Das tägliche Anthropozän
04.01.2015
Das tägliche Anthropozän
Die erste Wochen-Ausgabe - 01-2015
(1) Ein Editorial: Warum dieses
(2) taz-Sonderausgabe: „Wie andere die Welt sehen"
(3) Der Katalog zur Münchener Anthropozän-Ausstellung
(4) Die Schwachstellen des IASS Potsdam
Ein Editorial: Warum dieses
Das neue Jahr bringt eine kleine journalistische Innovation: „Das tägliche Anthropozän" (DTA), ein medientechnisch völlig unambitionierter Newsblog rund um das Thema der neuen sog. Menschenzeit.
(A) Der Anlass: Obwohl das Anthropozän allem Anschein nach ein relevantes, weil global-perspektivisches Thema darstellt, das darum gesellschaftlicher Diskussionen und Lösungsansätze bedarf, ist es in den deutschen Medien mit entsprechender Adäquanz noch nicht angekommen. Was ist der Grund dafür? Am Neuheits-Aspekt kann es nicht liegen, offenbar ist das Thema zu sperrig oder zu wenig skandalisierbar (Waldsterben, Klimakatastrophe). Im Gegenzug ist auch bei den Akteuren der derzeitigen Anthropozän-Community kein gesteigertes Interesse an Medien- und Gesellschaftswirkung feststellbar. Man gibt sich mit der (unter-) durchschnittlichen Berichterstattung über Konferenzen und Ausstellungen zufrieden. Es reicht der Community, wenn in ihrem derzeit kleinen Aktionsraum eine vernetzende Binnenkommunikation zustande kommt. Das war vor allem beim groß angelegten „Anthropozän-Projekt" im HKW Berlin zu spüren. Diese Situation wird aber so nicht durchhaltbar sein, weil das Thema von sich aus, aus eigenem Problemwachstum, an Gewicht gewinnen wird. Es kommt in Folge zu Veränderungen in beiden Richtungen: Ein Knacks in der Wahrnehmungs-Verweigerung der Medien (wozu als medial-journalistisches Produkt auch dieser Blog „Das tägliche Anthropozän" gehört); und ein Aufbrechen der bislang stark auf sich selbst bezogenen Szene-Kommunikation von Anthropozän-Wissenschaftlern und Künstlern, hin zu einer Kommunikation in die Gesellschaft und deren Einbeziehung. Die Ausstellung im Deutschen Museum in München wird ein wichtiger Prüfstein für diese These sein.
(B) Der Ansatz: DTA hat im Grunde - in seiner ersten Phase jedenfalls - nur eine Mission: Die Prinzipien journalistischen Arbeitens sollen an das Anthropozän-Thema herangetragen werden. Dabei sind vor allem zwei Prinzipien von herausragender Bedeutung: zeitliche Kontinuität und thematische Bandbreite. Das ist das Genom einer jeden Zeitung: sie erscheint täglich und behandelt Aktualitäten aus vielen Themenbereichen. Gerade der letzte Punkt ist eine besondere Herausforderung, da öffentliche Wortmeldungen zum Anthropozän momentan zu 90 Prozent aus der Wissenschaftsecke kommen, was eine sachliche Verengung darstellt. Aber journalistisch ist das zu bewältigen. Hinzu kommt für die praktische Umsetzung der komplette, gut ausgestatte Werkzeugkasten: die Vielfalt journalistischer Darstellungs- und Textformate. DTA ist ein Praxisprojekt des Transformationsjournalismus. - (1.1.2015 - auch hier zu lesen)
Manfred Ronzheimer
taz-Sonderausgabe: „Wie andere die Welt sehen"
Vorrede: Das Mediensystem wird eine ganz entscheidende Größe bei der Krisenbewältigung im Anthropozän und der Bewahrung humaner Zustände sein. Davon ist es derzeit weit entfernt und der Kurs der Mainstream-Medien läuft in die völlig verkehrte Richtung. Es braucht eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Anstrengung, hier eine Umkehr ("Medienwende") zu erreichen. Aber auch kleine Schritte sind von Relevanz. Dazu zählt der Perspektivwechsel im Kopf.
