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Als Berlins Zukunft erfunden wurde

13.07.2014

Als Berlins Zukunft erfunden wurde

Zum 20. Todestag von Robert Jungk

Vor 20 Jahren, am 14. Juli 1994, starb der Journalist und Zukunftsforscher Robert Jungk. Bis dahin war er bundesweit, aber auch in seiner Heimatstadt Berlin, unermüdlich unterwegs im Kampf gegen die Atomkraft und für eine menschliche Zukunft, die die Zivilgesellschaft selbst in die Hand nimmt. Zwei Jahrzehnte später gehen wir auf Spurensuche: Was ist von Robert Jungks Anstössen in Berlin dauerhaft geblieben? Welche Impulse des Zukunftsgestalters von damals haben die Gegenwart der Hauptstadt verändert?

 

Der große Gong im Saal der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg wird von Florian Fischer geschlagen, Redakteur beim alternativen "Stattbuch Berlin". Zehn Tage nach Jungks Tod in Salzburg sind hier die Weggefährten aus Politik und Medien, Wissenschaft und Alternativbewegung zu einer bewegenden Gedenkfeier zusammen gekommen. Fischer hat das Treffen organisiert. Sein Gegen-Stadtführer, ein Kompendium der Berliner Gruppen mit einem anderen Gesellschaftsentwurf, wurde vom "Netzwerk Selbsthilfe" gefördert, das Robert Jungk angestoßen hatte. Auch die taz erhielt 1985 ihre ersten Computer aus Mitteln des Netzwerks für alternative Projekte, und war dadurch eine Zeitlang Deutschlands technisch modernste Zeitung. In der Akademie der Künste, deren Mitglied Jungk seit 1990 war, sagt der Direktor der Abteilung Film- und Medienkunst, der Regisseur Peter Lilienthal: "Wir beklagen den Tod von Robert Jungk, Visionär einer besseren Zukunft, Sisyphus der unbegrenzten Verwandlungen von einmal gefaßten Grenzen des Denkens."

Robert Jungk wird am 13. Mai 1913 in Berlin als Sohn des jüdischen Theaterehepaars Baum geboren, flieht 1933 vor den Nazis ins Ausland, wo er als Journalist arbeitet. Nach dem Krieg geht er in die USA, wo er die Themen Wissenschaft und Atomtechnik entdeckt. Er schreibt die Bestseller "Die Zukunft hat schon begonnen" (1952) und "Heller als tausend Sonnen" (1956) entdeckt. Zurück in Deutschland engagiert er sich in der Ostermarsch-Bewegung gegen Atomrüstung und wird Mitbegründer der Zukunftsforschung. Sein Buch "Der Atomstaat" (1977) wird zur Bibel der Anti-AKW-Bewegung. Später legt er den Schwerpunkt auf "Zukunftswerkstätten", in denen Bürger zur praktischen Veränderung angeleitet werden. 1986 wird die Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen in Salzburg gegründet; im gleichen Jahr erhält er den Alternativen Nobelpreis in Stockholm.

Foto: Robert Jungk mit Erhard Eppler bei der Vorstellung des Buchs "Menschenbeben" im Mai 1983 im Berliner ICC. Quelle: JBZ Salzburg

Verweigerung und Gestaltung

Technikkritik und Bürgerbeteiligung, Verweigerung und Gestaltung, sind die beiden zentralen Handlungslinien im Leben Robert Jungks: Die Kritik, vor allem gegenüber der unverantwortlichen Nukleartechnik in Bomben- und Kraftwerks-Form, bis hin zum aktiven Protest und Widerstand ("Macht kaputt, was euch kaputt macht"). Gleichzeitig die Gestaltung einer positiven und nachhaltigen Zukunft durch die Zivilgesellschaft selbst. Jungks Diktum "Betroffene zu Beteiligten machen" ist heute geflügeltes Wort von Partizipationsansätzen in allen Bereichen.

Rolf Kreibich, Gründer und langjähriger Leiter des IZT Berlin Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung, sieht "deutliche Spuren von Robert Jungk im breiten Spektrum der Bürgerbewegungen in unserer Stadt". Dies gelte für die Antiatombewegung genau so wie für die aktiven Gruppen und Netzwerke gegen Ressourcenverschwendung, Klimawandel, wachsende soziale Ungleichgewichte oder Fremdenfeindlichkeit. "Robert Jungk und die Vielen, die in seinem Sinne aktiv geworden sind, haben tatsächlich ein ‚Menschenbeben' ausgelöst, das kein Parlament und keine Regierung mehr ignorieren kann". Gerade Berlin habe sich zu "einem Zentrum der Bürgerbewegungen und des zivilgesellschaftlichen Engagements entwickelt", urteilt Kreibich.

