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Big Data, Big Event

30.04.2015

Leuchtturm der digitalen Wirtschaft

Die 8. Berlin Web Week stellte sich vor

Gut gewählt, die Location für diese weithin langweilige Pressekonferenz zur 8. Berlin Web Week. Aus dem S-Bahn-Bogen am Bahnhof Jannowitzbrücke, wo die Deutsche Bahn ihre "Startup Area" einquartiert hat, zur Betreuung von Gründerfirmen, kann man durch die großen Fenster auf die vorbeiwellende Spree im Frühlingssonnenschein herausblicken, und den einsamen Kanupaddler beobachten, wenn die Selbstdarstellungsvorträge am PK-Podium das Mitschreiben nicht mehr lohnen. Oben drüber, aber nicht zu hören, fährt die Stadtbahn, mit der die PK für die Journalisten optimalst erreichbar ist. Fluß und Schiene, zwei metropolitane Infrastrukturen.

Und doch liegt der Ort damit quer zum Thema. Bei der WebWeek geht es um Datenströme. Es geht um die Wertschöpfung aus den immateriellen Bits und Bytes, die kein Spreekahn und Eisenbahnwaggon transportieren kann. Sondern die in elektronischen Signalen über das neuländische Internet fließen, rund um den Globus, kontrolliert und unkontrolliert. Daten gelten wirtschaftlich als das Erdöl des 21. Jahrhunderts. Die neureichen Scheichs sitzen im Silicon Valley, die "Weltregierung" titelte ein Nachrichtenmagazin. Kann Berlin an dieser Reichtumsumverteilung durch Datentransfer teilhaben?

Big Data, Big Event. Binnen weniger Jahre hat sich die Berlin WebWeek zu einer Leitveranstaltung der Digitalwirtschaft entwickelt. Die 20 Konferenzen und Messen unter dieser Dachmarke rechnen vom 4. bis 10 Mai 2015 mit 25.000 Besuchern. Eine hochinteressante Entwicklung, technisch, ökonomisch, sozial. Auch der Fluß hat die Gesellschaft, die Menschen an seinen Ufern und auf ihm beeinflusst, ebenso die Bahn, ein eiserner Gesellschaftsbeschleuniger. Mit dem Internet wird der Wandel noch mal potenziert. Wie schön, zu diesem virtuellen Thema in der vielleicht schon bald überholten Form der Pressekonferenz körperlich zusammenzukommen. 95 Prozent der Aussagen zielen auf die hippe, coole, geldmacherische Internetwelt, fünf Prozent covern erst auf Nachfrage den Darkroom des Webs, die Schattenseiten, die Kontrollmaschine, die Gesellschaftsbeschädigung. Auch die Journalismuszerstörung, nein, darüber wurde nicht gesprochen. Vielleicht auf der MediaConvention.

Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer betont in ihrem Statement in der Pressekonferenz den Wirtschaftsfaktor Internet für die Hauptstadt. Ihr Haus sei stolz darauf, die Entwicklung der WebWeek mit einer anfänglichen Förderung angestoßen zu haben, erklärt die Politikerin. Heute seien öffentliche Mittel dafür nicht mehr nötig. "Die WebWeek hat Fahrt aufgenommen", sagt Yzer. Vor zwei Jahren zählte das Event-Agglomerat noch 5000 Besucher, in diesem Jahr werden 25.000 erwartet. Allerdings kommt dieses Wachstum auch durch Arrondierungen zustande: neue Veranstaltung, wie die VideoDays, die neu dazu kommen.

Zur Branche teilt die Senatorin mit, dass die Digitalwirtschaft in Berlin derzeit rund 7000 Unternehmen mit 75.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 11 Mrd Euro umfasst. In die Pressemappe hat man zwecks Altpapierentsorgung eine Branchenbroschüre aus 2013 eingelegt ("Doch, zur WebWeek kommt eine aktuelle Version"), in der die Vergleichzahl von 2011 enthalten ist: Umsatz der Digitalwirtschaft in Berlin 8,9 Mrd Euro, was 5,3 Prozent des Gesamtumsatzes der Berliner Wirtschaft entspricht, mit 5.800 Digitalunternehmen in Berlin und 62.400 Erwerbstätigen in der Berliner Digitalbranche. Wohlgemerkt 2011. Ein Jahr später, 2012, wurden im Jahr rund 500 Betriebsgründungen in der Digitalwirtschaft registriert. In sie flossen 133 Mio Euro an Risikokapital. Berlin attrahiert in diesem Segment eine Menge Geld. Zur Wissenschaft wird mitgeteilt, dass 15.000 Studierende derzeit in IT- und digitalbezogenen Studienfächern in Berlin eingeschrieben sind. Die neue Forderung (Turner), die IT-Professuren massiv auszubauen, greift die Forschungssenatorin nicht auf. Sie betont weiter den Aspekt Gründungsschmiede. Hier setze Berlin mit der Venture Capital-Initiative im Bundesrat einen Akzent. Wichtig war ihr kürzlich, ebenfalls in der Länderkammer, die Korrektur des Kleinanlegerschutzgesetzes. Hier kann die Wirtschaftspolitikerin ordentlich ins Detail gehen.

Die wirklich brandheiße News, die Yzer zur PK mitbringt, die neuen Zahlen der Statistikämter, wonach Berlin im Jahr 2014 nun endgültig ein BIP-Wachstum von 2,2 Prozent erreicht hat, das ist die Silbermedaille nach Baden-Württemberg. Perspektivisch kommen dann noch einige Bemerkungen zu "Industrie 4.0", der Verknüpfung der Digitalwelt mit klassischem Produktionsgewerbe. "Die industrielle Wertschöpfungskette erfindet sich gerade neu", sagt die Wirtschaftssenatorin. Das Thema ist bei ihr aber nicht so prioritär, dass sie deswegen vorletzte Woche zur Hannover Messe gefahren, im Unterscheid zur Spitze der Brandenburger Landesspolitik.