Die Berliner Tageszeitung taz hat ihre Silverster-/Neujahrsausgabe vom
31.12.2014/1.1.2015 einem solchen Perspektivwechsel komplett gewidmet. Statt wie
üblich, Tages-Neuigkeiten aus Deutschland und Europa zu sammeln und in der
nachrichten-armen Zeit zwischen den Jahren mit künstlicher Bedeutung
aufzublasen, haben sich die Genossenschafts-Redakteure für einen Tag aus dem
Heimat-Kontinent verabschiedet und die Brille zur Betrachtung des gesamten
Planeten aufgesetzt. Ein Probierstück von Journalismus im Maßstab des
Anthropozäns. „Vergeßt Europa!" titelt das Alternatv-Blatt, und begründet den
Perspektivenwechsel: „Das alte Europa erscheint allenfalls noch in Europa als
Zentrum. Die taz stellt die Welt auf die Füße. Mit Berichten, Analysen und
Reportagen aus Asien, Afrika und Lateinamerika". Die Begründung steht hier im Editorial von
Dominic Johnson: „Die ganze Welt wahrnehmen"
Titelseite:
Die
Print-Ausgabe hat 24 Seiten, vier Bücher, eines Berlin-Lokalteil. Hier
die Themen im Einzelnen
(2.1.2015 - auch
hier zu lesen
Der Katalog zur Münchener Anthropozän-Ausstellung
Zu jeder guten Ausstellung gehört ein Katalog, der die gezeigten Exponate dokumentiert. Auch zur Anthropozän-Ausstellung im Deutschen Museum ist ein Katalog erschienen, der aber auf die Auflistung der Schaustücke im Detail verzichtet bzw. nur eine Auswahl zeigt, und sich auf die Beschreibungen der Themen der Ausstellung in ihren sechs Platten konzentriert. (1) Man merkt, dass zur Verfertigung des Katalogs die Ausstellung noch nicht fertig war. Ist auch nicht so schlimm.
Seine Bedeutung bekommt der Band - 200 Seiten, hg. von Nina Möllers, Christian Schwägerl und Helmuth Trischler, der Ausstellungsmacherin, dem Journalisten und dem Wissenschaftler - durch den vorangestellten Essay-Teil von 100 Seiten. Unterschiedliche Fachautoren, viele aus dem RCC-Umfeld, geben fundierte Kurzbeschreibungen von einzelnen Facetten des Anthropozäns. Die Bandbreite reicht von Geologie und Klimaforschung, ein Crutzen-Interview darf nicht fehlen, über Technikhistorie, Posthumanismus und Naturschutz, Meere, Böden, Städte, Ressourcen, Ökonomie, Energie, Landwirtschaft, Gerechtigkeit bis hin zu Zukunftsforschung und Fragen musealer Darstellung.
Der Fingerabdruck
In der Verlagsbeschreibung (Eigenverlag des Deutschen Museums) heißt es: „Ob Landwirtschaft, Handel, Verkehr oder Urbanisierung: Seit es uns Menschen gibt, haben wir die Erde geprägt und verändert. Insbesondere seit der Industrialisierung hinterlassen wir einen unverwechselbaren und oft unwiderruflichen Fingerabdruck auf der Erde. Inzwischen ist dieser Abdruck so stark, dass Wissenschaft, Politik und Gesellschaft diskutieren, ob sich die vom Menschen initiierten Veränderungen in geologischer Form niederschlagen und so langfristig sind, dass wir bereits in einem neuen Erdzeitalter leben." (1) Der „Fingerandruck", das Plakatmotiv, findet hier Erwähnung.
Weiter führt der Verlagstext zum Inhalt des Bandes aus: „In fünf Teilen illustriert der Essayteil die Ideengeschichte des Anthropozäns, seine Phänomene und Auswirkungen, das Leben im Anthropozän sowie die Bedeutung des Konzeptes für Bildung, Forschung und Museum. Künstlerische und literarische Beiträge bieten einen neuen Blick auf das veränderte Verhältnis von Mensch und Natur, während ein „Making Of" die konzeptionelle und gestalterische Idee der Ausstellung erläutert."
Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit
Gut gefallen hat mir der Wirtschaftsbeitrag von Sukhdev/Sharma, zumal dieser Aspekt Ökonomie in der Ausstellung m.E. völlig unterwertig auftaucht. Sie streifen auch einen zentralen Kommunikationspunkt, der für DTA von großer Bedeutung ist. Im Katalog wird auf S 78 betont, dass sich "der Fokus der Zivilgesellschaft grundlegend verändern und die breite Öffentlichkeit aufgeklärt werden" muss. Dies sei jedoch noch nicht gegeben. "Die allgemeine Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit ist wahrscheinlich der Hauptgrund, warum die komplexen aber lösbaren Probleme von heute Gefahr laufen, die kritischsten Probleme von morgen zu verursachen: die Überschreitung der Grenzen der Erde, ohne wahre Lösungen in Sicht zu haben".