Der Leiter der Robert-Jungk-Bibliothek in Salzburg, Walter Spielmann, sieht sogar im Ausgang des Tempelhofer Volksentscheids eine Spätwirkung seines Namensgebers: "Die Art und Weise, wie Berlinerinnen und Berliner das Areal des ehemaligen Flughafens Tempelhof für sich entdeckt und in Besitz genommen haben, entspricht einem zentralen Anliegen Robert Jungks, dem es vor allem auch darum ging, urbane Räume zu öffnen, um Orte der Begegnung und des kreativen Austauschs zu ermöglichen", sagte Spielmann gegenüber der taz. "Wenn nun an einem ursprünglich der Überwindung von Entfernungen gewidmeten Ort sich kreatives Miteinander, gemeinschaftliches Gestalten in vielfältigster Form ereignet, dann ist das ein Beispiel dafür, wie Menschen darangehen, ursprünglich entfremdete Räume wieder für sich zu entdecken", meint Spielmann. "Das hätte Robert Jungk ganz besonders gefallen."

 

Foto: Reflief in der Robert Jungk-Oberschule in Berlin 

 

Wo die Energiewende entstand

Die meisten und gerade die relevanten Wirkungen sind indes ohne unmittelbare Kausalität, sondern entfalten sich auf Umwegen, "um die Ecke". Der Berliner Ingenieur Rolf-Peter Owsianowski, der in seinem Berufsleben Technologien für Entwicklungsländer entwickelte, war Anfang der 70 er Jahre begeisterter Zuhörer der Jungk-Vorlesungen in der Technischen Universität Berlin. Der Zukunfts-Professor schlägt der Gruppe von sechs jungen Ingenieuren der "Interdisziplinären Projektgruppe für Angepasste Technologie" (IPAT) vor, ein Buch über umweltfreundliche, "sanfte" Technologien zu schreiben. Die Publikation "Der sanfte Weg" wird sofort zum Kultbuch der Alternativ-Technik. Owsianowski: "In der IPAT begann, was wir heute Erneuerbare Energie nennen".

In den Räumen der TU Berlin bastelten die Jung-Techniker die ersten Biogas-Anlagen, Windräder und Solarthermik-Lösungen. "Keiner von uns ahnte, dass die erste Biogasanlage der IPAT, die 1975 auf der Hannover Messe ausgestellt wurde, den Vorläufer der heutigen Biogas-Technologie markieren würde". Selbst die moderne "urban farming"-Methode der kombinierten Fischzucht mit Gemüseanbau ("Tomatenfisch") wurde in den 70er Jahren von den IPAT-Tüftlern entwickelt.

Der erfolgreichste Zweig der Umsetzung, der Übersetzung dessen was RJ wollte in dem Bereich Technik und Gesellschaft sind wir, unsere Gruppe. Das endet nämlich in er Energiewende. Das mag Sie jetzt überraschen, aber es ist ein straighter Weg von 1970 bis heute, dass Deutschland als erste Nation weltweit es geschafft hat, sich dieser Idee zu verschreiben. Dass an dieser ganzen Sache ganz viel Kritik zu üben ist, ist keine Frage. Das hätte besser gemacht werden können, ist auch keine Frage. Aber wir haben uns aufgemacht! Darum gings.

Der horizontale Professor

Weniger markant sind Robert Jungks Berliner Spuren im Bereich Bildung und Wissenschaft. Ende der 60er Jahre spielt Robert Jungk bei Etablierung der Zukunftsforschung als akademisches Fach eine wichtige und auch umstrittene Rolle. Der Versuch Rolf Kreibichs, der in der rebellischen Phase der FU Berlin als Soziologie-Assistent zum Universitätspräsidenten gewählt worden war, Robert Jungk dort eine Professur für Zukunftsforschung zu verschaffen, scheitert an der Blockade-Allianz von Konservativen und Ultralinken. Die Technische Universität Berlin springt ein, wo Jungk bis 1974 Vorlesungen als Honararprofessor hält. Seine Zukunfts-Seminare sind unter den Studenten Kult. Im Lehrkörper ist er wenig integiert. Wegen seines interdisziplinären Ansatzes gilt er unter den Kollegen als "der horizontale Professor". Mit Jungks Abschied verwaist die universitäre Zukunftsforschung in Berlin für viele Jahre.

