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Anwendungsbezug der Mikrosystemtechnik nimmt zu

22.10.2009

„Der Anwendungsbezug wird in Zukunft noch wichtiger"

 

Interview mit den Leitern von Fraunhofer IZM: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Herbert Reichl und Dr.-Ing. Dr. sc. techn. Klaus-Dieter Lang

Herr Prof. Reichl, Sie sind seit 22 Jahren Professor an der TU Berlin und haben vor 16 Jahren das Fraunhofer IZM gegründet. Wie haben sich in dieser Zeit die fachlichen Schwerpunkte entwickelt?

Prof. Reichl: Mitte der 1980er Jahre konnte die Aufbau- und Verbindungstechnik mit dem rasanten Fortschritt in der Mikroelektronik kaum mithalten. Meine ersten Arbeiten in Berlin konzentrierten sich dann auch auf innovative Kontaktiertechnologien wie zum Beispiel Flip Chip oder MultiChip-Module. Schon damals wurde über das Einbetten von Komponenten geforscht. Von Beginn an wurde außerdem auch die Entwicklung von Programmen zur elektrischen

und thermischen Charakterisierung von Strukturen der Aufbau- und Verbindungstechnik vorangetrieben.

Bei Gründung von Fraunhofer IZM im Jahr 1993 standen ergänzend zu den Arbeiten an der TU Berlin die Weiterentwicklung und Implementierung neuer Methoden bei Fragen der elektrischen, mechanischen und thermischen Zuverlässigkeit im Mittelpunkt. Auch Verbindungstechnologien auf Leiterplattenebene und das Environmental Engineering waren wichtige Themen.

Wo stehen Sie mit Ihrer Arbeit heute, was hat sich verändert?

Prof. Reichl: Heute stehen wir mit der Heterointegration an der Schwelle zu einer neuen Arbeitsauffassung der Systemintegration. Schneller als früher müssen wir heute bei Industriekooperationen anwendungsorientierte und produzierbare Lösungen entwickeln. Dabei ändert sich auch die Herangehensweise: War früher die Technologie der Dreh- und Angelpunkt für neue Entwicklungen und die Anwendung der Endpunkt, so gibt heute die Anwendung vor, wie eine Technologie auszusehen hat. Besonders anschaulich wird dieser Trend bei der Integration von Elektronik in Textilien, wo mittlerweile mit Technologien der Textilherstellung Leiterbahnen und Verbindungselemente produziert werden.

Wie hat sich in den letzten Jahren die Mikrosystemtechnik-Branche in Berlin und ihre weltweite Bedeutung entwickelt?

Dr. Lang: Der Standort Berlin hat in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen.  Im bundesdeutschen Vergleich der Mikrosystemtechnikstandorte nehmen wir mittlerweile einen Spitzenplatz ein, trotz der teilweise enormen finanziellen Anstrengungen anderer Standorte. Die exzellente Berliner Forschungsinfrastruktur ist sicher ein Grund für diese Entwicklung.

Einige der hier ansässigen Institute spielen auch im internationalen Vergleich in der ersten Liga. Mindestens ebenso wichtig für diese Entwicklung ist, dass die Saat in Form von Unternehmensausgründungen aufgegangen ist und Früchte trägt. Allein im Technologiepark Adlershof sind 410 technologieorientierte Unternehmen mit knapp 5.000 Mitarbeitern angesiedelt.

Was sollte die Berliner Branche Ihrer Meinung nach forcieren, um die internationale Bedeutung weiter zu verbessern? Was muss gestärkt werden und was hat sich schon gut entwickelt?

Dr. Lang: Wir sind in Berlin bei Einzeltechnologien bereits sehr gut aufgestellt. Was in Berlin fehlt, ist die bessere Vernetzung der einzelnen Akteure. Im Wissenschaftsbereich haben wir mit dem ZEMI - Zentrum für Mikrosystemtechnik Berlin in Adlershof bereits einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen. Mit dem Applikationszentrum Smart System Integration können wir dank des BMBF auch der MST-fernen Industrie Angebote unterbreiten, wie diese ihre Produkte mit Hilfe von MST aufwerten können.

