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Ein totes Pferd

12.05.2014

Ein totes Pferd

Die Lange Nacht der Wissenschaften gehört abgeschafft (in dieser Form)

 

Eine Weisheit der Dakota Indianer lautet: "Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, dann steige ab". Daran muss ich die ganze Zeit denken, als ich am Samstag nachmittag eingeklemmt in der Audimax-Bestuhlung der albernen Eröffnungs-Veranstaltung zur Langen Nacht der Wissenschaft in der Humboldt-Uni folgen muss. Die Leitungsriege der Berliner Hochschullandschaft muss auf die Bühne, um mit einem Roboter kleine Geschicklichkeitsspiele zu vollführen. Als schließlich das Ballermann-Niveau erreicht ist, und die 500 Leute aufstehen sollen und es auch tun, um im Chor lustige Loblieder auf die Wissenschaft zu trällern, schalte ich völlig ab.

Seit Jahren schon halten die Organisatoren der LNDW das Fun-Format "Kindergeburtstag" (zum Schluß löst die Wissenschaftssenatorin mit Zimmerkanone einen Luftschlangen-Regen aus) für das Maß aller Dinge. Die Besucher-Zahlen für diese wichtigste Veranstaltung an der Schnittstelle Wissenschaft/Gesellschaft gehen zwar kontinuierlich zurück. Aber an diesem Tralala-Format "Was ist die Uni doch ein vergnügter Ort" wird verbissen festgehalten. Warum nur? Das Pferd ist tot, aber es wird weiter geritten. Absurd.

Pfadabhängigkeit in Organisationen

Später bin ich bei den FU-Wirtschaftswissenschaftlern in Dahlem. Eine für mich interessante Veranstaltung (Pfadabhängigkeit in Organisationen - "Das machen wir hier schon immer so") liefert mir die Erklärung. Eine kompetente Runde: Vier Wissenschaftler unterhalten sich mit zehn Besuchern. Dieses Missverhältnis ist eines der Probleme der LNDW, das sie wegen ihrer Pfadabhängigkeit aber nicht erkennt. Von außen bekommt sie keine unabhängigen Hinweise. Die Eventmanager flüstern den Wissenschaftlern ein: "Der Gesellschaft könnt ihr nur mit Hulligulli kommen." Zu neuen Formaten der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Bürgern wird nicht vorgedrungen. Wo es mal ernsthaft bleibt - und das ist auch vielfach an diesem Abend der Fall! -, dort dominiert das klassische universitäre Doziermuster. Hier ist Innovation angesagt. Dumm nur: Es wird - Stichwort Pfadabhängigkeit - schwerlich aus dem Innern der Wissenschaft kommen. Sondern von außen. Die Gesellschaft muss der Wissenschaft diese Kommunikation und auch das entsprechende Kommunikationsniveau abverlangen. Das ist die zentrale Botschaft dieses Textes.

Im HU-Audimax höre ich Olbertz' Einleitung, in der er den großen Bogen schlägt: Die Langnacht stehe in der Tradition von Alexanders von Humboldts Kosmos-Vorlesungen für das gebildete Bürgertum oder dem zivilgesellschaftlichen Ansatz der frühen Urania mit ihrer Innovation des wissenschaftlichen Theaters und Open Access für Sterngucker. Was würde AvH zu dieser Eröffnung sagen? Ich male mir eine Alternativ-Veranstaltung aus; sie müsste nicht nur die Nutzwertigkeit von Wissenschaft (das ist im Zeitalter der ökonomisierten Hochschule schon wieder banal), sondern auch die Faszination der menschheitsgeschichtlichen Mission, das Wissen der Welt zu erweitern, rüberbringen. Auf den Schultern von Riesen. Der Riese ist an diesem Nachmittag nur der Roboter Myon, der nicht mal die Strichcodes richtig lesen kann.

 Meine Alternativ-Veranstaltung wäre ein Generationen-Meeting: Ein 10-jähriger Junge, der sich an Phänomen der Natur begeistert und den Funken des Forschens auffängt, eine 25-jährige Preisträgerin, die mit ihrer Doktorarbeit ein Stück neues Wissens hervorgebracht hat und nun am Beginn einer Karriere steht oder vielleicht ein Unternehmen gründen will, ein 40-jähriger Geschäftsführer, dem die Innovation aus einer Berliner Hochschule seinem Kleinunternehmen im harten Wettbewerb das Überleben gesichert hat und nun expandieren will, vielleicht auch noch ein Nachhaltigkeitsforscher oder ein Unipräsident mit einer wissenschaftspolitischen Botschaft zur Entwicklung des Forschungsstandorts, zum Schluß aber ein 70-jähriger Emeritus, der Rückblick hält und am eigenen Beispiel illustrieren kann, wie individuelles Wissensstreben mit dem Hebel der Institution des Wissenschaftssystems in die Gesellschaft hinein wechselwirkt. Das fände ich spannend. Nicht diesen Roboter.

