilt.

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Ausgewählte Exponate

 

Lissabon: O Espelho O Espelho (Der Spiegel) ist eine urbane Wandzeitung, ein Denkanstoß und flüchtiges Angebot zur Reflektion und vor allem ein vorgehaltener Spiegel. Der Rückgriff auf dieses klassische Kommunikationsformat als Sprachrohr und Mittel zur Agitation sowie Instrumentalisierung des Stadtraums, ist Konsequenz und Reaktion einer Gruppe von Journalisten, Künstlern, Architekten, Schriftstellern, Fotografen - viele von Ihnen ohne Arbeit - auf die prekäre Situation und soziale Ungerechtigkeit als Folge der Wirtschaftskrise und Sparwut der Troika. Anlässlich des Portugalbesuchs von Angela Merkel im November 2012 erschien die erste Ausgabe des O Espelho, der seither immer anlässlich markanter Termine erscheint und sich durch Eigeninitiative, Crowd-funding und Abonnenten finanziert. In kritischen Essays, Grafiken, Illustrationen und Fotografien unternimmt die Redaktion eine kollektive Selbstreflexion und einen Aufruf an die Menschen des 21. Jahrhunderts innerhalb des Krisenstrudels. - Weitere Infos
(InnoMonitor möchte so etwas auch für Berlin realisieren. Wer macht mit?)

UN4881

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