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Mehr Zukunft für die Ökoforschung

16.07.2015

Mehr Zukunft für die Ökoforschung

Der Wissenschaftsrat nahm das Umweltbundesamt unter die Lupe

Hervorragend als Umwelt-Behörde, aber zu wenig Öko-Forschung, vor allem bei Zukunftsthemen. So hat der Wissenschaftsrat das Umweltbundesamt (UBA) in einem Gutachten bewertet, das in dieser Woche in Berlin vorgestellt wurde. Das UBA ist eine Oberbehörde und Ressortforschungseinrichtung des Bundesumweltministeriums, das die Studie in Auftrag gegeben hatte.

Von den rund 1.100 Beschäftigten des UBA mit Hauptsitz in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) sind rund 30 Prozent für die Beratung der regierungsamtlichen Umweltpolitik zuständig, 26 Prozent nehmen hoheitliche Aufgaben wahr, wie die Kontrolle der Luft- und Gewässerqualität, 14 Prozent informieren die Öffentlichkeit und 28 Prozent machen Forschung und Entwicklung. Das Budget liegt bei 114 Millionen Euro im Jahr, leicht sinkend. Hinzu kommen 30 Mio Euro für Wissenschaftsprojekte aus dem Umweltforschungsplan (UFOPLAN) des Umweltministeriums.

Zwar erbringe das UBA in seiner Forschung, urteilt der Wissenschaftsrat, "gute bis sehr gute Leistungen vor allem in denjenigen Bereichen, die in einer sehr engen Verbindung zu seinen hoheitlichen Aufgaben stehen". Gleichwohl sei es dem Bundesamt - so der zentrale Kritikpunkt des Wissenschaftsrates - "bislang nicht gelungen, als Gesamtinstitution ein erkennbares wissenschaftliches Profil zu entwickeln". Verlangt sei eine "langfristige strategische Perspektive für die Forschung" des UBA. Die bisherige Forschungspraxis, mit einem Programm-Horizont von drei Jahren, sei "insgesamt zu kurzfristig angelegt". Vor allem "bei der Identifizierung und Priorisierung von zukunftsorientierten Themen kann das UBA nicht überzeugen", schreibt der Wissenschaftsrat. Gerade bei der "Vorlaufforschung" für langfristige Umweltentwicklungen gebe es keine feste Größe im UBA-Haushalt; die Mittel dafür würden jährlich neu festgelegt und "müssen als besonders prekär angesehen werden".

Umrahmt von vielen Belobigungen für das UBA-Tagwerk addieren sich die kritischen Bemerkungen der Wissenschaftsprüfer zu einer ordentlichen Liste: Rückgang der Drittmittel, keine gemeinsamen Berufungen mit den Hochschulen, zu wenig wissenschaftliche Publikationen, aus den riesigen Datenbeständen des Umweltmonitoring ließe sich forscherisch mehr machen. Die überaus gute Labor- und Geräteausstattung des UBA sollte mehr für externe Umweltforscher geöffnet werden. Etwa die für 17 Mio Euro in Berlin-Marienfelde errichtete "Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage" - laut Wissenschaftsrat "eine herausragende und in Deutschland einzigartige Forschungsinfrastruktur", die aber keineswegs ausgelastet sei.

Ein heikler Punkt wird unter dem Stichwort "Frühwarnfunktion" angeschnitten. Bei der Veröffentlichung von Risikobewertungen durch unterschiedliche Bundesbehörden gebe es "keine systematische Abstimmung", stellt der Wissenschaftsrat fest. Wenn dies zu abweichenden Bewertungen führt, wie etwa im Bereich der Chemikaliensicherheit von Stoffen, könnten "Verunsicherungen von Politik, Industrie und Öffentlichkeit" die Folge sein. Vom UBA fordert der Wissenschaftsrat, die wissenschaftlichen Grundlagen seiner Warnungen bei Umweltgefahren "transparent" darzulegen und "normative Aussagen als solche kenntlich" zu machen. Der Sprecher des UBA, Andreas Lorenz, erklärte dazu gegenüber der taz, sein Amt sei durch das Vorsorgeprinzip gesetzlich gehalten, Warnungen schon vor Eintritt des Schadens auszusprechen. Andere Behörden, etwa im Bereich der Lebensmittelüberwachung, seien an konkrete Vorkommnisse gebunden.