Nun wollen wir ein bisschen analytischer vorgehen. Was sind die großen Schwächen der LNDW?

Eventisierung und Infantilisierung

Punkt 1 haben wir mit der Pferde-Metapher schon angesprochen. Die Eventisierung und Infantilisierung von Wissenschaft. Das hat seine Ursache im gesellschaftsbezogenen Marketing-Denken, wie es mit der PUSH-Bewegung Einzug in die Wissenschaft gehalten hat. Seitdem ist eine gigantischer Hochrüstung an wissenschaftsbezogener Waschmittelwerbung im Gang. Der Gegenpart, eine kritische journalistische Berichterstattung von Seiten der Medien und damit aus der Gesellschaft, stirbt gleichzeitig. Das eine ist betriebswirtschaftlich orientiert und wird immer stärker, das andere hat einen sozusagen volkswirtschaftlichen, also gesellschaftlichen Horizont und wird schwächer.

Von der Anarchie zur Ordnung

Punkt 2 ist die "Anarchie" der LNDW in der Struktur ihrer Veranstaltung. Die LNDW hält es für ein Höchtmaß an Partizipation und Transparenz, an 2200 Stellen Türen zu öffnen und Wissenschaftler zum Bürger sprechen zu lassen. In dieser Form wird der wissenschaftliche Wildwuchs, die Aufspaltung des Wissenschaftssystems in Disziplinen und immer spezialisiertere Ausdifferenzierung nur gesellschaftlich gedoppelt. Die Struktur der Universität mit ihren Disziplinen - und ihren großen Schwierigkeiten zur Inter- und Transdisziplinarität - wird aufrecht erhalten. Die LNDW negiert die Fragestellung, mit der Gesellschaft an sie herantritt, etwa "Grand Challenges", und ist nicht bereit, ihren Präsentationsteller so zu gestalten. Wer zur Wissenschaft will, muss alles abtingeln und in 21 Busrouten abfahren. Sieben Stunden hat er dafür Zeit. Wer zu spät kommt, muss ein Jahr warten. Wer Wissenschaftszugang in dieser Form organisiert, verhindert ihn zugleich.

Die Alternative lautet: Von der Anarchie zur Ordnung. Die Angebote der LNDW müssen zeitlich gestreckt werden (mehrere Tage), um sie besser benutzbar zu machen, und zugleich inhaltlich geclustert. (hier einige Beispiele und Anregungen)
Warum wird der Ansatz der Münchener Wissenschaftstage nicht übernommen?

Dieser Punkt 2 betrifft im wesentlichen die interne Organisation der Veranstaltung.

Citizen Science: Die Gesellschaft muss übernehmen

Punkt 3 ist mir am wichtigsten. Ich will dazu den neumodischen Begriff "Citizen Science" hinzuziehen (um den zur Zeit auch ein leiser Kulturkampf abläuft, dazu an anderer Stelle mehr).
Es geht hierbei darum, das gesellschaftliche Interesse an Wissenschaft so zu konfigurieren, dass es von außen an das Wissenschaftssystem herangetragen und über entsprechende Andockstellen angekoppelt werden kann. Eine dieser Andockstellen wäre die LNDW. Wenn es nun eine Gruppe gäbe - nennen wir sie mal "Initiativgruppe Bürgerwissenschaft" oder Public Knowledge - könnte diese zwei Vorschläge aus der Bürgerschaft an die Wissenschaft formulieren. 1. Die Benennung von großen und für die Gesellschaft wichtigen Themen, über die man nicht nur gerne bildungsmäßig mehr erfahren möchte, sondern zu denen wissenschaftliches Wissen ganz dringend gebraucht wird, um das "Betriebsystem Gesellschaft" vernünftig und friktionsfrei am Laufen zu halten. (Ich hätte für diesen Samstag die Themen 1. Weltkrieg (Geschichte plus Konfliktforschung bis hin zu Ukraine etc) und Umsetzung der Studie "Klimaneutrales Berlin 2050" (erstaunlicherweise hat das PIK als Autor das nicht in seinem eigenen Angebot) vorgeschlagen. Und 2. die Konturierung von gesellschaftlichem Wissen, welches sowohl Instrumente der Erfassung, Erhaltung und Analyse sowie Anwendung benötigt.