Berlin-Partner-Chef Franzke hebt auf den Wirtschaftsfaktor "Talente" ab, die stark über die Zuwanderung (jährlich 44.000 Neu-Berlin, davon 35.000 aus dem Ausland) in die Hauptstadt kommen. Der Ingenieur Franzke, aus Hannover kommend, ist selbst so einer.

Re:publica-Gründer Gebhard stellt die besondere Atmosphäre seiner Veranstaltung heraus ("eine Art Festival"), die in ihrem 9. Durchlauf so viele Vorträge wie noch nie auf dem 300-stündigen Programm habe (5. bis 7. Mai in der "Station"): 450 Sessions auf 15 Bühnen mit über 600 Referenten. Die re:publica bezeichnet sich als "DIE Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft". Das Rahmenthema heißt in diesem Jahr "Finding Europe". Laut Gebhard soll die politische Entwicklung der letzten 18 Monate in Europa reflektiert werden. Interessant ist die Kooperation mit dem Wissenschaftsjahr "Zukunftsstadt" des BMBF, wie auch das zum zweiten Mal stattfindende "Global Innovation Gathering", zu dem 70 bis 80 Vertreter von Innovationszentren und Kreativstandorte vor allem aus Afrika, Asien und Lateinamerika nach Berlin kommen.

Für zwei Tage (5. und 6. Mai) ist die "Media Convention" in der Station, der internationale Medienkongress des Medienboard Berlin-Brandenburg, der im letzten Jahr die Hallen der Messe Berlin verlassen hat. Medienboard-Geschäftsführer Giglinger ist stolz, mit der WebWeek "den Leuchtturm der digitalen Wirtschaft geschaffen" zu haben. Von den 18.000 Besucher der Week 2014 waren 35 Prozent aus dem Ausland. 6000 Besucher kamen in den drei Tagen zu re:publica und Media Convention. Das Experiment der "Media Convention", durch die Berührung mit der re.publica "einen anderen Medienkongress zu schaffen, der Digital Natives und Medienakteure zusammenbringt", sei erfolgreich verlaufen. Giglingers Convention bietet 45 Veranstaltungen mit 100 Speakern auf drei Themen-Bühnen (Medienwirtschaft, Mediengesellschaft, Medienpolitik). Ein Ticket ist für beide Events MC und rp gültig: 195 Euro Economy, 640 Euro Business, 99 Euro "reduced". Gebhard hat noch einen Tipp: wer einen Tag als Helfer anheuert, kommt auch die andern Tage kostenlos rein.

Weitere Vorstellungen gab es in der PK zur Gründerkonferenz "Heureka" und den "VideoDays". (lasse ich erstmal weg).

Den Eindruck eines vermeintlich unkritischen Ansatzes der re:publica,  wie er sich nach den Ausführungen in der Pressekonferenz  und der Pressemitteilung der Senatswirtschaftsverwaltung ergab („...widmet sich die re:publica in diesem Jahr dem digitalen Kulturraum auf dem europäischen Kontinent. Dabei zeigt sie überraschend neue Perspektiven auf und blickt über den Tellerrand" - wohlgemerkt: Im Osten Europas ist ein Quasi-Krieg und im Süden eine Flüchtlingswelle...), wollte Andreas Gebhard auf Nachfrage eines Journalisten so nicht stehen lassen. „Wir haben einen holistischen Ansatz". Sehr wohl würden auch Themen der Netzpolitik oder der BND-Ausspähungen und das Problemfeld Privatsphäre vs. Sicherheit behandelt. Ein Factsheet der Programm-Highlights in der Pressemappe hätte das auch klargestellt, gab es aber nicht. Warum Sascha Lobo nicht komme? Von Missverständnis war die Rede. „Wir hatten ihn  nicht eingeladen". Wenn er sich eine „Auszeit" nehmen wolle, sei sie ihm gegönnt. (In diesem Stile, ich habe dann gar nicht mehr nachgehakt, scheint ins Persönliche zu gehen).

Christoph Krachten von den VideoDays verwies darauf, dass in einigen Videos sehr wohl auch die Gefahrenseite des Internet und der virtuellen Welten abgesprochen werden. Er wie auch nach ihm Senatorin Yzer übten harsche Kritik an der Behandlung des Themas durch die deutschen Schulen. „Es gibt seit 30 Jahren bei uns keine relavante Medienpädagogik", bemängelte Krachten. „Das ist ein Un-Zustand". Auch Yzer fand es keine gute Situation, wenn die „Digitalisierung vor den Schulen Halt macht". Dort sein „nicht die Kompetenz vorhanden", die zur Vorbereitung auf die Chancen, aber eben auch Gefahren der digitalen Gesellschaft verlangt werden müsse. Das Votum der CDU-Politikerin: „Mehr Medienkompetenz in die Schulen".  - Es wird interessant sein, den Verlauf dieses Themas durch die WebWeek zu beobachten. Eine Sub-Konferenz, wurde angemerkt, die „ReLearn", werde das Thema digitale Bildung in die Tiefe behandeln.

 

 

Manfred Ronzheimer für InnoMonitor Berlin-Brandenburg

 

Weitere Informationen gibt es unter: www.berlinwebweek.de

 

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