 Foto: Robert Jungk-Oberschule Berlin

"Die Welt kann verändert werden, Zukunft ist kein Schicksal", ist das Motto der Robert-Jungk-Oberschule, eine Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit 1999 trägt sie den Namen des Zukunftsforschers, nur zwei in Deutschland, die andere ist in Krefeld-Hüls (NRW). Robert Jungk, heißt es auf der Webseite der Schule, "kann für junge Menschen auch heute noch Vorbild sein in seinem Glauben, dass jeder Einzelne seinen tatkräftigen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft leisten kann, um die Erde auch noch für kommende Generationen zu bewahren." Schulwappen ist das Blatt des Ginko-Baums, eine Reminiszenz an Jungks Hiroshima-Buch "Strahlen aus der Asche". Am Brandherd der Atombombe, (die - hätte der Krieg in Deutschland länger gedauert - für Berlin bestimmt gewesen war) wuchs als einzige Pflanzenart danach der Gingko-Baum, für Jungk ein Symbol für die Lebenskraft der Natur über todbringende Menschen-Technik.

Schulleiter Knaack räumt allerdings ein, dass im Unterricht der deutsch-polnischen Europaschule mit 950 Schülern keine besonderen Schwerpunkte etabliert sind, die mit dem Namensgeber in Verbindung stehen. "Wir haben seit einigen Jahren ein Wahlpflichtfach Erneuerbare Energien", erklärt der Direktor. Für ihr Öko-Engagement in diesem Bereich sei die RJO vor zwei Jahren als eine der "Berliner Klimaschulen" ausgezeichnet worden. Das Thema "Zukunft" kommt Knaack zufolge punktuell in unterschiedlichen Fächern vor. Aber das Jungksche Instrument der Zukunftswerkstätten wurde in der Charlottenburger Schule schon länger nicht eingesetzt. "Das ist bei uns keine gelebte Tradition".

Manfred Ronzheimer

Eine leicht gekürzte Fassung erschien am 12.7.2014 in der taz, Lokalteil Berlin, S.51

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MATERIAL

8.5.1993 taz Nr. 4003
Der nimmermüde Missionar
Robert Jungks Autobiographie kommt rechtzeitig zu seinem 80. Geburtstag: "Trotzdem"

Von Hermann-Josef Tenhagen
(Auszug)
Das Buch ist wie Jungk selbst. Rastlos und aphoristisch. Wer den dicken Wälzer von vorne bis hinten liest, wird im Parforceritt durch achtzig Jahre Leben und mehrmals rund um den Globus gehetzt. Der zeitweise beschäftigtste Vortragsredner Europas will möglichst viele der Hoffnungen und der ihn hoffnungsvoll stimmenden Begegnungen noch einmal Revue passieren lassen, sich selbst bestätigen, daß er doch recht gehabt hat im Streit mit seinem alten Freund, dem Pessimisten Günther Anders.
Die Autobiographie läßt sich aber auch anders lesen. In dem Buch steckt eine Enzyklopädie guter Ideen, ein Zettelkasten der Hoffnungen und neuen Ansätze. Projekte wie die Ökostadt Basel oder in den sechziger Jahren die Idee des sympathischen Architekten Buckminster Fuller, der Versuch, per Computer die erfaßbaren "materiellen und intellektuellen Quellen" des Planeten zu ordnen, eine Idee, die sich später in den Studien zu den "Grenzen des Wachstums" und im "Global 2000"-Bericht des US-Präsidenten Jimmy Carter wiederfand.
Ob vorne, hinten, in der Mitte: In jedem Kapitel kann man wieder neu beginnen, neue Hoffnung schöpfen und von neuen interessanten Menschen erfahren. Das Buch entspricht Jungks derzeitiger Hauptbeschäftigung, seiner "Internationalen Bibliothek für Zukunftsfragen". Getreu dem heimlichen Motto des Journalisten Jungk: "Indem du dein Wissen mit anderen teilst, verlierst du es nicht, es wird auch nicht weniger, sondern es zieht anderes Wissen an." Im persönlichen Gespräch räumt der fast Achtzigjährige (am 11.5. ist's soweit) ein, daß viele der kleinen Hoffnungspflanzen, der Projekte für eine bessere Zukunft, nach einigen Jahren wieder eingehen. Wer aber so rastlos sucht, findet immer neue.
Robert Jungk: "Trotzdem - Mein Leben für die Zukunft". Hanser Verlag, München 1993, 552 Seiten mit 20 Fotos, 49,80 DM