"Als sehr hilfreich sehen wir es an, dass der Wissenschaftsrat mehr Transparenz in der Risikobewertung sowie stärkere Differenzierung und Nachvollziehbarkeit in der Risikokommunikation einfordert", erklärt das Umweltbundesamt in seiner Stellungnahme zum Gutachten. Das UBA weiter: "Hier wächst in Teilen der Öffentlichkeit ein Misstrauen gegenüber behördlichen Entscheidungen, unter anderem im Bereich der Chemikalienregulierung, dem auch wir entgegenwirken wollen."

Umweltforscher Roland Zieschank vom Forschungszentrum für Umweltpolitik der FU Berlin gibt zu bedenken, dass nicht nur über Schwächen des UBA zu reden sei, sondern dass auch der Wissenschaftsrat eine Stellungnahme mit Defiziten abgeliefert habe: "Der Wissenschaftsrat hat zwar die Arbeitsschwerpunkte des UBA beschrieben, in der Bewertung spiegelt sich jedoch die wachsende Bedeutung von übergreifenden gesellschaftspolitischen Themen und Strategien (Erfolgsbedingungen von gesellschaftlichen Veränderungen, Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie, Green Economy etc.) kaum wieder. Damit wird ein wenig die Chance vergeben, innerhalb des Umweltbundesamtes neue Schwerpunktsetzungen zu unterstützen, die in Richtung Umweltpolitik als Teil gesellschaftlicher Transformationsprozesse weisen. Sollen entsprechende Forschungsergebnisse weiter in die Politik transferiert und auch kommuniziert werden, müsste nun das Thema "Capacity Building" innerhalb des UBA - und möglicherweise dann auch des BMUB - eine Rolle spielen."

Manfred Ronzheimer

*

Medienecho (gering):
- Risikobewertung nicht wissenschaftlich genug - Kritik am Umweltbundesamt - Der Tagesspiegel, 14.07.2015 10:32 Uhr - mehr hier
- Berliner Morgenpost, 14.07.2015, 04:02 - Begutachtung: Umweltbundesamt soll künftig mehr forschen - mehr hier

 


Stellungnahme zum Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau (Drs. 4703-15) [ PDF-Dokument | 81 Seiten | 537 KB ]
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/4703-15.pdf

Hintergrundinformation zum Umweltbundesamt (UBA), Dessau-Roßlau [ PDF-Dokument | 2 Seiten | 61 KB ]
http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/hginfo_1715.pdf

 

Gliederung der Stellungnahme
A. Ausgangslage 20
A.I Entwicklung und Aufgaben 20
I.1 Entwicklung 20
I.2 Aufgaben 21
I.3 Positionierung des UBA im fachlichen Umfeld 23
A.II Arbeitsschwerpunkte 24
II.1 Forschung und Entwicklung 25
II.2 Wissenschaftsbasierte Dienstleistungen, Beratungs- und Informationsleistungen 34
II.3 Kooperationen 35
II.4 Qualitätssicherung 37
A.III Organisation und Ausstattung 39
III.1 Struktur und Organisation 39
III.2 Ausstattung 42
B. Bewertung 47
B.I Bedeutung und Entwicklung des Umweltbundesamtes 47
B.II Arbeitsschwerpunkte 48
II.1 Forschung und Entwicklung 48
II.2 Wissenschaftsbasierte Dienstleistungen, Beratungs- und Informationsleistungen 56
II.3 Kooperationen 57
II.4 Qualitätssicherung 57
B.III Organisation und Ausstattung 58
III.1 Organisation 58
III.2 Ausstattung 59
Anhang 61

((GGH))
Bei den inhaltlichen Schwerpunkten der UBA-Strategie handelt es sich um folgende Themen:
_ Umweltschutz und Wirtschaft: Rahmen setzen für eine moderne wirtschaft-liche und soziale Entwicklung,
_ Klimawandel: Vermeidung und Anpassung,
_ Balance des Schutzes und der Nutzung natürlicher Ressourcen,
_ Umweltverträgliche Landnutzung,
_ Lebenswerte Innenstädte,
_ Nachhaltige Lebensstile,
_ Verbesserung der Konsistenz und Weiterentwicklung des umweltpolitischen Instrumentariums.

