Riva Stahl
Die Hennigsdorfer Elektrostahlwerke (HES) gehören ebenso wie der Schwesterbetrieb in Brandenburg (BES) zur italienischen RIVA-Gruppe. |
Vom Feindbild zum Vorbild
Gegen den Verkauf der Stahlwerke in Hennigsdorf und Brandenburg an den italienischen Konzern RIVA gab es 1991 viele Vorbehalte. Inzwischen gilt die Übernahme als eine Erfolgsgeschichte.
RIVA hatte damals gegenüber der Treuhand die Übernahme von 700 Beschäftigten zugesagt - doch unklar war, was mit den 2500 übrigen geschehen sollte, die in Hennigsdorf in Bereichen tätig waren, die nicht direkt mit der Stahlproduktion zu tun hatten? Dazu gab es weder von RIVA noch von der Treuhand Signale. Der damalige Betriebsratschef in Hennigsdorf, Peter Schulz, rief zur Besetzung des Werkes auf. Die Besetzung endete nach zwei Wochen mit einem beispiellosen Erfolg der Belegschaft. Die Treuhand beteiligte sich an der Finanzierung einer Arbeitsförderungsgesellschaft. Die Stahlproduktion übernahm derweil RIVA - und brachte sie zu neuer Blüte. „Alle unsere Träume haben sich erfüllt", sagt Peter Schulz. RIVA habe alle Zusagen weit übertroffen.
In Hennigsdorf arbeiten heute 680 Menschen, in Brandenburg an der Havel sind es 750. Statt den einst zugesagten umgerechnet rund 100 Millionen Euro Investitionen sind bis heute 430 Millionen Euro in die Werke geflossen. Die Stahlproduktion hat sich nahezu verdoppelt Und das Verhältnis zur Belegschaft sei erstklassig, sagt Ex-Betriebsrat Schulz: „Von der Zusammenarbeit her ist das heute ein richtiger Musterbetrieb."
Das Stahlwerk Brandenburg produzierte bei der Übernahme durch RIVA rund 750 000 Tonnen Stahl. Im Jahr 2007 waren es 1,6 Millionen Tonnen, mehr ist auf der Anlage derzeit nicht möglich. 2008 waren es 1,2 Millionen Tonnen - vor allem wegen eines wochenlangen Produktionsausfalls nach einem Großbrand.
In Hennigsdorf waren es beim Einstieg von RIVA 1992 rund 500 000 Tonnen Stahl, 2008 waren es 900 000 Tonnen.
Ein Arbeitsleben für den Stahl
Mitte Februar 2010 ging der langjährige Leiter der Hennigsdorfer Elektrostahlwerke, Siegmar Höle, in Ruhestand. Höle hatte in Eisenhüttenstadt Hochöfner gelernt und begann nach dem Studium ging 1967 im Stahl- und Walzwerk „Wilhelm Florin" in Hennigsdorf als Betriebsingenieur. Ende 1988 wurde er Leiter des Elektrostahlwerks. Und er blieb es auch, als 1992 das italienische Familienunternehmen RIVA die Stahlwerke in Hennigsdorf und Brandenburg von der Treuhandanstalt erwarb.
Dem vorausgegangen waren zwei bewegte Jahre. Der Weg des ehemaligen VEB in die Marktwirtschaft war mit einem einschneidenden Personalabbau verbunden. Das Stahl- und Walzwerk hatte vor der Wende mehr als 6000 Beschäftigte. Im Treuhand-Unternehmen Hennigsdorfer Stahl GmbH arbeitete davon nur noch etwa die Hälfte. Und nur 1050 Mitarbeiter wurden 1992 vom RIVA-Unternehmen „Hennigsdorfer Elektrostahlwerke" weiterbeschäftigt. „Das waren sehr schwierige Entscheidungen", sagt Siegmar Höle rückblickend. Auch er selbst wusste im Frühjahr 1992 nicht, ob er übernommen wird. Mit RIVA kam eine völlig neue Unternehmenskultur.
Entscheidungen, auch von weitreichender Bedeutung, werden an Ort und Stelle getroffen. „Dass es nicht so viele Hierarchien gibt, ist die Stärke des Mailänder Familienunternehmens", sagt Siegmar Höle. Ebenso wie die Erfahrung bei der Sanierung von Stahlwerken.
