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Megatonnen statt Milligramm

06.06.2014

Megatonnen statt Milligramm

"Grüne Lügen": Öko-Doyen Friedrich Schmidt-Bleek fordert eine Ressourcen-Wende

Mit Öko-Technik die Umwelt retten. Sauber fahren mit Elektro-Autos. Die Energiewende stoppt die Klimakiller. Von wegen! Lauter Lügen! "Grüne Lügen", betitelt Umwelt-Urgestein Friedrich Schmidt-Bleek provokant sein neues Buch. Für ihn marschiert die Umweltpolitik in die Irre, weil sie nur den Schadstoffen hinterher läuft, aber die riesigen, natur-zerstörenden Materialverbräuche außer acht lässt. Was der Planet dagegen braucht, ist eine Ressourcen-Wende, so Schmidt-Bleeks Botschaft. Am Monatg, 2.6., hat er sein Buch im Forum Adlershof in einer Veranstaltung der Buchhandlung Lehmanns mit den Berliner Wirtschaftsgesprächen (BWG) vorgestellt. 

"Die Ursünde der Wirtschaft ist ihre Ressourcen-Intensität", sagte der heute 81-jährige Chemiker und Umweltforscher. Ende der 70er Jahre war Schmidt-Bleek am Berliner Umweltbundesamt der Vater des deutschen Chemikaliengesetzes. Am Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie entwickelte er später den "ökologischen Rucksack", eine Maßeinheit (MIPS, Materialinput pro Einheit Service) zur Bestimmung der ökologischen Gesamtkosten.
Prof. Friedrich Schmidt-Bleek ist ein Pionier der Ressourcenwende und Erfinder des Faktor 10 Konzeptes. Er ist Gründungs-Vizepräsident des Wuppertal Institutes, arbeitete als Abteilungsleiter in der OECD und im IIASA und ist außerdem Initiator des World Resources Forum Davos und des Factor 10 Institute. 2001 wurde er mit dem Takeda World Environment Award ausgezeichnet. Schmidt-Bleek ist Autor zahlreicher Bücher und Veröffentlichungen

Hinter jedem Produkt und auch jeder Dienstleistung stehen unsichtbar die Aufwendungen der Rohstoffgewinnung. Für seltene Erden werden Landschaften umgepflügt, damit moderne Smartphones funktionieren können. Die Rucksack-Berechnung bringt Erstaunliches zutage: Der Ressourcenaufwand für eine elektronische Geldüberweisung ist genauso hoch wie die Herstellung von 10 Bierdosen aus Aluminium. Das vermeintlich umweltfreundliche Hybrid-Auto hat einen doppelt so großen Öko-Rucksack wie ein Benziner.

"Wenn man die Energiewende durchrechnet, werden unter dem Strich mehr Ressourcen verbraucht als vorher", stellt Schmidt-Bleek fest. Beispiele sind die gigantischen Offshore-Windparks vor den Küsten, aber auch die Wärmedämmung der Häuser, sobald die spätere Entsorgung der giftigen Dämmstoffe mit berücksichtigt wird. Die Einseitigkeit der Umweltpolitik, ihre Schadstofffixierung, hat den Öko-Doyen zu seiner neuen Veröffentlichung angetrieben: "Asbest und Dioxine sind in erster Linie Probleme für die menschliche Gesundheit, mit der ökologischen Stabilität des Planeten haben sie nichts zu tun". Hier sei ein Umdenken gefordert. "Dass dies gerade in einem Land mit so vielen Wissenschaftlern und Experten wie in Deutschland nicht vorankommt, ist beschämend", kritisierte Schmidt-Bleek in seiner Adlershofer Präsentation.

 

(Foto: Buchpräsentation in Adlershof, von links: Huncke, von Weizsäcker, Schmidt-Bleek, Rhomberg)

Ein Manko, das auch Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Gründer des Wuppertal-Instituts, in der Veranstaltung bestätigte: "Wir müssen nicht allein auf die Milligramms achten, sondern auch auf die Megatonnen an Abraum". Derzeit leite er das Internationale Ressourcen-Panel beim Club of Rome, das sich verstärkt mit den problematischen Nebenwirkungen der CO2-freien Technologien beschäftige, ergänzte von Weizsäcker. Dazu zähle die Technik der unterirdischen Kohlendioxid-Speicherung CCS. "Damit wird letztlich nur Geld vergraben, ohne Umweltnutzen". Ähnliche zweischneidige Wirkungen lassen sich bei grünen Technologien wie Windkraft, Photovoltaik und Biomasse ausmachen.

Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, 1939 in Zürich geboren, Dipl. Phys., Dr. rer. Nat. (Zoologie). Ko-Präsident, International Resource Panel, Ko-Präsident, Club of Rome. Früher: Biologieprofessor (Essen), Universitätspräsident (Kassel), Direktor bei der UNO, Präsident d. Wuppertal Instituts, 1998-2005 MdB (SPD), Stuttgart, Vorsitzender des Bundestags-Umweltausschuss. 2006-08 Leiter (Dean) der kalifornischen Umwelthoch-schule Santa Barbara. Neuestes Buch: "Faktor Fünf" (2010). Ehrungen u. a. Großes Bundesverdienstkreuz (2009), Deutscher Umweltpreis (2008).

Wie ein anderer ökologischer Umgang mit Ressourcen möglich ist, demonstrierte der österreichische Bauunternehmer Hubert Rhomberg, der sich in den letzten Jahren auf den Bau von Holz-Hochhäusern spezialisiert hat. "Die beste Technologie, um CO2 zu speichern, ist ein Baum, der wächst", erklärt der Chef der Rhomberg Holding GmbH. Nach der Holzernte einen Baum zu verbrennen, etwa in Form von vermeintlich umweltfreundlichen Holzpellets, hält Rhomberg für ein "ökologisches Verbrechen". Sinnvoller sei es, das Holz zunächst konstruktiv zu nutzen. "So können wir Kohlendioxid für hundert Jahre in Holzhäusern binden". Holz besitze einen Öko-Rucksack-Faktor von unter 1, Stahl dagegen 8. Dass Holzbauten nach modernen Anforderungen, einschließlich Brandschutz, auch in Städten möglich ist, beweist Rhomberg gegenwärtig mit einem 100 Meter-Hochhaus, das in Wien entsteht.

Dipl.-Ing. Hubert Rhomberg ist Geschäftsführer des Bregenzer Familienunternehmens Rhomberg Holding GmbH. Das bereits 1886 gegründete Unternehmen agiert in den Bereichen Bau, Bahntechnik und Ressourcen und legt großen Wert auf Nachhaltigkeit, und das im ökologischen, ökonomischen und sozialen Sinne. Hubert Rhomberg erzählt aus seinem Arbeitsalltag und demonstriert eindrücklich, dass selbst Großprojekte ressourcenschonend und nachhaltig, gleichzeitig aber auch wirtschaftlich erfolgreich realisiert werden können.
www.creebyrhomberg.com

Enttäuscht sind die Oko-Forscher von den Umweltpolitikern. "Selbst im dicken Wahlprogramm der Grünen findet sich fast nichts zum Thema Ressourcen", bemängelt Schmidt-Bleek. Von Weizsäcker hat zwar Passagen in der Koalitionsvereinbarung entdeckt, "aber sie werden nicht in Praxis umgesetzt". Ein wichtiger Schritt wäre für Schmidt-Bleek die Einrichtung einer "Informationsagentur" in Deutschland zum Thema Ressourcen und Stoffströme. Ein Konzept dafür wurde vor Jahren für die österreichische Regierung erarbeitet.

Auf dieser Grundlage könnten dann auch öffentliche Aufträge anders vergeben werden, mit dem Ziel eines geringeren Stoffverbrauchs. Der Vorschlag des Umweltforschers: "Die öffentliche Hand muss sagen, wir vergeben künftig ein Drittel unserer Aufträge nur nach Rucksack-Kriterien".

Manfred Ronzheimer

 

taz-Version 6.6.14

Bericht im FOCUS, 20.5.2014

Ankündigung der Veranstaltung:
- BWG - BUCHPREMIERE: Grüne Lügen: Nichts für die Umwelt, alles fürs Geschäft - wie Politik und Wirtschaft die Welt zugrunde richten - 17:30 - Forum - Adlershof, Hans-Grade-Saal, Rudower Chaussee 24, 12489 Berlin - Friedrich Schmidt-Bleek im Gespräch mit Ernst Ulrich von Weizsäcker und Hubert Rhomberg - Prof. Friedrich Schmidt-Bleek, Pionier der Ressourcenwende, Doyen der deutschen Umweltforscher und Gründungs-Vizepräsident des Wuppertal Institutes diskutiert mit dem Biologen Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Mitglied des Club of Rome, Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes und Vorsitzenden des Wuppertal Institutes ressourcenschonende Alternativen des Wirtschaftens. - mehr hier - Cover - und hier - UN4758/UN4744

Veranstaltungen bei Lehmanns Media Berlin

Vita Prof. Dr. Friedrich Schmidt-Bleek
Präsident des Factor 10 Institute
www.factor10-institute.org
(seit 2008 nicht mehr aktualisiert)

The Factor 10 History (PDF)

Lexikon

 

UN4744

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