Auszüge, mit Bezug zur Zukunftsorientierung:

13 - Damit das UBA seine gesetzlich verankerten Aufgaben der wissenschaftlichen Unterstützung und wissenschaftsbasierten Beratung in Zukunft angemessen erfüllen kann, ist über die kurzfristig angelegte Forschung hinaus auch Forschung mit langfristiger Perspektive unverzichtbar. Bei der Identifizierung von aufgabenbezogenen Zukunftsthemen und künftigen Kompetenzerfordernissen bedarf es einer strategischen Vernetzung mit dem Wissenschaftssystem, aus der das Bundesamt Impulse für seine Forschungsstrategie gewinnen kann. Diese Aufgabe kann durch die zehn Kommissionen, die das UBA betreut, nicht wahrgenommen werden, da diese jeweils mit einer zum Teil sehr eng gefassten Thematik betraut sind. Die Implementierung eines übergreifenden strategischen Beratungsgremiums für die gesamte Einrichtung wird daher dringend angeraten. Hierbei empfiehlt sich die Einbeziehung internationaler Expertinnen und Experten.

26 - Ergänzend zu der Forschung für aktuellen oder unmittelbar absehbaren Beratungsbedarf der Bundesregierung führt das UBA Vorlaufforschung durch, um sich abzeichnende neue Entwicklungen erkennen und darauf reagieren zu können (Frühwarnfunktion). Deshalb initiiert das Bundesamt auch spezielle Forschungsprojekte zur Untersuchung von möglicherweise relevanten neuen Fragestellungen (Vorlaufforschung und Foresight- sowie Szenarienprojekte). Die bearbeiteten Themen stehen in diesem Fall also nicht zwangsläufig in einem unmittelbaren Verwertungskontext. Im Rahmen der Vorlaufforschung unterscheidet das UBA anlassbezogene Forschung, die an bereits im Bundesamt bearbeitete Themen anknüpft (Vorlaufforschung Typ A), und die Erschließung für das Amt gänzlich neuer Themenfelder (Vorlaufforschung Typ B). Zu der Ermittlung des Bedarfs hinsichtlich Vorlaufforschung und der Erschließung neuer Themenfelder setzt das UBA unter anderem Methoden der Zukunftsforschung ein. Im Jahr 2013 identifizierten die Abteilungen laut Selbstbericht insgesamt 134 Forschungsvorhaben als Vorlaufforschung. Diese wurden ungefähr zu gleichen Teilen den Typen A und B zugeordnet. Knapp 60 % der Vorhaben waren über den UFOPLAN finanziert, die übrigen erfolgten über interne Forschung. Im UFOPLAN 2013 entfielen etwa 20 % der Planbudgets auf Vorlaufforschungsvorhaben. Die praktische Bedeutung von Vorlaufforschung in den Fachabteilungen variiert dabei in Abhängigkeit von Themen- und Aufgabenzuschnitten, insbesondere durch die unterschiedlich starke Konkurrenz von politisch drängenden Themen. Die tatsächliche Realisierung solcher Zukunftsthemen hängt nach Auskunft des UBA von der amts- und arbeitsbereichsinternen Prioritätensetzung, von den aktuellen ressortspezifischen Rahmenbedingungen und von der Verfügbarkeit von Personalkapazitäten und Infrastrukturen ab. Vom UBA als relevant erachtete Zukunftsthemen werden daher frühzeitig an das BMUB kommuniziert, um dort für die Durchführung entsprechender UFOPLAN-Vorhaben zu werben. Das UBA ist nach eigenen Angaben zudem bemüht, über die gezielte Akquisition von Drittmitteln zusätzliche Spielräume für Vorlaufforschung zu schaffen und auszuschöpfen.

 

49 - Mit der Festlegung von Bedarf und Programm nur für drei Jahre ist die Forschung insgesamt zu kurzfristig angelegt. Vor allem bei der Identifizierung und Priorisierung von zukunftsorientierten Themen kann das UBA nicht überzeugen. Auch ist der Vorlaufforschung keine feste Größe im UBA-Haushalt zugeordnet; die Mittel, die für die Vorlaufforschung zur Verfügung stehen, legt das UBA jährlich neu fest und müssen als besonders prekär angesehen werden. Besonders für zukunftsrelevante Forschung ist die Kooperation mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen auf einer längerfristigen Planungsgrundlage unverzichtbar. Der Auftrag des UBA erfordert zwar, dass das Amt zu einem großen Teil kurzfristig angelegte Forschung durchführt. Jedoch sollte diese stärker als bisher durch Forschung mit längerfristiger, strategischer Perspektive ergänzt werden. Außerdem könnte die Entscheidung des UBA darüber, welche Kompetenzen gestärkt werden sollen bzw. welche Expertise extern herangezogen werden soll, auf dem Fundament einer institutionell verankerten Forschungsstrategie - überzeugender als dies bislang gelingt - begründet werden.