Was jetzt noch fehlt, ist eine weiter verbesserte und aktive Vernetzung der Anbieter und Anwender von Mikrosystemtechnik. Das von der WISTA geplante Mikrosystemtechnikzentrum in Adlershof ist dabei ein wichtiger Baustein. In Berlin-Brandenburg sehen wir außerdem Kooperationen mit den Branchen Medizin- und Gesundheitstechnik, Sicherheitstechnik,  Ernährungswirtschaft und Verkehrstechnik.

Welche Auswirkungen spüren Sie in Ihrem Institut aufgrund der Wirtschaftkrise und welche Chancen und Risiken können sich daraus in der Zukunft ergeben?

Prof. Reichl: Als Forschungspartner der Investitionsgüterindustrie sind wir natürlich vom Abschwung in diesem Jahr betroffen. Mit Anziehen der Weltkonjunktur und einer Erholung der Investitionsneigung können unsere Kunden in 2010 mit einer Rückkehr in die Wachstumszone rechnen. In der Folge davon rechnen auch wir mit einer Normalisierung der Nachfrage.

Abgefedert wurde die reduzierte Nachfrage von dem gestiegenen Interesse nach neuen Technologien und innovativen Systemlösungen. Auch in der Krise scheinen neue, innovative Produktentwicklungen ein Weg zu sein, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Weiter ist eine verstärkte Unterstützung durch Forschungsprogramme des Bundes und der Länder Berlin und Brandenburg zu verzeichnen. Wir sind zuversichtlich, dass wir den Innovationswettbewerb in der Mikrosystemtechnik auch in Zukunft bestehen können.

Wie sehen Sie die Zukunft der Mikroelektronik in Europa und welche Themen erhalten in den nächsten 10 Jahren eine größere Bedeutung für die internationale Mikroelektronik-Branche?

Dr. Lang: Die Mikroelektronik wird in Europa den Weg von „More Moore" hin zu „More than Moore" weiterhin konsequent und erfolgreich beschreiten. Mehr noch als höchstminiaturisierte digitale Komponenten werden multifunktionale Systeme (Smart Systems) im Mittelpunkt der Aktivitäten stehen. Dabei wird der Anwendungsbezug immer wichtiger.

In der Zukunft ist ein engeres Zusammenwirken von Halbleiterfirmen und Anwendern notwendig. Dieser Trend bietet den europäischen Halbleiterherstellern die Chance, sich über die gemeinsam mit ihren Kunden entwickelten, kundenspezifischen Lösungen vom internationalen Wettbewerb abzuheben. Waren früher die Halbleiterhersteller mit der größten Kompetenz in der Entwicklung von Standardprozessen am erfolgreichsten, so sind es zukünftig die Hersteller mit Systemkompetenz - die flexibel, kompetent und vor allem schnell die Wünsche der Kunden in komplexe Produkte umsetzen können. Die starke Anwenderindustrie in Deutschland und Europa bietet den Halbleiterherstellern dazu hervorragende Entwicklungschancen.

Welche Aufgaben und Forschungsfelder werden in Zukunft beim Fraunhofer IZM größere Bedeutung bekommen?

Dr. Lang: Wie bereits erwähnt, wird bei uns der System- und Anwendungsbezug weiter gestärkt werden. Die 3D-Integration auf Wafer-Ebene, „System in Package"-Lösungen, Konzepte für die Modulintegration und Embedding-Technologien im Leiterplattenbereich sind zentrale Themen. Außerdem stehen bei uns die Erhöhung der Zuverlässigkeit, die Integration von Sensoren und Aktoren sowie die Miniaturisierung und Anpassung in vorgegebene Bauräume weiterhin im Mittelpunkt der Arbeiten.

