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Die große Umkehr

13.11.2013

 

Die große Umkehr

Tagung der Transformateure in Tutzing

 Zu ihrer jährlichen Zusammenkunft kamen die Tutzinger Transformateure  am zurückliegenden Wochenende in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See zusammen. Mit Unterstützung der Mitveranstalter Denkwerk Zukunft und dem Umweltbundesamt wurde daraus eine dreitägige Konferenz, die an die 100 Interessierte und  aktive „Pioniere des Wandels" anzog. Auch die Transformationszeitung war mit einem Vertreter präsent.

Tutzing1

Wichtigste Ergebnisse der Tagung waren zu einen die Ausführungen von Cordelia Kopsch, der Leiterin der neu eingerichteten Projektstelle Diskurs Nachhaltige Entwicklung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), über die weiteren Aktivitäten ihrer Kirche im Anschluß an den großen Transformationskongress. Zum anderen hielt Rainer Braun von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) einen programmatischen Vortrag zur Reaktivierung der Friedenbewegung als neuem Impuls innerhalb des Transformationsprozesses.

Die Veranstaltung mit dem Titel  "Erfolgreiche Wege zur Großen Transformation" wurde ausgerichtet von der Evangelischen Akademie Tutzing im Rahmen ihres regulären Seminarprogramms. Als „Kooperationspartner" waren beteiligt: „Die Transformateure. Akteure der Großen Transformation", ein Gesprächskreis von 12 Personen, der ebenfalls von der EAT koordiniert wird, das „Denkwerk Zukunft. Stiftung kulturelle Erneuerung" sowie das Umweltbundesamt (UBA). Entsprechend dieser Konstellation wurde die Tagung von Martin Held (EAT), Stefanie Wahl (DZ) und Kora Kristof (UBA) geleitet und war von ihnen auch konzeptionell vorbereitet worden. Programmatisch kommt in der  Zusammensetzung zum Ausdruck, dass der Transformateurs-Kreis, der enge Bezüge zum WBGU-Gutachten und dem Transformationskongress besitzt, sich über das Denkwerk Zukunft und dessen  Kultur- und Werte-bezogener Ausrichtung auch weiteren, mehr konservativ geprägten gesellschaftlichen Kräften öffnen will, ergänzt um die fachlich-wissenschaftliche Untersetzung durch eine wissenschaftliche Oberbehörde des Staates.

Aus der Nische in den Mainstream

Die Verortung der eigenen Vorhut-Aktivitäten in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, die Spannung zwischen punktueller Veränderungs-Dynamik und breiten Beharrungskräften, wie sie sich auch im Ergebnis der Bundestagswahl vom September niederschlugen, kamen als Diskurs-Einlassungen über die ganze Tagung hinweg wiederholt zur Sprache. Diese Dialektik wurde durchaus auch theoretisch-wissenschaftlich vertieft, fand aber keine praxis-bezogene Umsetzung in Gestalt einer zumindest rudimentären Transformations-Agenda mit gesellschaftlicher Orientierung - ein Manko der Tagung. (Es hätte sich zum Beispiel angeboten, den Maßnahme-Katalog der Enquete-Kommission WWL an dieser Stelle in eine politische - Koalitionsverhandlungen ! - und zivilgesellschaftliche Roadmap zu übersetzen).

Stimmen aus der Diskussion: „Wir befinden uns in einer epochalen Zäsur". Helds Hinweis auf den R.E.M. Song (und die bemerkenswerte Transformation ins Deutsche). Man befinde sich noch in der Nische, müsse in den Mainstream, um zu wirken. Entscheidend sei auf dieser Ebene, weniger die Köpfe, sonder viel stärker die Herzen und Bäuche der Menschen zu erreichen. „Das Fest ist vorbei": Nicht-Nachhaltigkeit werde nun wirksam. Wahls Champagnerglas der Einkommensentwicklung. Deutschland verbraucht 2,6 Globen. Die Schätze des immateriellen Wohlstands. Ein breiter gesellschaftlicher Suchprozess hat begonnen. Appelle an die Vernunft wirken nicht (schnell genug), Verbote wirken besser, Beispiel Plastiktüten. „Wir müssen an allen Ecken und Enden der Bevölkerung Bewusstsein schaffen". „Wir sind noch weit weg vom Mainstream" - Beispiel Fleischkonsum. „Wir hier wissen, worum es geht. Aber es ist eine Herkulesaufgabe".

