Vom Gipfel ins Flachland
21.05.2015
Vom Gipfel ins Flachland
Der "Forschungsgipfel" führte eine halbe innovationspolitische Diskussion
Mut zum Risiko! Innovationen können auch scheitern! Auf dem "Forschungsgipfel" vorgestern im Berliner Regierungsviertel waren derlei Durchhalteparolen wohlfeil. Was die Veranstalter - der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft und die Deutsche Nationalakademie der Wissenschaften Leopoldina - nicht ahnten: Auch ihr Event würde die Option des Scheiterns live vor Augen führen. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre forschungspolitische Grundsatzrede eine Viertelstunde vorher abgesagt hatte, erodierte der groß beworbene Forschungsgipfel zur innovationspolitischen Flachland-Debatte.
Dabei war nach dem Motto "Think Big" alles aufgefahren worden, was in der deutschen Wissenschaftspolitik Rang und Namen hat: die Präsidenten von Deutscher Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-, Helmholtz- und Leibniz-Forschungsgemeinschaft, Hochschulrektoren, Wissenschaftsrat und Technik-Akademie, sowie drei amtierende Wissenschaftsministerinnen aus Bund und Ländern. Unter Beteiligung der "Expertenkommission Forschung und Innovation" (EFI) sollte die Roadmap für die "Entwicklung des Innovationsstandorts Deutschland" diskutiert und nach Möglichkeit auch Pflöcke eingeschlagen werden. Ein Ziel von EFI-Chef Dietmar Harhoff: Die deutsche Politik zu einer neuen, ehrgeizigeren FuE-Quote zu verpflichten. Der Anteil von Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt soll von derzeit 3 auf 3,5 Prozent in den nächsten Jahren steigen, um so die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu pushen.
Dringend nötig! - meldete sich als gewichtiger Wirtschaftssprecher Volkswagen-Lenker Martin Winterkorn zu Wort. "Das innovative Deutschland braucht mehr Risikobereitschaft und Tempo", postulierte der Konzernchef, dessen Autokonzern jährlich 11,5 Mrd Euro für Forschung und Entwicklung ausgibt, soviel wie kein anderes Unternehmen. Am Beispiel der Elektromobilität und dem Niedergang der universitären Elektrochemie und Batterieforschung legte Winterkorn dar, wie sehr die Industrie auf ein funktionierendes Hinterland der Grundlagenforschung angewiesen ist. Jetzt muss VW in seine E-Autos Batterien aus Korea und USA einbauen. Wertschöpfung verlässt den Standort Deutschland. Der konkrete Vorschlag des Industriemanns zielte auf das Geld des Steuerzahlers: Aus den Steuermehreinnahmen von 38 Mrd Euro bis 2019 sollte teilweise eine "kraftvolle Innovations-Offensive" finanziert werden. Ein Investment "in die digitale Bildung der jungen Menschen, in die Batterietechnologie, in Big Data und künstliche Intelligenz". Winterkorns Botschaft: "Besser kann man dieses Geld nicht anlegen".
Kein Politiker fing den Ball auf. Bundesforschungsministerin Wanka schilderte beredt, wie schwierig es ist, nach dem Kraftakt der Grundgesetzänderung über die Neuaufteilung der Bund-Länder-Kompetenzen in der Wissenschaft, zum nächsten Schritt im Bildungsföderalismus zu kommen: die Verwendung der 1,17 Mrd Euro, die die Bundesländer gewonnen haben, weil der Bund künftig die Bafög-Kosten komplett übernimmt. Nicht überall ist sicher, dass dieses Geld auch in die Landes-Unis fließt. Wanka: "Deutschland ist ein Wissenschafts-Paradies mit Baustellen".
Während sich Kanzlerin Merkel im Anschluss an die Kabinettssitzung im Gespräch mit Energieminister Gabriel über Kohleabgabe und Klimapolitik so sehr verhakt hatte, dass sie Forschungs-Termin platzen ließ, gab ersatzweise Kanzleramts-Staatsmininister Helge Braun nur einen schwachen Aufguss regierungsamtlicher Leitlinien. Wichtigste Aussage: bei der Nachfolge der wettbewerbsgetriebenen Exzellenz-Initiative ab 2017 müsse künftig ein "angemessenes Verhältnis von Spitze und Breite" gewahrt bleiben. Kein Votum, die deutsche Wissenschaft vorrangig auf Wirtschaftsnutzen und Weltmarktführerschaft auszurichten.
Größtes Manko des voraussichtlich einmaligen Forschungsgipfels: Der zu enge Fokus auf technisch nutzwertige Innovationen. Um zu einer breiten, gesellschaftlich verankerten "Innovationskultur" in Deutschland zu kommen, müssten von den Forschungsorganisationen auch viel stärker "soziale Innovationen" gefördert werden, war das Petitum von Uwe Schneidewind vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dem pflichtete sogar Ministerin Wanka bei: "Bei der Energieforschung machen wir das mit sozial-ökologischen Begleitprojekten bereits".