Sie haben die europäischen Technologieplattformen EPoSS und ENIAC inhaltlich maßgeblich mitgestaltet. Wo sehen Sie Wirkungen und Erfolge auf Berlin und wo international?

Prof. Reichl: Auf europäischer Ebene haben die Plattformen zu einem intensiveren Austausch zwischen Industrie und Wissenschaft über zukünftige Forschungsziele geführt. Die europäischen Staaten und die EU haben außerdem gemeinsam über Forschungsthemen beraten und in die Förderprogramme aufgenommen. In der Summe ist dies sicher ein Mosaikstein auf dem Weg zu einem starken europäischen Forschungsraum. Für Berlin heißt das, seine Stärken in der Forschung auf europäischer Ebene auszuspielen und die dort gebotenen Chancen zu nutzen.

Fachkräfte und qualifizierter Nachwuchs sind von großer Bedeutung für die Forschung. Wie kann die Branche die Situation verbessern und welche Rolle spielt gerade der Standort Berlin?

Dr. Lang: Berlin hat sicher den Vorteil, attraktiv für junge Menschen zu sein, deshalb ist es vergleichsweise leicht, junge Ingenieure und Wissenschaftler in Berlin zu halten. Gleichzeitig müssen wir es schaffen, mehr junge Menschen für Technik zu begeistern. In der akademischen aber auch in der gewerblichen Berufsausbildung spielt Berlin im Bereich MST eine führende Rolle. Über 70 Mikrotechnologen/-innen befinden sich beispielsweise in der betrieblichen Ausbildung.

Ein Novum ist, dass sich die Ausbildungsbetriebe in Berlin für die Qualitätssicherung im Ausbildungsverbund Mikrotechnologie zusammengeschlossen haben. Mehrere bundesweite Aus- und Weiterbildungsnetzwerke werden von Berlin aus, zum Beispiel durch das ZEMI, koordiniert.

In Deutschland wird diskutiert, die Förderung für die Spitzenforschung zu verbessern. Welche Wünsche haben Sie an die Politik?

Prof. Reichl: Einerseits brauchen wir in Deutschland mehr zielgerichtete Vorlaufforschung in den Zukunftsfeldern um die Innovationsfähigkeit der Forschungseinrichtungen zu erhalten. Die von der Bundesregierung geförderten Spitzencluster sind hier ein guter Anfang. Innovationen sind nicht automatisch das Ergebnis einer anwendungsorientierten, industrienahen Forschung. Eine fundierte und umfassende Grundlagenforschung gehört ebenfalls dazu.

Als zweiten Baustein brauchen wir wettbewerbsfähige Einzeltechnologien und deren Anwendungsnachweise, die gemeinsam mit oder für die Industrie entwickelt werden müssen.

Als dritte Komponente sollten die Kooperationen mit neuen Branchen und Anwendungen und entlang der Wertschöpfungskette gefördert werden.

Das Interview führte Markus Wabersky.

Dr.-Ing. Dr. sc. techn. Klaus-Dieter Lang
Tel.: 030 - 4 64 03 1 79
klausdieter.lang@izm.fraunhofer.de


Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Herbert Reichl
ist Leiter des Fraunhofer Institutes für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) und Professor an der Technischen Universität Berlin, wo er den Forschungsschwerpunkt „Technologien der Mikroperipherik" leitet. Forschung, Entwicklung und Anwendung von innovativen Packaginglösungen sowie Technologien zur Integration von Mikroelektronik und Mikrosystemen stehen im Mittelpunkt seiner Arbeiten.

Dr.-Ing. Dr. sc. techn. Klaus-Dieter Lang ist stellvertretender Leiter des Fraunhofer Institutes für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM). Seinen Arbeitsschwerpunkt hat er in Integrationstechnologien auf Modul- und Leiterplattenebene. Er steht im Fraunhofer IZM für den Übergang von der technologie- zur system- und funktionsorientierten Forschung und Entwicklung.


Quelle: Insider-Report 1/09,
http://www.tsb-adlershof.de/

 

 

 

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