Produktionsanlagen im Werk Henningsdorf (Bildquelle) |
In Hennigsdorf gab es da viel zu tun. In den zurückliegenden 15 Jahren wurde massiv in die Modernisierung des Werks investiert: zwei nagelneue Elektro-Schmelzöfen, ein zusätzlicher Pfannenofen, zwei rekonstruierte Stranggussanlagen. „Es war immer wieder spannend, neue Anlagen in Betrieb zu nehmen", erinnert sich Siegmar Höle. Letztlich habe sich gezeigt, dass all diese Entscheidungen richtig waren, zur Leistungssteigerung des Werks beitrugen. |
Konnten 1993 in Hennigsdorf 500 000 Tonnen Stahl pro Jahr produziert werden, ist die Kapazität jetzt doppelt so hoch. 2007 konnte diese fast ausgefahren werden, mit einem Spitzenwert von 935 000 Tonnen. Doch dann kam die Krise. In allen drei Industriezweigen, die Hennigsdorf mit Stahl beliefert: dem Bausektor, der Autoindustrie und dem Maschinenbau. Im vorigen Jahr verließen 700 000 Tonnen Stahl das Werk. Doch ein leichter Aufschwung zeichnet sich ab. Auch wenn seit 2008 Kurzarbeit und ein grundlegend veränderter Produktionsrhythmus herrschen. Gearbeitet wird nur noch nachts und an den Wochenenden. Wenn der Strom billig ist. „Wir haben es uns nicht leichtgemacht", versichert Siegmar Höle. „Wir haben viele Arbeitszeitmodelle getestet und schließlich ein praktikables gefunden." Das sei aber nicht von oben diktiert, sondern im Zusammenwirken mit dem Betriebsrat und den Kollegen erarbeitet worden, betont der Ex-Stahlwerks-Chef.
Quelle: Märkische Allgemeine, Neue Oranienburger Zeitung, 10.02.2010
Zur Geschichte der Stahlproduktion im Land Brandenburg
- Werksgeschichte Hennigsdorf
Hennigsdorf, nordöstlich von Berlin an der Havel gelegen, war ein kleines Fischerdorf, das nach 1872 industrialisiert wurde. Ende des 19. Jahrhunderts errichtet die Firma AEG ihren Stammsitz in Hennigsdorf. Im Jahre 1917 wird ein Stahlwerk mit zwei Elektroöfen (6 und 10 t) und einem 20 t-Siemens-Martin-Ofen sowie eine Gießerei und ein Radherstellungswerk gebaut. Alle Werke werden unter dem Namen AEG-Fabrik-Hennigsdorf-Nord betrieben. 1921 übernimmt das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf (ein Zusammenschluss aus AEG, Linke-Hoffmann-Werke AG Breslau und AG Lauchhammer Riesa) die Betriebe. Die neue Geschäftsleitung verbessert die Stahlproduktionsleistung und baut Walzwerke für Flachprodukte.
Im Jahre 1926 kauft die von Friedrich Flick kontrollierte Mitteldeutsche Stahlwerke AG die Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf AG. Das Flick-Unternehmen wird dann im Jahre 1937 in Mitteldeutsche Stahl- und Walzwerke Friedrich Flick Kommanditgesellschaft umbenannt.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, im Oktober 1945, werden die Flick-Betriebe enteignet. Ein Jahr später wird das Hennigsdorfer Werk abgebaut und in die Sowjetunion geliefert.
Im Jahre 1947 erteilen die Militärbehörden des Landes Brandenburg die Genehmigung zum Wiederaufbau des Werkes. Das neue Werk basiert auf der Siemens-Martin-Technologie, die Walzproduktion wird von traditionellen Flachprodukten auf Langprodukte umgestellt.
Das Stahl - und Walzwerk Hennigsdorf nimmt die Produktion als unabhängiger staatseigener Betrieb wieder auf. Gut 20 Jahre später, im Jahre 1969, wird das Unternehmen Mitglied des Qualitäts- und Edelstahl-Kombinats, zu dem auch das Werk in Brandenburg gehörte. Zehn Jahre lang steht Hennigsdorf als Stammbetrieb an der Spitze des Kombinats.
Anfang der 70er Jahre wird der Betrieb durch den Bau eines Elektro-Stahlwerkes mit Stranggussanlage modernisiert, 1976 kommt der Bau einer kontinuierlichen Walzstraße zur Produktion von Betonstahl in Stäben und Qualitätsstahl in Ringen hinzu.
Im Jahre 1990 wird das Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf aus dem aufgelösten VEB Qualitäts- und Edelstahl-Kombinat ausgegliedert. Im Juli bildet die Treuhandanstalt das neue Unternehmen Hennigsdorfer Stahl GmbH. Die nicht wettbewerbsfähigen Bereiche Siemens-Martin-Stahlwerk und Stahlgießerei werden aufgegeben, das Elektrostahlwerk wird modernisiert.
Am 1. Mai 1992 wird das Werk von der Riva-Gruppe durch die eigens dafür gegründete H.E.S. Hennigsdorfer Elektrostahlwerk GmbH übernommen. Das im Hennigsdorfer Werk durchgeführte Modernisierungsprogramm folgt der auch für B.E.S. vorgegebenen Linie und umfasst 150 Millionen Euro.
- Werksgeschichte Brandenburg/H.