Auch wenn aus unserer Sicht das Niveau der Beiträge schwankt und einige der Aussagen Widerspruch herausfordern, ist der Ausstellungsband „Willkommen im Anthropozän!" mit seinem breiten Themenhorizont als der derzeit wichtigste und empfehlenswerte deutschsprachige Titel zum Anthropozän-Diskurs anzusehen. DTA wird darauf wiederholt zurückkommen. Ein Kompendium, dem gesellschaftliche Verbreitung zu wünschen ist. (Was soll man im Vergleich zur Abschlusspublikation des HKW-Projekts "Grain, Vapor, Ray" sagen? Gesellschaftlicher Gebrauchswert nahe null. Auch dieses wird DTA noch besprechen. In welch unterschiedliche Publikationsformate das Anthropozän doch münden kann...)
Manfred Ronzheimer - (3.1.2015 - auch hier zu lesen)
Hinweis auf diese Veranstaltung:
Führung
für Frauen am 14. Januar 2015, 10.00 Uhr Im Rahmen der Reihe
"Frauen Technik Wissen" führt Dr. Nina Möllers, die leitende Kuratorin der
Sonderausstellung Anthropozän, durch die Ausstellung. Frauen Technik Wissen ist
eine Führungsreihe für Frauen von Frauen. Kuratorinnen, Technikerinnen,
Wissenschaftlerinnen führen interessierte Frauen zu ausgewählten Themen durch
die Ausstellung des Deutschen Museums. Die Teilnahme an den Führungen ist
kostenlos.
Treffpunkt: Eingangshalle Deutsches Museum
Mehr
über diese Führung und Frauen Technik Wissen
Weitere Berichte zur Anthropozän-Ausstellung in München:
(4) Die
Kritik
(3) Der
Katalog
(2) Die
Ausstellung
(1) Die
Presseführung
Die Schwachstellen des IASS Potsdam
„Das IASS sieht sich als Vorreiter eines neuen Forschungsansatzes, der Gesellschaften in die Lage versetzt, den Herausforderungen des Anthropozäns nachhaltig zu begegnen." So steht es in der Begutachtung des Potsdamer Instituts durch den Wissenschaftsrat, das im Oktober 2014 vorgelegt wurde (Seite 24). Und der wichtige Anschlusssatz: „Als Mission der Einrichtung formuliert das IASS, transformatives Wissen für Wege in nachhaltige Gesellschaften zu entwickeln, dieses Wissen für den Transfer in die Gesellschaft aufzubereiten und Handlungsempfehlungen an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft abzuleiten."
Das Stichwort „Anthropozän" taucht in der WR-Stellungnahme lediglich fünf Mal auf, das ist nicht viel. Die Zahl verdeutlicht, dass zu diesem Thema im IASS noch nicht so viel passiert, gleichwohl aber der WR auch von seiner Seite nicht den größten Nachholbedarf sieht. Den Wissenschaftsprüfern geht es vor allem um ökologische Nachhaltigkeitsforschung und Transformations- und Transferaktivitäten in Richtung Gesellschaft/Politik (siehe Zitate-Liste hier)
Problem Pfadabhängigkeit
„Kurskorrekturen werden für zwingend notwendig erachtet", heißt es in der
Evaluation der Wissenschaftsprüfer. Hauptkritikpunkt: Die wissenschaftliche
Aufarbeitung „der für seine Mission zentralen Konzepte Transformation und
Transdisziplinarität" sei vom IASS bisher nicht geleistet worden. Damit sind
Forschungen zur „großen Transformation" von Wirtschaft und Gesellschaft in
Richtung Nachhaltigkeit gemeint sowie die Verknüpfung von Wissenschaft und
Zivilgesellschaft.
Zu sehr werde am Potsdamer Advanced-Institute an alten
Forschungsbahnen festgehalten, bemängelt der Wissenschaftsrat: „Es fehlt eine
Beteiligung an der aktuellen Diskussion um Transformation und es sind auch kaum
Ambitionen erkennbar, diese mitzugestalten." Gerade das war aber die Aufgabe.