Wohl eher zu wenig, wandte Reinhard Hüttl ein, der Präsident der Akademie für Technikwissenschaften Acatech. Die "gesellschaftlichen Randbedingungen" würden für die Forschung immer wichtiger. An Beispielen aus seinem Feld der Geoforschung - CO2-Speicherung CCS, Fracking, Geo-Engineering - verdeutlichte Hüttl, wie Forschung gegen die Wand fährt, wenn die Gesellschaft nicht mitgenommen wird. "Wenn wir den soziokulturellen Rahmen für Innovationen", so der Acatech-Chef, "nicht ernst nehmen, dann schneiden wir uns langfristig ins eigene Fleisch".
Manfred Ronzheimer
http://www.stifterverband.com/forschungsgipfel/hintergrund/index.html
Hintergründe und Konzept
Forschungsgipfel 2015 - Perspektiven für
Wirtschaft, Wissenschaft und Innovation
Der Forschungsgipfel 2015 will einen Beitrag zur Sicherung der Innovationskraft Deutschlands leisten. Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen sind mit globalen Herausforderungen und intensivem technologischem Wettbewerb konfrontiert. Sich neu entwickelnde Märkte verlangen nach schnellen Problemlösungen und kreativen Produkten. Hemmnisse und Unsicherheiten, die zu einer Schwächung der Entwicklungsdynamik in Deutschland führen, müssen daher frühzeitig beseitigt werden. Darüber wird auf dem Forschungsgipfel diskutiert.
Die Leitfragen des Forschungsgipfels:
- Wo besteht Handlungsbedarf?
-
Wie können wir die Position Deutschlands im internationalen Wettbewerb stärken,
wo noch kreativer werden?
- Welche neuen Formen der Zusammenarbeit von
Unternehmen und Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Regionen sollten
gefördert oder entwickelt werden?
Auf dem Forschungsgipfel 2015 kommen Führungspersönlichkeiten, Fachexperten und Vordenker aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft zusammen. Gemeinsam entwickeln sie Lösungen für den Forschungsstandort Deutschland. Sie diskutieren über Strategien, um Forschung und Innovation voranzutreiben, und formulieren Handlungsempfehlungen, wie dieses Ziel gemeinsam zu erreichen ist.
Die Tagesveranstaltung gliedert sich in zwei Programmblöcke:
- Die Zukunft
des Forschungssystems mit Keynotes aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik
(vormittags)
- Antworten auf Zukunftsfragen formulieren mit den Themenforen
und Empfehlungen an die Akteure (nachmittags)
Programmheft
Details zum Ablauf zur Veranstaltung und zur
Anreise
PDF
(248 kB)
Microsite zum Forschungsgipfel 2015: http://www.forschungsgipfel.de/
Video (19 min) - Forschungsgipfel 2015: Keynote von Martin Winterkorn
http://www.bundesregierung.de: Forschungsgipfel
für Wachstum und Wohlstand
Wie ist die Haltung der Bundesregierung zur
Zukunft von Forschung und Innovationen? Dies wird Bundeskanzlerin Merkel heute
auf dem Forschungsgipfel in Berlin erläutern. Spitzenorganisationen der
deutschen Forschung haben sie dazu eingeladen. (20.5.15)
http://www.bundesregierung.de: Forschungsgipfel
- Strategien für Innovationen.
Spitzen aus Forschung, Wirtschaft und
Politik diskutierten in Berlin über Strategien, um Forschung und Innovation
voranzutreiben. Sie formulierten Handlungsempfehlungen, wie dieses Ziel
gemeinsam zu erreichen ist. (21.5.2015)
Mehr Info
Hightech-Strategie der Bundesregierung: http://www.hightech-strategie.de/
Stifterverband: Wirtschaft investiert 54 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung
Gutachten der Expertenkommission Forschung und Innovation
Magazin "Forschung & Entwicklung": Innovationsprozesse im Umbruch
Magazin "Wirtschaft & Wissenschaft": Wie die Digitalisierung die Wissenschaft umkrempelt (PDF)
Stefan Wrobel (Fraunhofer): Big Data, Big Business, Big Hype? (Video)
*
Süddeutsche Zeitung, 20. Mai 2015, 19:01 Uhr - Forschungsgipfel "Mehr Tempo"
Wolfsburger Nachrichten: Forschungsgipfel
- Winterkorn fordert mehr Risiko-Freude
Berlin Politiker und
Wirtschaftsvertreter fordern eine neue Innovationskultur für Deutschland
Forschungsgipfel:
VW-Chef Winterkorn fordert kraftvolle Innovations-Offensive für Deutschland
Stifterverband, 20.05.2015 13:38
PE Volkswagen AG - Hannover, 20.05.2015
Zukunft
steuern! Volkswagen Nutzfahrzeuge und Leibniz Universität Hannover vereinbaren
intensive Kooperation
http://www.volkswagenag.com/content/vwcorp/content/de/press.html: Keine Pressemitteilung zum Forschungsgipfel
Forschungsgipfel auf Twitter: Results for #FoGip15
06.05.2015 15:00 - Presseeinladung: Forschungsgipfel 2015