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21.4.1993 taz Berlin lokal Nr. 3989
Prediger der Hoffnung
Robert Jungk in der Urania: Taten gegen den drohenden Kollaps des Planeten sind notwendig / Noch ist die Menschheit nicht verloren

Von Hermann-Josef Tenhagen
(Auszug)
Die Augen fest im imaginären Raum, präsentiert Jungk die Bausteine seiner Hoffnung. Erstens, so der ehemalige Honorarprofessor der Technischen Universität, erstens stelle er ein Umdenken bei den Wissenschaftlern fest. Das Querschnittsdenken, quer zu den etablierten Fachrichtungen und ihren Fachidiotien nehme zu. Zweitens greife auch die Erkenntnis langsam Raum, daß die Menschen so mit sich und der Natur nicht umgehen können. Die wissenschaftlich-technische Revolution habe den Menschen zwar immer mehr Güter gebracht, sie habe nicht gleichzeitig nur Ängste und Sorgen über die Zukunft mit sich gebracht - das sei aber keine Verbesserung. Viele Menschen hätten das begriffen: In 25 Ländern gebe es inzwischen Zukunftswerkstätten, die dezentral nach neuen Wegen suchten. Aber sie brauchten permanente Häuser. Wie früher in den Kirchen müsse es "einen Platz in jeder Stadt geben, wo die Menschen ständig hinkommen und miteinander reden können". Die ökologische Wirtschaft, die zudem neu etabliert werden müsse, brauche erst einmal Subventionen - "genau wie die Kultur heute subventioniert wird".

16.7.1994 taz Nr. 4366
Robert Jungk, der gute Mensch von Salzburg
Robert Jungk war für die Ökologiebewegung ein entscheidender Motor und für die tageszeitung ein unverzichtbarer Gesprächspartner.
Kompromißlos bekämpfte er seit 45 Jahren den atomaren Wahnsinn. Am Donnerstag ist der Publizist und Zukunftsforscher im Alter von 81 Jahren gestorben.
Von Manfred Kriener
In den frühen Jahren der taz war Robert Jungk für die damals erste und einzige Ökologie-Redaktion der Republik nicht nur Orientierungshilfe und Mutmacher. Er war auch unser Dauer-Interviewpartner. Egal wo gerade Landstriche vergiftet, Atomfässer versenkt, Hüttendörfer geräumt, die Vorräte im Supermarkt Erde geplündert wurden, die Redaktionskonferenz beschied immer wieder und beinahe automatisch: Robert Jungk anrufen! Die Telefonate nach Salzburg wurden zu unserer schönsten Pflichtübung. Alle duzten ihn, und alle waren stolz darauf, daß dieser große Mann uns kleine Würstchen so liebenswürdig behandelte. Aber vor allem lohnten sich die Anrufe journalistisch: Der freundliche Mensch am anderen Ende der Leitung konnte, darauf war Verlaß, aus dem Stegreif pointiert, spannend und leidenschaftlich Stellung nehmen. (...)
Jungk hat sich oft gegen das Etikett "Zukunftsforscher" gewehrt. Aber diese Berufsbezeichnung verschaffte ihm immer wieder Zugang zu den Medien. Und Jungk war tatsächlich einer der wenigen Menschen, die sich den Luxus leisteten, beständig darüber nachzudenken, was aus diesem Planeten mit seinen verrückt gewordenen Erdlingen werden soll. Diese Sonderstellung und seine unbestrittene Kompetenz als Technikkritiker verschafften ihm Respekt. Seine Biographie verlieh ihm zusätzliche Autorität.

 

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Blickpunkt Zukunft, Nr. 27 - Nachruf Robert Jungk 1994
http://www.blickpunkt-zukunft.com/4media/download/BZ27.pdf

 

Das Online-Archiv der ZEIT zu Robert Jungk - sehr ausführlich
http://www.zeit.de/schlagworte/personen/robert-jungk

 

 

ZN10251d

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