Insgesamt scheine im IASS „ein systematischer Prozess der Themensetzung nicht
stattzufinden". Das derzeitige „Projektportfolio" - Energie und Umwelt, Globaler
Gesellschaftsvertrag, Interaktion mit der Atmosphäre - lasse sich „eher als das
Ergebnis eines zufälligen Prozesses betrachten".
Eindringlich plädiert der
Wissenschaftsrat für den „Aufbau sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher
Theorie- und Methodenkompetenz am IASS", ohne die gesellschaftlich relevante
Nachhaltigkeitsthemen nicht ernsthaft behandelt werden könnten. Erst mit dieser
Abrundung könne aus dem IASS mit seinen jetzt 100 Mitarbeitern langfristig ein
Institut werden, „das die bislang fragmentierte Nachhaltigkeitsforschung
zusammenbringt und ihre Ergebnisse in die Gesellschaft trägt". (siehe auch taz-Bericht)
Was andere Einrichtungen können
Ein Beispiel für die
Wissenschaftslastigkeit des IASS bei Vernachlässigung der Politikberatung: Im
Sommer fand in Berlin ein großer Kongress des Instituts zum Geoengineering / Climate
Engineering statt. Der wichtige Bericht für die politischen Entscheider im
Parlament wurde dagegen vom TAB, dem Büro für
Technikfolgenabschätzung des Bundestags verfasst und dort diskutiert. Auch
bei der wissenschaftlichen Theoriebildung zum Anthropozän setzen andere
Institute die Wegmarken: Jüngst das ISOE in Frankfurt/M. mit seiner Jubiläumskonferenz „Verloren
im Anthropozän" . Diese Punkte werden zu einem späteren Zeitpunkt vertieft.
Anhang: Auszüge aus der Evaluierung des von Klaus Töpfer geleiteten IASS durch den Wissenschaftsrat, die auf Antrag des BMBF und des Brandenburger Wissenschaftsministeriums zustande kam. Hintergrund ist Töpfers Ausscheiden als Gründungsdirektor.
Hier die Pressemitteilung
des WR
WR-Stellungnahme zum Institute for Advanced Sustainability Studies
(IASS), Potsdam (Drs. 4204-14) [ PDF-Dokument
| 80 Seiten | 388 KB ] - (4.1.2015 - auch
hier zu lesen)
Aktuelle Medienberichte zum Thema Anthropozän:
December 31, 2014 - Dotearth: Andrew C. Revkin - Tracing the
Roots of Pope Francis's Climate Plans for 2015
30.12.2014 - Die Welt: Vergesst
Silvester! Ein neues Zeitalter hat begonnen - Wir leben schon längst in
einer Science-Fiction-Parallelwelt, ohne es zu merken: Die Geologen haben das
Anthropozän ausgerufen, das Menschenzeitalter. Die Welt wird nie wieder dieselbe
sein.
30.12.2014 - Wochenanzeiger München - Das Zeitalter des
Menschen: Neue Sonderausstellung im Deutschen Museum
27.12.2014 - Star
Tribune: Review:
'Adventures in the Anthropocene,' by Gaia Vince - A science writer examines
the damage humans have done to the Earth's climate and the ways people are
working to improve it.
24.12.2014 - FAZ: Rezension
der Anthropozän-Ausstellung am Deutschen Museum
22.12.2014 - Süddeutsche
Zeitung: Ausstellung
"Anthropozän" - Wie der Mensch die Erde prägt
Dec 16, 2014 - Glacierhub:
Public
Event On The Anthropocene In New York On Thursday
15.12.2014 - PIK: Wie der
Mensch sich seine Welt macht - Abschluss des
Anthropozän-Projekts
December 12, 2014 - The Financial Times - The age of
Anthropocene: Masters of the Earth - Scientists say we are entering the age
of humans. But are we thriving or inadvertently destroying ourselves?
11.12.
2014 - Deutschlandradio: Anthropozän
- Das Zeitalter des Menschen hat begonnen
10.12.2014 - Rachel Carson
Center, RCC
Newsletter, Issue 21 - Last Thursday evening brought the long-awaited
opening of ‘Welcome to the Anthropocene: The Earth in Our Hands'
(Einige dieser Artikel werden in nächster Zeit an dieser Stelle ausführlicher besprochen. Liste wird auch ergänzt)