 

57 - Die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirates, der das UBA bei der Identifizierung von Zukunftsthemen beraten und damit Impulse für die künftige strategische Ausrichtung geben kann, wird daher erneut dringend angeraten. (Wissenschaftsrat: Stellungnahme zum Umweltbundesamt (UBA), Dessau (Drs. 7700-07), Januar 2007; Wissenschaftsrat: Umsetzung der Empfehlungen aus der zurückliegenden Evaluation des Umweltbundesamtes (UBA), Dessau (Drs. 1247-11), Mai 2011.) In diesem Rahmen empfiehlt sich die Einbeziehung internationaler Expertinnen und Experten.

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Kommentar des Umweltbundesamtes zum Ergebnis seiner Evaluation durch den Wissenschaftsrat

Dessau-Roßlau, 13. Juli 2015 - Auszug

Das Umweltbundesamt (UBA) begrüßt die Stellungnahme des Wissenschaftsrates (WR), die nach unserer Auffassung die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit des UBA insgesamt als gut, in Teilen als sehr gut beurteilt. (...) Die aus unserer Sicht wichtigsten Empfehlungen sind
- die Etablierung einer Forschungsstrategie zur strategisch orientierten Ausrichtung der Forschung, insbesondere für langfristige, vorausschauende und mehr interne Forschung,
- die Entwicklung eines Datennutzungskonzeptes,
- die stärker internationale Ausrichtung der Publikationsstrategie,
- die Etablierung einer stringenten Drittmittelstrategie und
- die Entwicklung und Implementierung verbindlicher Leitlinien guter wissenschaftsbasierter Beratung von Politik und Öffentlichkeit.
An einigen dieser und weiterer Punkte haben wir uns bereits auf den Weg gemacht, Verbesserungen umzusetzen. (...)

Wir arbeiten daran, die Kooperationen mit Hochschulen systematisch auszubauen, zunächst insbesondere in Berlin, wo das UBA seine Labore und Technika am Standort Marienfelde konzentrieren und sich noch stärker als ohnehin schon in das ausgeprägte regionale Forschungsnetzwerk einbringen möchte.
Bewusst sind wir uns darüber, dass nach wie vor Spielräume zur Intensivierung der Drittmitteleinwerbung bestehen, ohne in eine aus Sicht des Amtes unerwünschte Abhängigkeit von Drittmitteln und Drittmittelgebern zu geraten.

Wir begrüßen und unterstreichen die klärenden Aussagen des WR zur Risikobewertung und -kommunikation und die genannten Anforderungen an die Praxis des UBA. Als sehr hilfreich sehen wir es an, dass der WR mehr Transparenz in der Risikobewertung sowie stärkere Differenzierung und Nachvollziehbarkeit in der Risikokommunikation einfordert. Hier wächst in Teilen der Öffentlichkeit ein Misstrauen gegenüber behördlichen Entscheidungen, unter anderem im Bereich der Chemikalienregulierung, dem auch wir entgegenwirken wollen.

http://www.umweltbundesamt.de/

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Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage (FSA)

2003: Der Bach unter dem Hallendach: Ein Ökosystem der besonderen Art - In Berlin-Marienfelde fließt kein natürlicher Bach in den grünen Rinnen der Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage (FSA). In der großen Halle des UBA ist für rund 17 Mio. Euro eine riesige und international einzigartige Anlage entstanden, die auch für externe Forschungen offen ist. - mehr hier

 

UBA-Themenseite "Fließ- und Stillgewässer-Simulationsanlage"

Artikel aus "Uni-Protokolle": "Der Bach unter dem Hallendach: Ein Ökosystem der besonderen Art"

 

Berliner Zeitung: Ein neuer Wirkstoff soll Schiffe vor Muschelbefall bewahren. Doch er schadet dem Leben in Seen und Flüssen
Anstrich mit Nebenwirkungen

 

ZN11038b

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