Dieser Punkt 3 thematisiert gesellschaftlich relevantes Wissen. Dieser Bedarf muss von der Gesellschaft formuliert werden. Das Wissenschaftssystem heutigen Zuschnitts ist so wirtschaft- und karrieredienlich ausgelegt, dass es m. E. selbst für eine solche Reformulierung kaum in der Lage ist. Es befindet sich ebenfalls in einem Pfad-"Lock-In".

Die LNDW in dieser Weise gesellschaftlich neu auszurichten, würde allen Beteiligten nützen. Es muss sowieso zu einer stärkeren Gesellschaftsorientierung des Wissenschaftssystems kommen. Da würde sich als eines der ersten Modellstücke - vielleicht auch in Elementen einer künftigen Bürgeruniversität (Schneidewind) - die Umorientierung der LNDW anbieten. Dieser Aufschlag muss aber jetzt von der Zivilgesellschaft kommen.

Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg

 

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PRESSEMITTEILUNG Berlin, 11. Mai 2014 - auch hier zu lesen (PDF)

Tausende Menschen bei der Langen Nacht der Wissenschaften
Tausende Menschen haben auch in diesem Jahr die Lange Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam besucht. 71 Wissenschaftseinrichtungen hatten zu einem Blick hinter die Kulissen von Wissenschaft und Forschung eingeladen. In mehr als 130 geöffneten Häusern konnten Interessierte zwischen rund 2.200 Veranstaltungsangeboten wählen. Die Veranstalter verzeichneten mit etwa 148.000 Besuchen* (* Diese Zahl bezieht sich auf die an den Türen der teilnehmenden Einrichtungen gezählten Besuche. Dabei wurde erfasst, wie oft die Veranstaltungsorte betreten wurden. Die Zahl der Besucherinnen und Besucher bzw. der verkauften Tickets wird innerhalb der nächsten Wochen ermittelt) eine etwas geringere Zahl von Besuchen als im Vorjahr, waren aber mit der Resonanz insgesamt sehr zufrieden.
"Die Tatsache, dass auch in diesem Jahr die Menschen wieder in Scharen bei der Langen Nacht der Wissenschaften unterwegs waren, freut mich sehr. Es zeigt, dass die "Klügste Nacht des Jahres" auch in ihrem 14. Jahr nichts an Attraktivität verloren hat. Die Besucherinnen und Besucher sind weiterhin neugierig darauf, die faszinierenden Orte von Wissenschaft und Forschung in unserer Region selbst zu erkunden. Dass es in diesem Jahr ein paar Besuche weniger waren als beim letzten Mal, enttäuscht uns nicht, sondern ist allenfalls Ansporn für das kommende Jahr. Immer spielen dabei auch die zahlreichen Konkurrenzangebote im reichen kulturellen Angebot von Berlin eine Rolle, und nicht zuletzt beim Wetter hat man mal mehr und mal weniger Glück. Mein Dank gilt allen Akteuren, die zu diesem Erfolg beigetragen haben", erklärte Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin und Vorsitzender des Vereins Lange Nacht der Wissenschaften e.V. (LNDW e.V.).

P> Besondere Publikumsmagnete waren in diesem Jahr der Wissenschaftsstandort Charlottenburg mit 38.300 gezählten Besuchen, sowie der Campus Adlershof mit 34.900 Besuchen und der Campus Dahlem, dessen Türen sich 21.300 mal öffneten. Auch in Buch waren in diesem Jahr mit 16.600 gezählten Besuchen viele Menschen unterwegs. Auf dem Potsdamer Telegrafenberg war ebenfalls ein reger Besucherstrom zu verzeichnen, hier wurden 8.000 Besuche gezählt. Auch Einrichtungen, die in diesem Jahr zum ersten mal dabei waren, konnten sich über reges Interesse freuen. So verzeichneten die Berliner Psychoanalytischen Institute 1.400 Besuche.

http://www.langenachtderwissenschaften.de/

Programm nach Themen

Programm nach teilnehmenden Einrichtungen

Programm nach Orten

Besucherzahlen seit 2001 (PDF)
Teilnehmende Einrichtungen 2002 bis 2013 (PDF)

 

HeN2252

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