Inhaltlich gruppierte sich das Programm um die Präsentation und Diskussion von fünf konkreten Beispielen der Transformation kleinen und großen Maßstabs. Diese Praxisfenster wurden gerahmt von theoretisch-wissenschaftlichen Einordnungen. Die fünf Praxisbeispiel waren (die Transformationszeitung wird sie noch ausführlicher darstellen): 1. Peak Oil Münster. Die Erdöl-Abhängigkeit einer Stadt wird von Studenten unter die Lupe genommen, 2. Desertec in Nordafrika, ein großtechnisches Projekt der Energiewende, 3. Industriewende am Beispiel des Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen, 4. Mobilitätswende, Raumplanung und Naturschutz, 5. Landwirtschafts- und Ernährungswende.

Die Rahmungsbeiträge lieferten jeder für sich wichtige Bezugs-Perspektiven für den Transformations-Horizont und Detail-Informationen. An der integrativen Klammer, sie untereinander zu verknüpfen, muss allerdings noch gearbeitet werden. Eine Diskurs-Innovation, die noch ansteht. Hier die Solitäre im Überblick: Wahl lieferte die volkswirtschaftlichen Daten zum Ende des BAU (Business As Usual), Schindler stellte die Handlungs-Herausforderungen aus der Basis-Perspektive der Transformateure dar. Lehmann brachte die systemtheoretische Sicht aus dem Anthropozän-Zusammenhang ein. Kristof untersuchte die Elemente erfolgreicher Innovationen. Seidl gab erneut einen makroökomischen Zusammenhang mit starken wirtschaftspolitischen Implikationen. Braun verheiratete die Umwelt- mit der Friedensbewegung. Weiger schlug den gleichen Bogen zwischen ökologischer und sozialer Frage.

 Vorgezogener Kommentar

 Bevor wir alle diese Beispiele und Reflexionen im Einzelnen behandeln,  soll hier eine durchaus subjektive Zusammenfassung und Bewertung der Tagung eingefügt werden.

Das Tutzinger Denklabor für die Transformationsagenda als solches ist von hohem Wert und schon jetzt unverzichtbar, muss aber unbedingt weiterentwickelt werden, wahrscheinlich dann auch an anderen Standorten. Aus meiner Sicht fehlt es der Bewegung (wenn sie eine werden will) an drei Aktionsebenen, die binnen der nächsten 12 Monate in neue Zustände gebracht werden müssen: 1. Politik, 2. Kommunikation, 3. Meso-Umsetzung.

In der Politik muss es eine Kontinuität der Veränderungsaktivitäten und einen Lobbyismus für Transformation geben. Beispielweise müssen die Ergebnisse, einschließlich der schlechten Erfahrungen, der Enquete-Kommission WWL unbedingt von einer politischen „Kümmerer"-Gruppe weiter gepflegt, verbreitet und nutzbar gemacht werden. Ähnliches gilt für das WBGU-Gutachten, das endlich eine politische Umsetzungsagenda braucht. Pionier-Rollen einiger Bundesländer müssen republikweit ausgerollt werden. Das alles verlangt ein völlig anderes Kommunikationsverhalten, als es die Transformationsszene bisher an den Tag gelegt hat. Ich selbst machte dazu auf der Tagung eine Einlassung; die Transformationszeitung selbst sieht sich als Programm. Es geht nicht um Transformations-PR, sondern gerade nach dem grandios gescheiterten Bundestagswahlkampf als möglicher Agora gesellschaftlicher Zukunftserörterungen und -entscheidungen (unter maßgeblicher Mitschuld der Medien) gilt es jetzt, neue gesellschaftliche Kommunikationsformen zu erfinden und implementieren, die der Schweigespirale des herrschenden Mediensystems vernehmbar Paroli bieten. Drittens muss vieles getan werden, um zwischen den individuellen Transformationsformen vor Ort (Transition Town) und den großen Steuerungs-Optiken (Anthropozän) eine mittlere Implementierungs-Ebene einzuziehen, die zweierlei bewirkt: Einzelerfahrungen in die Breite zu geben (fachlich wie regional) und zweitens neue Standards in einzelnen Anwendungsbereichen zu setzen, wie es beispielsweise das EEG für den Bereich der Energie geleistet hat.

 Manfred Ronzheimer für die Transformationszeitung (dort folgen in den nächsten Tagen weitere Berichte) 

 http://transformationszeitung.wordpress.com

 Hinweise:

 R.E.M.: It's The End Of The World As We Know It (and I Feel Fine...)

http://www.youtube.com/watch?v=_eyFiClAzq8

 Hier zum Programm:

http://transformationszeitung.wordpress.com/2013/10/23/transformations-tagung-in-tutzing/

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