Im Jahre 1912 kauft der Industrielle Rudolf Weber, Besitzer der Philipp Weber GmbH, die in Dortmund und Hostenbach Stahlwerke betreibt, ein Grundstück in Brandenburg zum Bau eines Stahlwerkes mit festem Einsatz. Der Standort, für den sich Weber entscheidet, liegt am Silo-Kanal, dem Verbindungskanal zwischen Elbe und Havel.
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Ein Eisenbahnanschluss und ein Binnenhafen sind vorhanden, so dass der im nahe gelegenen Industrieraum Berlin anfallende Schrott angeliefert werden kann. Die rund um den Standort angesiedelte Industrie gewährleistet die hohe Nachfrage nach Stahlprodukten. Das Stahl- und Walzwerk Brandenburg besitzt vier 60 t-Siemens-Martin-Öfen sowie ein Warmwalzwerk für Stahlbleche und nimmt im Mai 1914 seine Produktion auf. |
Weber verkauft das Unternehmen 1917 an die Deutsch-Luxemburgische Bergwerks- und Hütten AG. In den frühen zwanziger Jahren beschäftigt das Brandenburger Werk, der „Weber-Sektor" des Unternehmens, 1.350 Arbeiter und produziert 70.000 t Stahl pro Jahr. Es ist der größte Betrieb der Stadt.
Im Jahre 1926 wird das Werk ausgegliedert und an Friedrich Flick, den größten Stahlhersteller Deutschlands und Gründer der Mitteldeutsche Stahlwerke AG, die mehrere Produktionsstätten besitzt, verkauft. Nach der Fusion mit dem Flick-Unternehmen, das 1937 in Mitteldeutsche Stahl- und Walzwerke Friedrich Flick Kommanditgesellschaft umbenannt wird, expandiert das Unternehmen erheblich, unterstützt durch die Aufrüstungspolitik Deutschlands und die stärkere Nachfrage nach Rüstungsgütern. Der Betrieb produziert bis April 1945. Nach dem Waffenstillstandsabkommen werden die Anlagen abgebaut und als Reparationsleistung in die Sowjetunion geliefert.
Nach Gründung der Deutschen Demokratischen Republik wird 1949 beschlossen, das Brandenburger Werk wiederaufzubauen. Der Grundstein für den ersten Siemens-Martin-Ofen wird am 15. Februar 1950 gelegt, am darauffolgenden 20. Juli wird die erste Charge vergossen. Der volkseigene Betrieb VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg wird mit insgesamt zwölf Siemens-Martin-Öfen zum führenden Stahlhersteller der Deutschen Demokratischen Republik.
Im Jahre 1969 wird die stahlproduzierende Wirtschaft in verschiedene Kombinate aufgeteilt (durch Gemeinsamkeiten der Erzeugnisstruktur miteinander verflochtene Unternehmen, die einem Leitbetrieb, dem sogenannten Stammbetrieb, unterstellt sind). Das Unternehmen in Brandenburg ist Mitglied des VEB Qualitäts- und Edelstahl-Kombinats und wird 1979 Stammbetrieb.
Im Jahre 1977 beginnen die Arbeiten für die Errichtung eines neuen Stahlwerkes mit zwei 125t-Elektroöfen, zwei 8-adrigen Stranggussanlagen und einer Produktionsleistung von 600.000 t/Jahr. Der Anlagenhersteller Danieli bittet die Riva-Gruppe, das Projekt mit ihrem Know-how zu unterstützen. Somit wird der Name Riva erstmals in Brandenburg bekannt und geschätzt. Das Werk wird mit einer kontinuierlichen Drahtstraße ausgestattet und nimmt 1980 die Produktion auf. Der Betrieb wird 1986 modernisiert und erhält 1989 einen Pfannenofen. Nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 werden die Kombinate aufgelöst.
Am 1. Mai 1990 wird das Brandenburger Werk von der Treuhandanstalt (der Privatisierungsbehörde für die staatseigenen Betriebe der Deutschen Demokratischen Republik) in eine Aktiengesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt.
Im März 1992 lagert die Treuhandanstalt die veralteten Anlagen aus und verkauft das Elektrostahlwerk und die kontinuierliche Drahtstraße an die Brandenburger Elektrostahlwerke GmbH, das Unternehmen, das die Riva-Gruppe eigens für die Übernahme gründet. |
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Unter der Riva-Geschäftsleitung wird ein umfangreiches Modernisierungsprogramm in Höhe von 140 Millionen € in die Wege geleitet, das vor allem darauf abzielt, Qualität, Organisation und Umweltschutz zu verbessern. Darüber hinaus wird zur Erweiterung der Produktionslinie in der Weiterverarbeitung ein vollständig neuer Bereich zur Herstellung von elektrogeschweißten Betonstahlmatten gebaut.